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Die Stadt als Beute

„Natürliche Fluktuation“

Als Insel zwischen zwei Systemen entzog sich Berlin lange den Begehrlichkeiten des Marktes. In verschiedensten Kiezen schien es für jeden eine Nische zu geben. Damit ist jetzt Schluss: Berlin soll Megacity werden.

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Manchmal sind Dokumentarfilme wie Horrorfilme. Umso schlimmer, wenn es sich beim dargestellten Grauen nicht um einen erdachten Alptraum handelt, sondern um Alltagsrealitäten, wie zum Beispiel den Berliner Immobilienmarkt und dessen Entwicklung. STADT ALS BEUTE hieß 2001 zuerst ein Theaterstück von René Pollesch und vier Jahre später ein Episodenfilm, der sich mit dem Ausverkauf Berlins auf künstlerische Weise auseinander setze. Andreas Wilcke hat nun einen dokumentarischen Film gedreht, in dem Immobilienbesitzer, Investoren, CEOs, vertriebene MieterInnen und nicht zuletzt Michael Müller, ehemaliger Senator für Stadtentwicklung und momentaner Oberbürgermeister Berlins, zu Wort kommen. Das gegenwärtige Bild eines einst entspannten Wohnungsmarktes, das sich hier in Firmenpräsentationen, Hausbesuchen, Scouting-Trips und Einzelinterviews offenbart, liefert erschreckende Zeugnisse dessen, was seit langem als Mangel an bezahlbaren Wohnraum den öffentlichen Diskurs bestimmt. Von "natürlicher Fluktuation" wird da geredet, wenn einkommensschwache Menschen an den Stadtrand vertrieben werden. Dass Hartz-IV-EmpfängerInnen ja nun wirklich nicht am Potsdamer Platz wohnen müssten, wird spöttisch festgestellt, und Sätze wie "Modernisierung ist im Moment die beste Kapitalanlage" lassen einem das Blut in den Adern gefrieren - besonders wenn die Rechenmodelle der Mietsteigerung von süffisanten Anzugsträgern in schicken Power-Point-Präsentationen ihren Weg in den Film finden. Engel & Voelkers, Zeigert Immobilien, der Bund freier Wohnungsgesellschaften, entmietete Bürgerinnen und die Bewohner eines unangekündigt sanierten Hauses in der Wisbyer Straße werden als zwei Seiten einer Entwicklung mehr abgefilmt als filmisch inszeniert - genau in dieser Unmittelbarkeit, die auf eine ausgefeilte Bildsprache verzichtet, liegt aber die Stärke eines Films, der uns beunruhigen sollte.

Toby Ashraf

Details

Deutschland 2016, 82 min
Sprache: Deutsch
Genre: Dokumentarfilm
Regie: Andreas Wilcke
Drehbuch: Andreas Wilcke
Kamera: Andreas Wilcke
Schnitt: Steffen Bartneck, Jan Liedtke
Musik: Rudolf Moser (Einstürzende Neubauten)
Verleih: wilckefilms
Kinostart: 08.09.2016

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