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Die Schlösser aus Sand

Liebst du mich noch?

Ein Wochende am Meer. Samuel und Eleonore waren einst ein Paar. Jetzt hilft er ihr, das Haus ihres verstorbenen Vaters zu verkaufen. Sie finden Trauer in den leeren Räumen, Erinnerungen an gute Zeiten und Gefühle, die sie zu verdrängen versucht hatten.

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DIE SCHLÖSSER AUS SAND ist wie ein kurzer, leicht aber dicht erzählter Sommerroman. Eine Novelle. Ein Buch, das man am Strand gelesen hat und aus dem später beim Auspacken der Tasche noch Sand bröselt. Ein Buch, dessen kleine, unspektakuläre aber detailreiche Geschichte unwiderruflich mit dem Wind und dem Meeresrauschen verquickt ist, die man beim Lesen im Haar und in den Ohren hatte.

Der Film spielt in der Bretagne, in der kargen Sehnsuchtslandschaft der Côte d’Amor, die für die Fotografin Eleonore unwiderruflich mit der Erinnerung an ihren Vater verknüpft ist und mit dem Haus am Meer, in dem er seine letzten Jahre verbracht hat. Eleonores Vater ist vor zwei Monaten gestorben. Sanft und lakonisch fasst die Erzählerin aus dem Off zusammen: „Es ist zwei Monate her, dass Eleonores Vater gestorben ist. Sie muss das Haus verkaufen. Alternativlos. Sie plant Freitag und Samstag da, zurück am Sonntag. Sie hat Samuel gefragt, ob er sie fährt und drei Tage in Ker Salloux bleibt. Sie hat keinen Führerschein. Er hat ja gesagt.“ Samuel ist Eleonores Exfreund, inzwischen hat er eine neue Freundin, Laure, die er von seiner Arbeit an der Uni kennt und mit der er an diesem Wochenende skypt, wenn die Verbindung im Garten es zulässt. Er hat ja gesagt, weil er nicht nein sagen kann, wenn Eleonore ihn etwas fragt. Sie waren fünf Jahre ein Paar.

Es gibt viele Off-Texte in DIE SCHLÖSSER AUS SAND. Meist spricht die Erzählerin, die alles weiß aber nicht alles sagt, manchmal hört man auch Eleonore oder Samuel. Texte und Bilder gehen eine so schöne, verführerische, gleitende Verbindung ein, wie ich es selten erlebt habe. Ergänzen, widersprechen, kommentieren, verstärken einander. Sanft aber nachdrücklich umkreisen beide die Gefühle, die Eleonore und Samuel an diesem Wochenende in diesem Haus vorfinden. Die Trauer um den Vater, die Erinnerung an gute Zeiten zusammen, die Verbitterung über den Bruch und die Angst vor einer Zukunft, in der die falsche Entscheidung zu einem falschen Leben geführt hat, in dem man, mit einem falschen Partner oder allein, bloß noch älter wird. „Das Paradies liegt hinter ihnen, denken sie, und die Hölle vor ihnen“, sagt die Erzählerin einmal.

Der Beziehungsstatus „Ex“ ist ein Tanz, bei dem die Contenance gewahrt werden muss und andererseits ständig die Frage im Raum steht: Liebst du mich noch? Was denkst du? Manchmal übernimmt es der Text, zu erzählen, was sich unter der Alltagsoberfläche verbirgt. Dann sieht man Samuel zum Beispiel die morschen Bretter der Terrasse austauschen, während die Erzählerin sagt: „Samuel dachte an den Sex, den sie überall im Haus gehabt hatten. Auf der Terrasse, im Wohnzimmer, im Gästehaus. Vor allem im Gästehaus, wenn der Vater da war.“ Manchmal sind es aber auch die Bilder, die das verraten, was die beiden sich nicht sagen können. Die die Vertrautheit zeigen, mit der die beiden am Küchentisch oder vor dem Kamin sitzen. Und wie seltsam es ist, dass sie sich nicht berühren dabei.

Das Wochenende geht geschäftig vorbei. Immer wieder wird die halb vertraute, halb ungewohnte Zweisamkeit von potentiellen Käufern unterbrochen, die von der aufgeräumten Maklerin Claire durch das Haus geführt werden. Die Unterbrechungen sind willkommen und unwillkommen, ärgerlich, lustig, kurios. Da wird dann diskutiert, ob man einen Pool einbauen könnte oder eine junge Schwangere behelligt Eleonore damit, dass sie ihr Kind in der Natur aufwachsen sehen möchte. Die Fremden stören, aber sie machen Eleonore und Samuel auch zu Verbündeten wider Willen und sie geben beiden Raum, sich über die eigenen Gefühle klar zu werden.

Das klare Licht und die zögerliche Sonne der Bretagne durchstrahlen alle Bilder des Films. DIE SCHLÖSSER AUS SAND schafft es auf eine ebenso klare und vorsichtige Art von Trauer, vom Älterwerden und von der Kompliziertheit der Liebe zu erzählen. „Samuel wünschte sich, dass es einfach mal unkompliziert sein könnte.“, heißt es an einer Stelle, zugleich ist klar, dass das nie der Fall sein wird.

Hendrike Bake

Details

Originaltitel: Les châteaux de sable
Frankreich 2015, 102 min
Genre: Drama
Regie: Olivier Jahan
Drehbuch: Olivier Jahan, Diastème
Kamera: Fabien Benzaquen
Schnitt: Jean-Baptiste Beaudoin
Verleih: FILM KINO TEXT
Darsteller: Yannick Renier, Emma de Caunes, Jeanne Rosa, Alain Chamfort, Christine Brücher
FSK: 12
Kinostart: 27.04.2017

Website
IMDB

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