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Die Legende vom hässlichen König

Aufräumen mit einem Idol

Hüseyin Tabak will einen Film über sein Idol, den türkisch-kurdischen Filmregisseur Yilmaz Güney drehen. Je tiefer er in die Recherche eindringt, desto deutlicher tritt auch Güneys Brutalität hervor.

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Der türkisch-kurdisch-zazaische Filmregisseur und Schauspieler Yilmaz Güney war ein linkes Idol und, nachdem sein mitreißender Film YOL 1982 die Goldenen Palme in Cannes gewonnen hatte, auch beim deutschen Publikum erfolgreich. Güney hatte in der Türkei, die damals von einem Militärregime regiert wurde, im Gefängnis gesessen, war geflohen und lebte als politisch Verfolgter in Paris im Exil. Güney war auch das Idol von Hüseyin Tabak, der in Wien seinen Abschlussfilm bei Michael Haneke vorbereitete, ein Porträt über Yilmaz Güney. Je tiefer Tabak in seinen umfangreichen Recherchen in die Lebensgeschichte von Güney eindringt, desto ungemütlicher und kälter wird es allerdings. Wir sehen Güney während der Dreharbeiten zu seinem letzten Film DUVAR (dt. DIE MAUER) den Kinderdarsteller Ahmet Zivek terrorisieren, weil der nicht ordentlich weint. Güney ohrfeigt und erniedrigt das Kind. Einen Dolmetscher, der am Set nicht ordentlich gespurt hat, schlägt Güney einfach zusammen. Wir erfahren, dass er seine erste Ehefrau Nebahat Çehre aus Wut und Eifersucht mit dem Auto überfahren und regelmäßig geschlagen hat. Die Haftstrafe, zu der Güney verurteilt wurde, war die Folge eines Kneipenstreits, bei dem der Regisseur einen Richter, der ihn beleidigt hatte („Ich f*** deine Frau“) über den Haufen geschossen hat. Das linke Idol schleppte immer eine Waffe mit sich herum, offenbar durchaus nicht nur aus Angst vor dem türkischen Geheimdienst. Was als Porträt des großen Meisterregisseurs beginnt, wird zu einer Erzählung über toxische Männlichkeit und ihre Apologeten. Alle Interviewten haben ihre eigene Entschuldigung für Güneys Verhalten: Er sei so leidenschaftlich gewesen, er habe so intensiv geliebt wie gehasst, ihm habe nur seine Arbeit, das Wohl der Unterdrückten, der Sieg der Revolution am Herzen gelegen. Es ist kaum zu ertragen. Und es ist längst Zeit, mit Idolen aufzuräumen.

Tom Dorow

Details

Österreich/Deutschland 2017, 122 min
Sprache: Englisch, Türkisch, Deutsch
Genre: Dokumentarfilm
Regie: Hüseyin Tabak
Drehbuch: Hüseyin Tabak
Kamera: Lukas Gnaiger
Schnitt: Andrew Bird, Christoph Loidl
Musik: Judit Varga
Verleih: mitosfilm
Kinostart: 11.10.2018

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