Chrissi (Anna Maria Mühe) hat auf Risiko gesetzt und verloren. Bei ihrem Job als Stuntfahrerin hat sie einen Unfall nur knapp überlebt. Jetzt sitzt sie im Rollstuhl und muss sie zu ihrem Vater (Michael Wittenborn) aufs Land zurück. Ihre Beziehung zu Werner ist gebrochen, seit sie in ihrer Jugend hinter dem Steuer seines damaligen Polizei-Dienstwagen ein Unglück verursacht hat, bei dem ihr Bruder ums Leben kam. Danach haben Schock und Trauer die Familie derart zerrüttet, dass eine Versöhnung heute kaum mehr möglich scheint. Wie unzertrennlich die Geschwister waren, wie harmonisch das Verhältnis zu ihren Eltern und überhaupt die ganze Zeit, davon erzählt Karsten Dahlem in seinem Regiedebüt in zahlreichen Rückblenden, die sich mit der Gegenwart überlagern. Immer wieder springt die Handlung zwischen dem, was war, und dem, was ist. Der Gegensatz ist krass, denn Werner hat sich jahrelang gehen lassen. Das Haus ist verwahrlost, die Mutter längst weg.
Dahlem, Jahrgang 1975, wurde für sein Erstlingswerk bei den Hofer Filmtagen 2022 mit dem Hauptpreis ausgezeichnet. Davor hatte er sich vor allem als Drehbuchautor für Stephan Lacants gefeiertes Spielfilmdebüt FREIER FALL über zwei homosexuelle Polizisten einen Namen gemacht. Sein Metier sind komplexe Beziehungen, und auch DIE GESCHICHTE EINER FAMILIE gehört in diese Kategorie. Der Regisseur will in weniger als 90 Minuten Laufzeit zwar manchmal ein bisschen zu viel unterbringen. Wichtige Nebenfiguren wie Chrissis Jungendliebe Sascha (Anton Spieker) oder ihre Mutter Karin (Therese Hämer) hinterlassen wenig Eindruck. Aber Mühe und Wittenborn verleihen dem Wechselspiel aus Ablehnung und Vergebung, Verdrängung und Annäherung, Abscheu und Liebe Gewicht und eine gewisse Leichtigkeit, die einen willkommenen Kontrapunkt setzt.

Pamela Jahn