Magazin für unabhängiges Kino
Filmwecker
Filmnotiz

Neue Notiz

Der Schneeleopard

Beobachten und Beobachtetwerden

In den unwirtlichen Hochebenen Tibets versuchen der Tierfotograf Vincent Munier und der Schriftsteller Sylvain Tesson, den seltenen Schneeleoparden mit der Kamera zu erwischen.

Mehr

Eine gigantische Staubwolke fegt durch das Tal, bis das ganze Bild in ein trübes Rotbraun gehüllt ist. An kargen Hängen ziehen Blauschafe und Yaks vorbei. Als die Sonne am frühen Morgen aufgeht, werfen sie ihre Schatten auf den aufsteigenden Morgennebel.

In den unwirtlichen Hochebenen Tibets versuchen der Tierfotograf Vincent Munier und der Schriftsteller Sylvain Tesson, den seltenen Schneeleoparden mit der Kamera zu erwischen. Tagelang harren sie in der Eiseskälte im Geröll aus und scannen die Berghänge mit Kamera und Fernglas ab. Munier ist dabei ganz in seinem Element, glücklich und voll von Ruhe und Konzentration. Tesson merkt man an, dass er friert. Einmal fragt er Munier denn auch, ob in den langen Stunden des Beobachtens nicht die Gedanken abschweifen. Munier sieht ihn sehr erstaunt an und verneint. Das passiere ihm niemals.

Während Munier die Landschaft beobachtet, beobachtet Tesson Munier und sich selbst und hält seine Gedanken über ihre Expedition und über das In-der-Welt-sein in Texten fest, die von großer Klarheit und dabei sehr poetisch sind (und die als Buch in Frankreich und Deutschland zum Bestseller wurden). Einmal heißt es „La prehistoire pleurait et chacun de ses larmes etait un Yak“ (Die Vorgeschichte weinte, und jede ihrer Tränen war ein Yak). Und wenn man dazu ein Foto Muniers sieht, in dem eines dieser mächtigen Tiere aus dem Nebel auftaucht, ganz kantige Silhouette und geballte Kraft, versteht man genau, was gemeint ist. Ein anderes Mal heißt es: „Die Tiere sind ein Schlüssel, sie öffnen eine Tür, dahinter: das Unsagbare.“

Über das Beobachten und das Beobachtetwerden nähern sich Munier und Tesson diesem Unsagbaren an. Sie begegnen Bären, die zurückblicken, sie finden Leopardenspuren im Lehm und eine Pallaskatze, die ein Nagetier jagt. Munier und Kamerafrau Marie Amiguet fangen die Tiere und die Landschaften in Bildern ein, die episch und minimalistisch zugleich sind, und der kongeniale Ton ergänzt geflüsterte Gespräche, das Heulen von Wind, das Knallen von Geweihen im Kampf. Dabei verschiebt sich das Ziel der Suche in den Hintergrund, und der Prozess des Wartens, Beobachtens, Findens, Sich-an-die-Natur-Anpassens wird zum Mittelpunkt. Erst durch ihre Expedition, erzählt Tesson, sei ihm bewusst geworden, dass ihn die Tiere schon sein ganzes Leben lang beobachten, während er selbst blind durch die Welt gelaufen ist.

Hendrike Bake

Details

Originaltitel: La panthère des neiges
Frankreich 2021, 92 min
Genre: Dokumentarfilm
Regie: Marie Amiguet
Drehbuch: Marie Amiguet, Vincent Munier
Kamera: Vincent Munier
Schnitt: Vincent Schmitt
Musik: Warren Ellis
Verleih: MFA+
FSK: oA
Kinostart: 10.03.2022

Website
IMDB

Vorführungen

Keine Programmdaten vorhanden.

ALLE ANGABEN OHNE GEWÄHR.
Die Inhalte dieser Webseite dürfen nicht gehandelt oder weitergegeben werden. Jede Vervielfältigung, Veröffentlichung oder andere Nutzung dieser Inhalte ist verboten, soweit die INDIEKINO BERLIN UG (haftungsbeschränkt) nicht ausdrücklich schriftlich ihr Einverständnis erklärt hat.