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Der Fackelträger

In den fünfziger Jahren entwickelten die Stasi und ihre Vorgänger einige Routine darin, missliebige Personen aus West-Berlin in den Osten zu locken oder auch gewaltsam dorthin zu entführen, um ihnen dann – mal groß aufgezogen, mal im Geheimen ...

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In den fünfziger Jahren entwickelten die Stasi und ihre Vorgänger einige Routine darin, missliebige Personen aus West-Berlin in den Osten zu locken oder auch gewaltsam dorthin zu entführen, um ihnen dann – mal groß aufgezogen, mal im Geheimen – den Prozess zu machen. In diesem Klima entstand bei der DEFA mit DER FACKELTRÄGER eine bemerkenswerte Form der Offensivverteidigung: In satirischer Form sollten die westlichen Klagen über diese Vorgänge lächerlich gemacht werden, indem man zeigte, wie ein ambitionierter West-Berliner Staatsanwalt einen harmlosen Vorgang zu einem neuen Fall von östlichem „Menschenraub“ aufbauschen will. Der fertige Film wurde fast zwei Jahre lang zurückgehalten und dann nur ganz geräuschlos in die Kinos gebracht; im Ostteil Berlins und dem nahen Umland der Stadt war er überhaupt nicht zu sehen.
Als Gründe genannt werden heute Bedenken hinsichtlich der Qualität des Streifens, der rasch in Vergessenheit geriet, sowie Rücksichtnahmen auf die Tagespolitik. Womöglich spielte aber auch eine Rolle, wie offen hier (wenngleich durch die „Bösen“) Dinge ausgesprochen und benannt werden, die in der DDR eigentlich tabu waren. Versteckte Opposition ist dahinter nicht zu vermuten, eher allzu große Selbstgefälligkeit: Einer der beiden Drehbuchautoren war Friedrich Karl Kaul, der wohl prominenteste Anwalt der DDR, ein linientreuer Jurist, der der SED hervorragende Dienste auch dadurch leistete, dass er auch an westlichen Gerichten zugelassen war. Mit der Filmfigur des wackeren Anwalts Dr. Hartmann hat Kaul (der „Hartmann“ auch als Pseudonym wählte) quasi ein Selbstporträt geschaffen, mit dem Oberstaatsanwalt Sänger seinen damaligen West-Berliner Gegner Cantor karikiert. Der Misserfolg des Films, der mit bemerkenswert vielen Schauspielern besetzt war, die in West-Berlin lebten oder später in den Westen gingen, schadete Kaul nicht: Mit seinem Co-Drehbuchautoren Walter Jupé setzte er seine Tätigkeit als Filmschaffender beim Fernsehen lang und umfangreich fort.

Details

DDR 1957, 82 min
Genre: Drama
Regie: Johannes Knittel
Drehbuch: Friedrich Karl Hartmann, Walter Jupe
Darsteller: Hermann Kiessner, Loni Michels, Friedrich Gnaß

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