Magazin für unabhängiges Kino
Filmwecker
Filmnotiz

Neue Notiz

Das Geheimnis von Neapel

Mystery & Stadtporträt

Ferzan Özpeteks Mystery-Thriller um eine Amour fou, einen geheimnisvollen Mordfall und ein Zwillingspaar ist vor allem eine Hommage an Neapel.

Mehr

Am Anfang stand ein Abendessen. Regisseur Ferzan Özpetek (HAMAM, MÄNNER AL DENTE) war bei einer guten Freundin zum Essen eingeladen, und traf dort eine Frau, mit der er sich auf Anhieb gut verstand und verquatschte, bis sie auf einmal sagte: „Oh Gott, ich muss los, ich muss früh aufstehen, ich muss morgen früh eine Leiche sezieren.“ Auf dem Filmfest München erzählt Özpetek, dass er sich sofort vorgestellt habe, was sie wohl denken würde, wenn sie ihn am Morgen auf ihrem Untersuchungstisch finden würde. Sechs Jahre später, nach einem mehrmonatigen Aufenthalt in Neapel, sollte diese kleine morbide Fantasie zum Ausgangspunkt des Mystery-Thrillers DAS GEHEIMNIS VON NEAPEL werden: Eines Abends lernt die Gerichtsmedizinerin Adriana (Giovanna Mezzogiorno) auf einer Party einen jungen Mann kennen. Ihre Blicke treffen sich immer wieder, und sie verbringen eine leidenschaftliche Nacht miteinander. Am nächsten Tag, einem Sonntag, erscheint Andrea (Alessandro Borghi) nicht zum vereinbarten Date, und am Montag wird eine neue Leiche bei Adriana eingeliefert. Das Gesicht ist verstümmelt, aber Adriana erkennt Andrea an einem Tattoo wieder.

Adriana ist von dem Vorfall tiefer erschüttert, als ein One-Night-Stand zu rechtfertigen scheint. Die Suche nach den Tätern und nach den Ursachen des Mordes führt in ein abgründiges Neapel aus engen Gassen, barocken Palazzi und erotischen Antiquitäten, und in eine großbürgerliche Halbwelt, in der Familiengeheimnisse und Hochkultur florieren, und die von Ferne an eine europäische Variante von Roman Polanskis ROSEMARY’S BABY-Satanisten erinnert. Als Adriana in einem Schatten Andrea zu erkennen meint, webt sich in den Kriminalfall eine psychologische Zwillingsgeschichte um Trauma, Verdrängung und Verarbeitung. Özpetek hat die Geschichte für und um Neapel herum geschrieben, das wie ein eigenständiger Protagonist agiert. „Neapel ist eine Stadt mit 1000 Gesichtern. Man muss bedenken, dass Neapel am Fuß des Vesuvs liegt, das heißt, die Beziehung zur Unterwelt und zum Tod ist schon geografisch in der Stadt verankert, und das spürt man auch. Aber man darf auch nicht vergessen, dass es eine Stadt der Sonne ist. Leider ist es einfach so, dass die meisten bei Neapel sofort an Mafia und Gomorrha denken, und ich wollte ihnen das Neapel zeigen, das ich erlebt habe, als ich zweieinhalb Monate hier gelebt habe.“

Für Özpetek, der von sich selbst sagt, dass er eine „Manie des Teilens“ habe, ist dieses Teilen von Erfahrungen mit anderen Menschen ein Teil seiner Motivation, Filme zu machen. Er hat mit Freunden und in den Wohnungen von Freunden gedreht, an Orten, die er für sich entdeckt hat, und ist auch während des Drehs für Überraschungen offen. So war die Gruppe von Blinden, denen Adriana begegnet, nicht geplant. Sie waren einfach unterwegs in Neapel, und weil sie so gut zu dem Augen-Motiv passten, das sich durch den Film zieht, hat Özpetek sie in den Film eingebaut. Wenn diese Offenheit für Zufälle die Stringenz des Krimi-Plots vernebelt und auf falsche Fährten führt, ist ihm das nur recht: „Was ich überhaupt nicht leiden kann, sind diese ganz durchgeplanten Detektivgeschichten. Ich mag es eigentlich nicht, wenn sich alles glatt auflöst.“ Neben dem Auge mäandert der Schleier als Lieblingsmotiv durch den Film. Er gibt ihm auch den Titel: NAPOLI VELATA spielt auf die berühmte Marmorskulptur „Cristo velato“ von Giuseppe Sammartino in der Cappella Sansevero an, die Christus unter einem durchsichtigen Schleier darstellt, der mehr preisgibt als er verhüllt. Die Legende erzählt, dass dem Künstler nach der Arbeit die Augen entfernt wurden, damit er keine Kopie des Meisterwerks anfertigen konnte.

Für Neapelbesucher*innen empfiehlt Özptek: Museo archeologico, den Cristo velato anschauen, die „Apotheke der Unheilbaren“, den Palazzo Mannajuolo - da spielt die Szene mit der Wendeltreppe. Pizza könne man eigentlich fast überall gut essen, besonders gut seien die Pizzeria La Notizia und die Pizzeria Sorbillo.

Hendrike Bake

Details

Originaltitel: Napoli Velata
Italien 2017, 113 min
Sprache: Italienisch
Genre: Thriller, Mysterie, Drama
Regie: Ferzan Ozpetek
Drehbuch: Ferzan Ozpetek, Valia Santella, Gianni Romoli
Kamera: Gianfilippo Corticelli
Schnitt: Leonardo Alberto Moschetta
Musik: Pasquale Catalano
Verleih: Prokino
Darsteller: Giovanna Mezzogiorno, Alessandro Borghi, Anna Bonaiuto, Isabella Ferrari
FSK: 12
Kinostart: 16.08.2018

Website
IMDB

Vorführungen

Keine Programmdaten vorhanden.

ALLE ANGABEN OHNE GEWÄHR.
Die Inhalte dieser Webseite dürfen nicht gehandelt oder weitergegeben werden. Jede Vervielfältigung, Veröffentlichung oder andere Nutzung dieser Inhalte ist verboten, soweit die INDIEKINO BERLIN UG (haftungsbeschränkt) nicht ausdrücklich schriftlich ihr Einverständnis erklärt hat.