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Colonia Dignidad

Flucht aus den Fängen der Foltersekte

Vor dem Hintergrund der deutschen klerikal-faschistischen Sektenkolonie „Colonia Dignidad“ in Chile, in deren Verließen Gefangene des Pinochet-Putschregimes gefoltert und ermordet wurden, inszeniert Floran Gallenberger einen effektiven Paranoia Thriller mit Daniel Brühl und Emma Watson in den Hauptrollen.

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Es gibt erstaunlich wenige Spielfilme über die Schweinereien, in die westdeutsche Regierungen und Regierungsbehörden international verwickelt waren. Dass erst 40 Jahre nach der Aufdeckung der Zustände in der religiös-faschistischen „Colonia Dignidad“ in Chile ein Film über die angebliche deutsche Musterkolonie, in deren Verließen Gefangene des Pinochet-Putschregimes gefoltert und ermordet wurden, entsteht, ist bezeichnend. 1976 hatte ein Report der UN die Kolonie des deutschen Evangelisten Paul Schäfer an erster Stelle einer Liste der chilenischen Foltergefängnisse genannt. Schon damals veröffentlichte der „Stern“ Aussagen von Junta-Gegnern, die in der Colonia gefoltert worden waren. Gute Beziehungen der Sekte zur CSU sowie zu den deutschen Botschaftern in Chile, Erich Strätling und Hermann Holzheimer, sorgten lange dafür, dass deutsche Behörden die kriminellen Machenschaften Schäfers und seiner Komplizen unterstützten.

Mittlerweile sind die siebziger Jahre nicht mehr völlig sakrosankt, aber COLONIA DIGNIDAD ist immer noch eine Ausnahme. Ein extrem spannender Politthriller, inszeniert von Florian Gallenberger, dessen letzter Film JOHN RABE im Jahr 2009 in vier Kategorien den Deutschen Filmpreis gewann und dreimal nominiert war. Dazu ist COLONIA mit Stars wie Daniel Brühl, Emma Watson und Michael Nyqvist besetzt – eine große Produktion für einen deutschen Film. Daniel Brühl spielt einen jungen deutschen Fotografen in Santiago de Chile, der mit den Sozialisten und Salvador Allende sympathisiert. Als er während des Militärputsches fotografiert, wird er festgenommen, mit tausenden anderen Demokraten ins Estadio Nacional verschleppt, geprügelt und gefoltert. Seine Freundin Lena (Emma Watson), eine deutsche Flugbegleiterin, findet heraus, dass er mit anderen Gefangenen in der dubiosen Colonia Dignidad gefangen gehalten wird. Lena tarnt sich den Vorstellungen der Sekte entsprechend und behauptet, der Colonia beitreten zu wollen. Dort spielt inzwischen ihr Freund Daniel den unverdächtigen Kolonie-Trottel, dem Elektroschocks das Gehirn geschmolzen haben. Bevor sie aber gemeinsam die Flucht planen können, müssen sie sich erst einmal wiederbegegnen, denn in der Colonia Dignidad sind Männer und Frauen streng getrennt. Nur der Colonia-Führer Paul Schäfer, den Michael Nyqvist mit beeindruckender Körpermasse und einer Stimme, die ebenso gut säuseln wie donnern kann, spielt, hat Zugang und Verfügung über alle Mitglieder der Colonia.

Gallenberger und sein Produktionsteam haben ganz offensichtlich sorgfältig recherchiert. Selbst Karten der Kolonie tauchen im Film auf und man mag sich durchaus darauf verlassen, dass die Darstellung des Terrorregimes Schäfers und die Regeln seiner Kolonie genau gezeichnet sind. Im Gegensatz zu Ti Wests ähnlich gelagertem Film THE SACRAMENT, einem Sekten-Thriller im Dokumentarfilmlook über Jim Jones und den Massenselbstmord in seinem „People´s Temple“ in Guyana, gelingt es allerdings kaum, den Reiz der Colonia für ihre Bewohner zu erklären. Nyqvists Paul Schäfer ist ein aufbrausender, perverser evangelikaler Faschist, der zwar hinreichend kalkulierten Wahnsinn ausstrahlt, aber es ist schwer vorstellbar, wie es irgendjemand auch nur eine Minute in der Umgebung dieses Monstrums ausgehalten haben soll. Die psychische Struktur der Sekte interessiert Gallenbergers Film nur am Rande, aber was er schildert, ist bezeugt: Jedes Gespräch bedeutet Gefahr, die gegenseitige Kontrolle ist absolut. Wahrscheinlich war die Colonia vor allem ein Herrschaftssystem, bei dem nur Schäfer und sein engsten Komplizen profitierten.

COLONIA DIGNIDAD ist vor allem ein straff inszenierter Genre-Thriller, der beweist, dass deutsches Genrekino durchaus irrsinnige Spannung erzeugen kann. Gallenberger gelingt es, schnell eine bedrohliche Atmosphäre zu schaffen, die zum Ende hin rasant eskaliert. Da erinnert COLONIA an die besten Paranoia-Thriller der siebziger Jahre, wie THE PARALLAX VIEW (1974, R. Alan J. Paluka, dt. ZEUGE EINER VERSCHWÖRUNG) oder THE CONVERSATION (1974, R.: Francis Ford Coppola, dt. DER DIALOG). Viel besser kann man das Finale eines Thrillers nicht inszenieren.

Paul Schäfer wurde 2005 in Chile verhaftet. Die Colonia Dignidad existiert weiter. Heute ist sie ein Anlaufpunkt für Touristen, die „deutsche Kultur“ erleben wollen, Oktoberfeste, Bierfeste, Blasmusik. Einige der ehemaligen Täter und Opfer sind wieder in Deutschland, unter anderem auch der Arzt Hartmut Hopp, der den Bewohnern der Colonia einst Psychopharmaka zwangsverabreichen ließ und in Chile wegen Beihilfe zum Kindesmissbrauch zu fünf Jahren Haft verurteilt wurde. Er lebt, bislang von der deutschen Justiz unbehelligt, in Krefeld. Nach Angaben des Juristenverbandes European Center for Constitutional and Human Rights aus dem Sommer 2015 liegen der Krefelder Staatsanwaltschaft alle Unterlagen der chilenischen Behörden vor. Chile hat die Vollstreckung des Urteils beantragt, seit 2011 ermittelt aber auch die Krefelder Staatsanwaltschaft selbst gegen Hopp.

Tom Dorow

Details

Originaltitel: Colonia
Deutschland / Luxemburg / Frankreich 2015, 110 min
Sprache: Englisch, Spanisch
Genre: Drama, Historienfilm, Thriller
Regie: Florian Gallenberger
Drehbuch: Florian Gallenberger, Torsten Wenzel
Kamera: Kolja Brandt
Schnitt: Hansjörg Weißbrich
Musik: André Dziezuk, Fernando Velázquez
Verleih: Majestic-Filmverleih
Darsteller: Emma Watson, Daniel Brühl, Michael Nyqvist
FSK: 16
Kinostart: 18.02.2016

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