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Carré 35

Extreme Verdrängung

Der in Algerien geborene französische Schauspieler Eric Caravaca spürt dem Schicksal seiner ihm unbekannten, früh verstorbenen Schwester nach und trifft auf zahlreiche Ungereimtheiten. Alle Bilder wurden vernichtet und Erinnerungen scheinen wie ausgelöscht.

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Der in Algerien geborene französische Schauspieler Eric Caravaca (Philipp Garrels LOVER FOR A DAY) spürt dem Schicksal seiner ihm unbekannten, früh verstorbenen Schwester nach. Dabei trifft er auf seltsame Ungereimtheiten. In den Erzählungen seiner Familie kommt sie nicht oder nur wenig vor, selbst alle Bilder von ihr wurden vernichtet, und Erinnerungen scheinen wie ausgelöscht. Im Mittelpunkt steht die Mutter, die nur widerwillig ihre Version der Ereignisse zum Tod seiner Schwester preisgibt. Schnell wird klar, dass sich Erinnerung und Realität nicht decken. Bei seinen beharrlichen Nachforschungen öffnet Caravaca verborgene Türen und entdeckt Gespenster der Vergangenheit, die auch ihn in seinem bisherigen Leben unbewusst begleiteten. Nicht nur an dieser Stelle stellt der Film ein wunderbares Lehrstück über die Tradierung von Schuld und Scham dar.
Bei der Suche nach den wahren Vorkommnissen wird, ausgehend von der Familiengeschichte und den komplexen Lebensumständen jener Zeit, zugleich die französische Kolonialgeschichte des 20. Jahrhunderts beleuchtet. Die Familiengeschichte spiegelt die politischen Zustände. So wie Caracavas Mutter Sicherheit und Schutz in der für Außenstehende kaum zu glaubenden Verweigerung findet, ihre Vergangenheit zu betrachten, scheint auch Frankreich nicht in der Lage zu sein, sich der Schuld seiner kolonialen Zeit zu stellen. Im Grunde erzählt Eric Caravaca eine Geschichte über die extreme Verdrängung von Vergangenheit, die dem Filmemacher einzig durch rücksichtslose Recherche eine minimale Chance eröffnet, sich und seine Biografie anzunehmen. Wenn es zum Schluss Anzeichen gibt, dass die Mutter ihre Vergangenheit akzeptiert, ist auch das nur der Eindruck eines Moments – nach wie vor, so der Filmemacher nach der Vorführung auf dem Filmfestival in München, weigere sie sich standhaft, den Film anzuschauen.

Michael Schmitz

Details

Originaltitel: Carre 35
Frankreich 2018, 67 min
Sprache: Französisch
Genre: Dokumentarfilm
Regie: Eric Caravaca
Drehbuch: Eric Caravaca, Arnaud Cathrine
Kamera: Jerzy Palacz
Schnitt: Simon Jacquet
Musik: Florent Marchet
Verleih: missingFILMs
Kinostart: 31.01.2019

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