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Burning

Träumerischer Fluss

Lee Chang-dong hat auf Basis von Murakamis Kurzgeschichte "Scheunenabbrennen" einen kongenialen Langfilm gedreht, der so klar und einfühlsam ist wie der unverkennbare Murakami-Schreibstil und dabei ebenso elegant mit Ungewissheiten jongliert.

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Die klare Sprache täuscht. Auf den ersten Blick scheinen die Geschichten von Haruki Murakami (Naokos Lächeln, Wilde Schafsjagd, Norwegian Wood) von betörender Schlichtheit. Beim genaueren Lesen und Einfühlen stellt sich dann heraus, dass es Murakami wie keinem Zweiten gelingt, atmosphärische Schwingungen und komplexe Zwischen-Gefühlszustände einzufangen. Sehnsucht, Warten, Zweifeln, Lieben. An dem Versuch, für seine Geschichten eine passende filmische Umsetzung zu finden, sind schon eine Reihe von Filmemachern gescheitert. Nun hat Lee Chang-dong auf Basis von Murakamis Kurzgeschichte Scheunenabbrennen einen kongenialen Langfilm gedreht, der so klar und einfühlsam ist wie der unverkennbare Murakami-Schreibstil, dabei ebenso elegant mit Ungewissheiten jongliert und die sich verändernden Schwebezustände seiner Protagonist*innen minutiös einfängt. BURNING war mittlerweile für über 100 Filmpreise nominiert und hat 35 gewonnen, darunter letztes Jahr in Cannes den Preis der internationalen Filmkritik.

In BURNING sieht man niemals die ganze Wahrheit. Schon die erste Einstellung zeigt eine verschlossene Tür: Das Heck eines weißen Lieferwagens füllt 2/3 der Leinwand aus, ganz rechts am Rand sieht man die Hand eines jungen Mannes (Yoo Ah-in), der, offenbar ans Auto gelehnt, eine Zigarette raucht. Die Kamera folgt ihm, immer etwas dichter als gewohnt, so dass sich das Umfeld nur in Ausschnitten erschließt, während er Ware in einem Ramschladen abliefert. Als er wieder heraus kommt, spricht ihn eine der beiden jungen Frauen an, die vor dem Laden Kundschaft anlocken sollen. Es ist Haemi (Jeon Jong-seo), die Jongsu aus der Grundschule kennt, auch wenn er sich zunächst nicht an sie erinnert. Später beim Bier bittet Haemi ihn, sich um ihren Kater zu kümmern, während sie auf eine Afrikareise geht. Alle paar Tage sucht Jongsu nun ihre Einzimmerwohnung mit Nordfenster und Blick auf den Seoul Tower auf und stellt dem Kater neues Futter hin. Das angeblich sehr schüchterne Tier bekommt er nie zu sehen.

Als Haemi aus dem Urlaub zurück kommt, ist sie nicht mehr allein. Am Flughafen hat sie Ben (Steven Yeun) kennengelernt, der etwas älter als die beiden ist, sehr souverän und offenbar sehr reich. Ständig spielt ein amüsiertes Lächeln um seine Mundwinkel. Als Jongsu, der Schriftsteller werden möchte und sich mit Nebenjobs durchschlägt, Ben fragt, was er macht, sagt Ben „Das würdest du nicht verstehen. Ich bin ein Spieler“. Virtuos inszeniert Lee Chang-dong die Dynamik dieser seltsamen Dreiergruppe, bei der die zwei Männer um Haemi kreisen, aber auch umeinander. Haemi ist eine Frauenfigur, wie sie oft bei Murakami vorkommt, verspielt, mysteriös, sehnsüchtig, beschädigt. Wie bei ihrem Kater, ist nicht klar, ob es sie eigentlich gibt, und ob die Geschichten, die sie erzählt sich je zugetragen haben. Als Haemi plötzlich verschwindet und ein makellos aufgeräumtes Zimmer hinterlässt, wächst in Jongsu ein grausamer Verdacht. Er beginnt, Ben zu verfolgen.

Lee Chang-Dong erzählt seinen „Thriller“ als ruhigen, träumerischen Fluss von Begebenheiten, Blicken, Orten. Sehr präzise und zugleich sehr poetisch. Das winzige verkrempelte Zimmer Haemis, der heruntergewirtschaftete Hof von Jongsus Vater, zu dem von der Grenze die Lautsprecherpropaganda Nordkoreas herüberweht, die glatten Oberflächen von Bens Porsche und Küchenarbeitsplatte... Die Welt, die Lee einfängt, hat eine ungeheure physische Präsenz und zugleich verdichtet sich die Erzählung immer wieder überraschend zu Momenten der Poesie, zu einem fast schmerzhaft intensiven Gefühl von Zärtlichkeit oder Sehnsucht, oder, umso verstörender, je länger der Film nachwirkt, Grausamkeit. So flüchtig, wie jener Sonnenfleck, den der Seoul Tower einmal am Tag in Haemis Zimmer spiegelt.

Hendrike Bake

Details

Originaltitel: Beoning
Südkorea 2018, 148 min
Sprache: Koreanisch
Genre: Drama, Mysterie
Regie: Chang-dong Lee
Drehbuch: Chang-dong Lee, Jungmi Oh
Musik: Mowg
Verleih: Capelight
Darsteller: Ah-in Yoo, Steven Yeun, Jong-seo Jeon, Joong-ok Lee
FSK: 16
Kinostart: 06.06.2019

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