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Becoming Animal

Der Stein schaut zurück

BECOMING ANIMAL ist ein Essay-Film über die posthumane Bewegung und die Ideen des Philosophen David Abram, der Wahrnehmung nicht als distanzierte Betrachtung, sondern als Interaktion von Mensch und Umwelt versteht.

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BECOMING ANIMAL ist ambitionierter filmischer Ausdruck einer philosophischen Bewegung der letzten Jahre, die versucht, das Verhältnis der Menschen zu ihrer nichtmenschlichen Umwelt neu zu denken. Die Bewegung findet in akademischen Zirkeln statt, die sich um Schlagworte wie Posthumanismus, Neuer Materialismus, Spekulativer Realismus oder Anthropozän formieren. Als gemeinsamer Antrieb lässt sich die Erkenntnis formulieren, dass zahlreiche globalpolitische Probleme bis hin zum Klimawandel ein grundlegendes Umdenken erfordern, welches über die Vermarktung technologischer Lösungen hinausgeht. Pragmatische Ansätze wie grüne Technologie und bewusster Konsum werden erst wirksam im Verbund mit einer Befreiung aus der konzeptuellen Isolation, in die sich der Mensch als vermeintlich einzigartige und alleinherrschende Spezies auf diesem Planeten manövriert hat.

BECOMING ANIMAL versucht erfolgreich, einen Weg aus dieser Isolation aufzuzeigen. Der Film, aus einer Zusammenarbeit der Filmemacher*innen Emma Davie und Peter Mettler mit dem Philosophen David Abram entstanden, setzt dazu bei den Grundfesten der menschlichen Selbstverortung in der Welt an – der sinnlichen Wahrnehmung, der sprachlichen Repräsentation und der technologischen Umhüllung.

Am interessantesten - und gleichzeitig am problematischsten – an diesem filmischen Essay sind die Ausführungen des Erzählers und Protagonisten David Abram zur sinnlichen Wahrnehmung. Abram versteht Wahrnehmung nicht als distanzierte Betrachtung, sondern als Interaktion von Mensch und Umwelt. Wir sind Teil der Welt, die wir wahrnehmen und die uns ihrerseits wahrnimmt. Wenn wir einen Stein sehen, wird unser Sehsinn erst durch die Erfahrung des Steins vollendet. Wenn wir einen Baum berühren, berührt auch dieser uns und erfasst die chemische Zusammensetzung unserer Haut. Erfahrung der Welt, ohne von ihr abhängig und mit ihr verbunden zu sein, ist unmöglich. Die Vorstellung von distanzierter Betrachtung und mithin physischer Distanz von der Umwelt ist also eine Illusion, welche die körperliche Teilhabe an der Umwelt und an ihren nichtmenschlichen Elementen verschleiert.

Diese Thesen werden in wunderbar stillen, bewegenden Szenen anschaulich, in denen Abram den von Mensch und Nicht-Mensch geteilten Raum der Wahrnehmung und Kommunikation erforscht. Vor seinem theoretischen Hintergrund erhalten schlichte Einstellungen von Bäumen, Wellen oder Schnecken eine eindrückliche Präsenz und eine bemerkenswerte Harmonie von Text und Bild entsteht. An anderer Stelle wird die tastende, einfühlsame Kamera plötzlich statisch. Sie hört auf, sich an das von ihr Gefilmte anzuschmiegen und erstarrt in klassischen Landschaftsaufnahmen. Der Eindruck wird noch verstärkt durch den Drehort, den amerikanischen Grand Teton Nationalpark – ein abgegrenzter Bereich, der "Natur" als mystisch-romantischen Ort außerhalb des menschlichen Lebensraumes konstruiert. Diese distanzierte Betrachtung der Landschaft macht das Grundproblem eines Projektes wie BECOMING ANIMAL deutlich: dass die Erfahrung einer körperlichen, immersiven und interaktiven Wahrnehmung durch das Medium Film nur sabotiert werden kann. Durch die Projektion auf eine zweidimensionale Leinwand wird die These einer Einbettung des Menschen in ein Netzwerk von Interaktion zurückgeführt in eine passive Betrachtung des Dargestellten. Den abgedunkelten Zuschauerraum kann die Präsenz des Nicht-Menschlichen schwer durchdringen; die Leinwand schaut nicht zurück.

Dann wiederum scheint eben dieser Widerspruch passend für das bisweilen vergeblich anmutende Drängen, eine Brücke zum Nicht-Menschlichen zu schlagen. BECOMING ANIMAL bleibt ein Versuch, und ist als solcher erfolgreich. Als Film kann er die Kluft nicht überbrücken – doch er kann einen Denkanstoß liefern, der mit genügend Nachdruck, und als Teil einer größeren Bewegung, vielleicht ein fundamentales Umdenken bewirken wird.

Yorick Berta

Details

Schweiz/Großbritannien 2018, 78 min
Genre: Dokumentarfilm, Tierfilm
Regie: Peter Mettler, Emma Davie
Drehbuch: Emma Davie, Peter Mettler
Kamera: Peter Mettler
Verleih: GM Films
FSK: oA
Kinostart: 29.08.2019

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