Einen Film wie Claire Denis‘ MIT LIEBE UND ENTSCHLOSSENHEIT hat es seit vierzig Jahren nicht mehr gegeben, nicht seit den frühen Filmen von Jacques Doillon, in denen junge, nackte Frauen (Sandrine Bonnaire), manchmal auch nackte junge Männer (Jaqcues Bonnaffé), aus emotionaler Überwältigung mit dem Rücken an Wänden herunterrutschten und erschöpft auf dem Boden sitzen blieben. Claire Denis‘ Figuren sind allerdings älter als die von Doillon. Juliette Binoche spielt Sara, eine Radiomoderatorin, die mit dem gerade aus dem Gefängnis entlassenen Jean (Vincent Lindon) zusammenlebt. Sie ist Ende fünfzig, er Mitte sechzig. Zu Beginn ist ihr Liebesglück im Urlaub kurz zu sehen, dann beginnt das Verhängnis. Sara sieht ihren alten Liebhaber François (Grégoire Colin) auf der Straße und bricht im Aufzug zusammen, während sie immer wieder seinen Namen stöhnt. Die Musik von Tindersticks verheißt den Untergang. François beginnt, sich wieder in Saras Leben zu wieseln. Einst waren François und Jean befreundet, bevor Sara François für Jean verließ. Jean scheint zu spüren, dass Sara François immer noch liebt, aber er führt beide dennoch zusammen. Zwischen François und Sara beginnt eine heimliche Affäre. Erfreulich ist an Denis‘ Film, dass hier Leute über 50 schön und sexy, leidenschaftlich und völlig durch den Wind sind. Denis‘ taucht in die Körperlichkeit ihrer Figuren ein und ist mit der Kamera ganz nah an den Gesichtern und Körpern der Superstars des französischen Kinos. MIT LIEBE UND ENTSCHLOSSENHEIT ist weniger ein romantischer Film, als dass es um Verletzungen geht und um ein unaufhaltsames Begehren, das Sara beinahe mechanisch mitzureißen scheint. Das ist weniger psychologisch, als es an den Anfall einer körperlichen Erkrankung erinnert. Die Pandemie ist allgegenwärtig.

Tom Dorow