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Als wir tanzten

Unbändige Energie

Für Merab ist der Irakli, der Neue am Georgischen Nationalballett zuerst ein Konkurrent. Doch dann kommen die beiden sich näher.

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„Wie ein Nagel“ solle er sich halten, „gerade wie ein Denkmal“ stehen, wird Merab von seinem Trainer aufgefordert. Der traditionelle Tanz, den er an der Akademie des Georgischen Nationalballetts einstudiert, ist eine ernste Angelegenheit: Dessen ist sich Merab (Levan Gelbakhiani) bewusst, sein unbedingter Wunsch ist, den einen freien Platz im Ensemble zu erhalten. Der Tänzer, um dessen Platz Merab ringt, musste gehen, nachdem er beim Sex mit einem Mann erwischt worden war, wird sich in den Pausen erzählt. Homosexuelle Liebe und Nationaltanz sind in Georgien noch eine brisante Kombination, das zeigen auch die Proteste und Demonstrationen anlässlich der Premiere des Films in Tiflis.

ALS WIR TANZTEN schlägt einen klassischen narrativen Bogen, dessen Wendungen keine großen Überraschungen bereithalten. Mit dem selbstbewussten Irakli (Bachi Valishvili) erscheint ein Neuer in der Ballettakademie, es kommt zwischen Merab und Irakli zu Begegnung, Faszination, Annäherung, dann Verunsicherung, Drama und Verletzung. Zum Glücksfall macht den Film etwas anderes: Levan Gelbakhianis unbändige Energie beim Tanzen und die langen Szenen, die ihn durch den Raum wirbeln sehen, seine Blicke, die so viel mehr aussagen, als sie es wollen. Die Anziehungskraft zwischen Merab und seinem Gegenpart Irakli, die Leichtfüßigkeit der beiden Hauptdarsteller und das strahlende Licht.

Man kommt nicht umhin, bei der Dynamik zwischen den beiden an Oliver und Elio aus CALL ME BY YOUR NAME zu denken: hier der ältere, selbstbewusste Mann und dort der sich soeben erst entdeckende Jüngere, der sich seiner Liebe dann jedoch schnell und ungestüm sicher ist. Der ältere Irakli kommt aus Batumi, trägt einen Ohrring und schert sich wenig um das, was andere von ihm halten. Schnell wird er in Merabs Clique aufgenommen, die Aufmerksamkeit der Frauen ist ihm sicher, für Merab ist er dagegen zuerst ein Konkurrent. Als sie eines morgens zu zweit ihre Tänze üben und sich langsam näherkommen, blickt Irakli Merab an, als wüsste er mehr über ihn, als dieser sich selbst eingestehen will. Im Auto, auf dem Weg zu einem Geburtstagsfest in den Bergen mit Wein und Tanz, läuft ein georgischer Song im Radio: Alle singen „Bist du etwa der Monat April, der nicht weiß, was er will?“ Irgendwann weiß es Merab: Nachdem er erst skeptisch, dann aufmerksam auf Irakli geblickt hat, kann er seine Gefühle bald nicht mehr aus seinem Blick verbannen: die stille Freude, als Irakli im Bus zur Schule auf seiner Schulter einschläft, das verliebte Grinsen, das ihm nicht aus dem Gesicht weichen will.

Das Ballett jedoch ist immer noch eine Bastion des Konservativismus, homosexuelle Liebe wird dort geächtet. Die rückwärtsgewandten Ansichten dort scheinen aus einer anderen Zeit zu stammen. Gleichzeitig, am anderen Ende des Spektrums tanzt sich Merab offenherzig durch die Tifliser Nacht, die iPhones und der Techno-Club Bassiani zeugen vom Heute. Der in Schweden geborene Regisseur Levan Akin spricht in einem Interview davon, dass er einen Film habe machen wollen, der ihn auf seine Kultur stolz sein lasse, „auch wenn dir manche Leute diktieren wollen, dass du kein Teil davon sein darfst, weil du nicht der Norm entsprichst.“ Eine Zeit lang versucht Merab, sich anzupassen. Er führt irgendeine Form von Beziehung mit seiner Tanzpartnerin Marit, in den Umkleidekabinen macht er mit bei den Männergesprächen, und auch die von ihm erwarteten Kraftakte im Tanztraining bringt er auf. Doch von Anfang an wirkt er zu anders und zu unangepasst: „Im georgischen Tanz gibt es keine Sexualität“, ermahnt ihn der Lehrer, als Merab und Marit mit zu viel Spaß an der Sache ein Duett tanzen. In flirrend schönen Bildern stellt ALS WIR TANZTEN dieser unbeweglichen Idee von Tanz, Nationalstolz und Männlichkeit eine lebensfrohe, bewegliche, vielfach schillernde Alternative entgegen, auch wenn die im gegenwärtigen Georgien – noch – nicht lebbar sein mag.

Lili Hering

Details

Originaltitel: Da chven vitsek'vet: And Then We Danced
Schweden/Georgien/Frankreich 2019, 113 min
Sprache: Georgisch
Genre: Drama, Tanzfilm
Regie: Levan Akin
Drehbuch: Levan Akin
Kamera: Lisabi Fridell
Verleih: Edition Salzgeber
Darsteller: Ana Javakishvili, Giorgi Tsereteli, Tamar Bukhnikashvili, Marika Gogichaishvili
FSK: 12
Kinostart: 23.07.2020

Website
IMDB

Vorführungen

Keine Programmdaten vorhanden.

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