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Alles ist gut

Vielschichtiges Porträt

Ein Klassentreffen. Man versteht sich gut, man betrinkt sich weiter zusammen. Als Martin übergriffig wird, ist Janne vor allem überrascht. Sie beschließt, so zu tun, als wäre nichts gewesen.

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Bei einem Klassentreffen lernt Janne (Aenna Schwarz) Martin (Hans Löw) kennen, den Schwager eines alten Bekannten (Tilo Nest), der ihr gerade einen neuen Job angeboten hat. Man versteht sich gut, man betrinkt sich weiter zusammen, es gibt viel zu lachen. Aber Martin will es dabei nicht belassen, wird plötzlich handgreiflich und als Janne schließlich merkt, wieweit das Ganze gehen wird, kann sie nur noch trocken „Echt jetzt?!“ fragen und muss auch schon forcierten Sex über sich ergehen lassen. Mit diesem „Echt jetzt?!“ drückt sie eine ungeheure Bandbreite an intensiven Emotionen aus: Überraschung, Unglauben, Wut, Verachtung sind allesamt gepackt in diese eine kurze Frage – und danach für Janne abgehakt. Denn so, wie sie sich während der Vergewaltigung der Rolle des flehenden Opfers verweigert, so rational will sie auch im Anschluss mit dem Vorfall umgehen. Denn Janne ist eine Frau, die sowohl in ihrer Beziehung zu Freund Piet (Andreas Döhler) als auch beruflich selbstbestimmt ihren Weg geht. Sogar als ihr Martin als neuer Kollege vorgestellt wird und, nun in jedem Sinne schrecklich ernüchtert und beschämt, wiederholt Abbitte leisten möchte, will sie weder seinen Entschuldigungen noch der Tat weiteren Raum gewähren. Diese für solche Erlebnisse ungewohnte Rationalität könnte befremdlich erscheinen, Aenna Schwarz spielt Janne aber mit solcher Intensität und Glaubwürdigkeit, dass man selbst in solchen Momenten ganz bei ihr ist. Ein Leben als Opfer passt einfach nicht zu Jannes Selbstverständnis und man möchte ihr wünschen, dass ihre Bewältigungsstrategie, die ja so gar keine sein soll, aufgeht. Aber Janne ist etwas widerfahren, das sich nicht einfach ignorieren lässt und auf jeden Fall Konsequenzen haben wird. Für sie. Für Martin. Für alle Bereiche ihres Lebens.

Regisseurin und Drehbuchautorin Eva Trobisch ist mit ALLES IST GUT ein aufwühlender Film gelungen, der sich weit entfernt von jeglichem Betroffenheitskino und ohne jeden Pathos der Komplexität seines Themas auf packende Weise nähert. Nicht alles wird sich dabei bis zum Schluss auflösen; im Gegenteil. Aber auch gerade in diesem Aspekt bleibt der Film realitätsnah und glaubwürdig. Seine Charaktere sind extrem vielschichtig, jedem einzelnen von ihnen folgt man auf einer emotionalen Achterbahnfahrt. Sie fühlen sich dabei so echt an, als könnten sie Bekannte oder Freunde sein. Und gerade darin liegt eine weitere besondere Stärke des Films. Die Vergewaltigung erfolgt dermaßen beiläufig und „unspektakulär“, auch noch durch einen eigentlich grundintegeren Menschen, dass man auf einmal zu erahnen glaubt, wie häufig derartige Situationen so oder so ähnlich passieren. Auch im Freundes- oder Bekanntenkreis.

Dadurch wird der Film, der lange vor der #MeToo-Debatte konzipiert wurde, zwar zu einem Repräsentant des Themas, aber einem, der die Erwartungen und Überzeugungen der Zuschauer*innen auch nach fast einem Jahr medialer Berichterstattung ins Leere laufen lässt. Denn nicht nur mit Janne und Martin, auch bei den Nebenfiguren und -handlungssträngen bricht Eva Trobischs Film mit Klischeevorstellungen zu Gewalterfahrungen und Täter-Opfer-Rollen. Getragen wird ALLES IST GUT dabei von einem bis in die Nebenrollen fantastisch besetzten Cast. Nach seiner Premiere beim Filmfest München wurde Eva Trobisch mit dem Förderpreis als beste Nachwuchsregisseurin ausgezeichnet. Aenna Schwarz bekam ihn als beste Nachwuchsschauspielerin verliehen. Beide Auszeichnungen sind hochverdient. Zu ihrer Figur hieß es in der Jurybegründung: „Janne ist eine Frau aus dem alltäglichen Leben, aber für das Kino noch eine sehr Unbekannte.“. ALLES IST GUT beweist, dass es ist dringend an der Zeit ist, sich mit Aenna Schwarz, Eva Trobisch und Figuren wie Janne im Kino vertraut zu machen.

Katharina Franck

Details

Deutschland 2018, 93 min
Genre: Drama
Regie: Eva Trobisch
Drehbuch: Eva Trobisch
Kamera: Julian Krubasik
Schnitt: Kai Minierski
Verleih: NFP
Darsteller: Aenne Schwarz, Andreas Döhler, Hans Löw, Tilo Nest, Lina Wendel
FSK: oA
Kinostart: 27.09.2018

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IMDB

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