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15 Jahre

Vergeltung oder Vergebung?

15 Jahre lang hat Borderlinerin und Musikgenie Jenny (Hannah Herzsprung) unschuldig in Haft gesessen. Wieder in Freiheit trifft sie in einer Talentshow auf den Mann, der für ihr Leid verantwortlich ist. Fortsetzung von Chris Kraus Drama VIER MINUTEN.

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Nachdem Jenny von Leoben (Hannah Herzsprung) in Chris Kraus‘ Drama 4 MINUTEN (2006) unschuldig in Haft saß, kommt sie in der Fortsetzung nun wieder auf freien Fuß.

Damals traf die 21-Jährige im Frauengefängnis auf die strenge Klavierlehrerin Traude Krüger. Als diese das einzigartige Talent der vermeintlichen Mörderin entdeckt, meldet sie sie bei einem Musikwettbewerb an. Das psychische Kräftemessen zwischen Schülerin und Lehrerin endet in vier ekstatischen Minuten am Klavier, bevor die junge Frau in Handschellen von der Bühne geführt wird. 15 JAHRE später findet Jenny nach ihrer Entlassung zunächst Zuflucht in einem christlichen Resozialisierungsheim. Doch der Versuch frommer Vergebung scheitert, als sie ihr alter Schulfreund Harry, schockiert vom Schicksal des ehemaligen musikalischen Wunderkindes, erneut an einer Talentshow anmeldet, diesmal zusammen mit dem syrischen Kriegsversehrten Omar (Hassan Akkouch). Als sich einer der Showjuroren (Albrecht Schuch) dann als ihr Exfreund herausstellt, der sie ins Gefängnis brachte, muss Jenny eine Entscheidung treffen: Vergeltung oder Vergebung?

Chris Kraus‘ Protagonist*innen sind innerlich und äußerlich gefangene Figuren, die auf unterschiedliche Weise mit ihrem Schicksal umgehen, aber ihre Begegnungs- und Freiräume in der Musik finden. Während die affektgesteuerte Jenny zwischen trotziger Resignation und zerstörerischer Wut quasi in „forte“ ihren Aggressionen freien Lauf lässt, wählte ihre Mentorin Trude in „piano“ den Weg eiserner Selbstdisziplin. Was Kraus‘ Frauenfiguren bei all dieser Bitterkeit fehlt, sind die weicheren, zarten Töne. Es scheint, als müsse der emotionale, optimistische und leider etwas weniger komplex gezeichnete Omar dies im zweiten Teil mit geballter Empfindsamkeit ausgleichen. Während der erste Teil dramaturgisch sorgfältig durchkomponiert war und wie ein Musikstück zwischen An- und Entspannung pendelte mit dem ein oder anderen Paukenschlag Jennys und ihrem fulminanten Klaviersolo am Finale, rückt die Fortsetzung ihre Figuren ins skurrile Neonlicht einer TV-Show-Welt, die fast wie eine Parodie wirkt. Auch ästhetisch reicht der zweite Teil an die grau-blaue Körnigkeit es ersten nicht heran, die mindestens ebenso unterkühlt und ausgewaschen wirkte wie seine Charaktere. Die Ausnahme sind einige starke Momentaufnahmen, wie etwa Jenny nonnengleich mit weißem Kopftuch an die Marmordecke des Konservatoriums blickend.

Karoline Kleist

Details

Originaltitel: 15 Jahre – 15 Years
Österreich 2023, 120 min
Genre: Drama
Regie: Chris Kraus
Drehbuch: Chris Kraus
Kamera: Daniela Knapp
Schnitt: Uta Schmidt
Verleih: Wild Bunch
Darsteller: Hannah Herzsprung, Hassan Akkouch, Christian Friedel, Marc Limpach, Adele Neuhauser, Désirée Nosbusch, Albrecht Schuch
FSK: 12
Kinostart: 11.01.2024

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