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Von jetzt an kein zurück

Rebellion und Gewalt

Deutsche Provinz, 1968. Ruby und Martin wollen nach Berlin abhauen. Doch der Plan misslingt und der Preis, den Ruby und Martin dafür zahlen, ist hoch: Ruby landet im geschlossenen katholischen Heim, Martin wird zum Arbeiten ins Moor geschickt.

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So erdrückend wirkte die bundesdeutsche Atmosphäre der sechziger und siebziger Jahre seit Margarete von Trottas DIE BLEIERNE ZEIT nicht mehr. Christian Froschs Film VON JETZT AN KEIN ZURÜCK beginnt als amour fou zwischen zwei Jugendlichen in der spießigsten Provinz 1967 und endet als ein Portrait der strukturellen Gewalt in den 60er und 70er Jahren. 1967: Ruby, die eigentlich Rosemarie heißt, ist das coolste Mädchen vor Ort, wird aber vom Vater mindestens geschlagen, wenn nicht Schlimmeres. Martin lebt mit seinem Vater, einem psychisch erkrankten Kriegsinvaliden, und der dementen Großmutter zusammen. Die Familie gilt als „asozial“. Ruby, Martin und ihr besser situierter Freund Harry hören „Beat-Musik“, experimentieren mit Drogen und freier Sexualität. Sie träumen von einer eigenen Band mit Ruby als Sängerin. Frosch zeigt den Generationen-Clash als unüberbrückbar. In seinem Film sind die braven Bürger der sechziger Jahre weniger Wirtschaftswunderkinder als Ex-Nazis. Autoritäre Gewaltstrukturen herrschen bis in die Familien hinein, in denen die „Familienoberhäupter“ jede Entscheidung trafen, ihren Frauen verboten, zur Arbeit zu gehen, und Prügel als legitime Erziehungsmaßnahme galt. Wehrmachtsdienstgrade sind immer noch geeignet, ein Hackenschlagen des Gegenübers einzufordern. Erziehungseinrichtungen existieren ausschließlich zur Formung von Untertanen, und dazu, ihnen die brutalen Gewaltstrukturen weiter zu geben.
Als Ruby und Martin zusammen abhauen, werden sie eingefangen und landen im Heim, Ruby wegen „sexueller Verwahrlosung“ und auf Wunsch ihrer Eltern, Martins Vater wird keine Wahl gelassen. Bei den „Barmherzigen Schwestern“ und den protestantischen Brüdern erfahren die Jugendlichen brutale, aber verschieden strukturierte Gewalt. Die Nonnen wollen den Mädchen den rechten Glauben mit Schlägen und Verboten einbläuen, das Männerheim ist militärisch organisiert, mit Dienstgraden und gebrüllten Kommandos. Die brutalste Gewalt herrscht hier unter den Zöglingen selbst. Im Mädchenheim scheint es schon eher Solidarität unter den jungen Frauen zu geben, dafür sind die Foltermethoden der Nonnen grausam: Ruby wird einmal mit einem Lederriemen um den Hals und an den Händen gefesselt stundenlang an die Wand in einer dunklen Kammer gekettet.
Martin sagt über einen jüngeren, freundlicheren Bruder, der seinen Namen von Adolf zu Rudolf ändern ließ, sagt: „Er ist Erzieher, und Erziehung ist immer Gewalt.“ Regisseur und Autor Christian Frosch nimmt genau die Einrichtungen aufs Korn, gegen die sich die ersten Proteste der späteren RAF-Gründer Baader, Ensslin und Meinhof richtete. Baader und Ensslin waren unter den Aktivisten, die 1969 gegen die Zustände im Erziehungsheim Staffelberg protestierten, Meinhof schrieb das Theaterstück BAMBULE über den Widerstand von Mädchen in einem Erziehungsheim. Froschs Film nimmt direkten Bezug auf die beginnende Radikalisierung der Apo und interpretiert sie als eine Nachwirkung tiefsitzender Gewaltstrukturen in der deutschen Gesellschaft nach dem zweiten Weltkrieg. VON JETZT AN KEIN ZURÜCK, teilweise in Schwarzweiß, teilweise in Farbe gedreht, wirkt gerade zu Beginn etwas didaktisch, entfaltet aber mit der Zeit eine melodramatische Wucht, die an Fassbinders Filme über die deutsche Geschichte erinnert. Ein bitteres Lamento über die Folgen und die Kontinuität gesellschaftlicher Gewalt, und angesichts der furchtbaren Pegida-Welle aktueller als wünschenswert wäre.

Hannes Stein

Details

Deutschland/Österreich 2014, 108 min
Genre: Drama
Regie: Christian Frosch
Drehbuch: Christian Frosch
Kamera: Frank Amann
Schnitt: Karin Hammer, Daniel Scheimberg
Musik: Andreas Ockert
Verleih: Edition Salzgeber
Darsteller: Ben Becker, Erni Mangold, Walfriede Schmitt, Victoria Schulz, Anton Spieker
FSK: 16
Kinostart: 12.03.2015

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