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Interview

„Der ästhetische Feind dieses Films ist ein naturalistisches Kino“

Interview mit Julian Radlmaier zu SELBSTKRITIK EINES BÜRGERLICHEN HUNDES

Julian Radlmaier, Jahrgang 1984, studierte an der dffb, war persönlicher Assistent von Werner Schroeter und hat deutsche Übersetzungen der Texte des französischen Theoretikers Jacques Rancière herausgegeben („Und das Kino geht weiter. Schriften zum Film“ (2012) und „Bela Tarr, Die Zeit danach“ (2013). Seine ersten Filme EIN GESPENST GEHT UM IN EUROPA (2013) und EIN PROLETARISCHES WINTERMÄRCHEN (2014) thematisieren die Klassengesellschaft: In GESPENST besucht der Geist des russischen Futuristen Wladimir Majakowski Berlin, in WINTERMÄRCHEN crasht eine Putzkolonne die Vernissage ihres Arbeitgebers. Auch Radlmaiers SELBSTKRITIK EINES BÜRGERLICHEN HUNDES, sein Abschlussfilm an der dffb, verhandelt Aspekte des Kommunismus. Toby Ashraf hat sich für INDIEKINO BERLIN mit Julian Radlmaier über seinen neuen Film, Kunst und Kollektive unterhalten.

INDIEKINO BERLIN: Es geht es in SELBSTKRITIK EINES BÜRGERLICHEN HUNDES um eine Klassengesellschaft, was ja bereits im Titel des Films angedeutet ist. Wir werden u.a. Teil einer Art Kolchose, die einen kommunistisch organisierten Aufstand auf einer kapitalistisch organisierten Apfelplantage plant. Mittendrin ist die angeblich kommunistische, aber eigentlich bürgerliche Figur des Filmemachers Julian. Was interessiert dich an der Idee des Kommunismus?


Julian Radlmaier: Auf der einen Seite ist Kommunismus etwas, was mich in meinen ersten drei Filmen beschäftigt hat. Mit jedem Film versuche ich Aspekte, die in den vorherigen Filmen nicht genug auftauchten, nochmal aufzugreifen oder zu präzisieren. Mein grundsätzliches Interesse hat einfach damit zu tun, dass die marxistische Tradition für mich nach wie vor den überzeugendsten Ausweg aus der düsteren politischen Situation weist, in der wir uns befinden. Aber natürlich kann man diese Gedanken nicht 1:1 aus dem 20. Jahrhundert übernehmen. Man kann aber trotzdem versuchen, in diesen Traditionslinien weiterzudenken. Was wir im Film machen, ist nicht der Versuch, diese Theorie mit einer philologischen Gründlichkeit aufzuarbeiten, ganz nach dem Motto: Das ist der Marxismus heute und gestern. Es geht darum, grundsätzliche Fragen zu stellen: Wie wird Arbeit in der Gesellschaft aufgeteilt? Welche Privilegien sind in der Gesellschaft verteilt? Und: Hat das auch mit meiner Position zu tun? Warum denke ich, dass ich Filme machen kann, und ein anderer muss...

...auf einer Plantage Äpfel pflücken.

Insgeheim ist es einem natürlich ganz recht, dass man selber sich mit schönen Dingen beschäftigen darf, und es immer andere sind, die in der Stahlfabrik schuften. Mein Alter Ego im Film schwärmt zwar von einer gerechteren Welt, hält im Ernstfall aber doch an seinem Klassenprivileg fest. Neben dieser Kritik der eigenen Bürgerseele geht es aber anderseits auch darum, sich der historischen Erfahrung mit jenen repressiven Systemen zu stellen, die sich selbst kommunistisch nannten und in denen einige meiner Darsteller*innen großgeworden sind. Deshalb träumen sie im Film von einem „Kommunismus ohne Kommunisten“.

"Es handelt sich um Figuren, die ihre Kraft aus merkwürdigen Gedankenspielen speisen"

Sind diese Ideen im Film konkret im Sinne einer Theorie oder doch eher Fantasien von dir? Das Spannende im Film ist ja, dass er sehr offen und gleichzeitig sehr präzise ist.

Der Film operiert letztendlich nicht als Lehrstück, das anhand von verschiedenen Repräsentant*innen eine bestimmte Theorie illustriert. Es gibt Figuren, die in einer unbefriedigenden Situation sind und anfangen, über Arbeitsverhältnisse nachzudenken, miteinander zu reden und sich vorzustellen, wie eigentlich die Welt anders strukturiert sein könnte: Wie könnte unser Leben besser sein? Diese Überlegungen versuchen sie auf eine Weise in die Tat umzusetzen, die vielleicht gar nicht so absurd ist, wie es zunächst scheinen mag. Das utopische Potential, das der Film ästhetisch zu verwirklichen versucht, liegt eben darin, dass er keine Menschen zeigt, die geknechtet oder gefangen sind in ihrer soziologischen Identität. Es handelt sich nicht um Arbeiterklischees, die ausweglos von Privatfernsehen und Rechtsradikalismus bestimmt sind, sondern um Menschen, die beginnen, ihren eigenen Verstand zu benutzen. Das passiert hier aber nicht im Sinne eines klischeehaften Idealismus, bei dem alle aufgeklärte Aktivist*innen werden. Es handelt sich vielmehr um Figuren, die ihre Kraft aus merkwürdigen Gedankenspielen speisen und dadurch überhaupt erst anfangen, die Wirklichkeit als etwas zu nehmen, mit dem man spielen kann und das man formen kann. In dieser politischen Fabulierkraft werden die Figuren sehr ernst genommen. Der gesellschaftliche Konsens wäre ja eher zu sagen, dass die Menschen dumm sind, und dass man Expert*innen braucht, um alles zu regeln. Man könnte also sagen, dass SELBSTKRITIK EINES BÜRGERLICHEN HUNDES auf eine Art ein humanistischer Film ist, darin aber marxistisch perspektiviert: Das Problem sind die ökonomischen Produktionsweisen der Gesellschaft, die kapitalistische Lohnarbeit.

Das oft Absurde der Geschehnisse macht ja deutlich, dass du ganz bewusst nicht an einer vermeintlichen Realität andocken willst. Ganz im Gegenteil: Du erfindest mehrere Universen, die aber gerade zu Anfang in einer relativ erkennbaren Berliner Bohème fußen. Der Film operiert zu Anfang an sehr erkennbaren Orten, bevor die Handlung dann auf einer Apfelplantage fortgeführt wird, die für mich auch einen Fantasieort darstellt, und damit das erkennbar Realistische verlässt.

Ich würde sagen, dass der Film insofern realistisch ist, als dass er in überzogener Form gesellschaftlich existente Strukturen, Macht- und Arbeitsverhältnisse abbildet. Wir befinden uns also nicht in einer Fantasiewelt, sondern im Jetzt, in einer historischen Realität, die porträtiert werden soll. Der ästhetische Feind dieses Films ist aber ein naturalistisches Kino. Ein großer Teil der Filme, die heute gemacht werden, behauptet ja, sich spiegelbildlich zu Wirklichkeit zu verhalten. Die Figuren müssen immer so sein wie in Soziologiebüchern steht, dass Menschen sind. Dann machen die Regisseur*innen zwei Jahre Recherche und versuchen herauszufinden: Was sagt eigentlich ein*e Arbeiter*in so? Worüber reden die? Was sind deren Themen? Ich finde, dass es ein dummer und fataler Ansatz ist, so an einen Film heranzugehen, weil man damit bestimmte Vorstellungen vom Menschen festschreibt. Was dabei herauskommt, ist, dass man denkt: Ein*e Arbeiter*in ist deshalb ein*e Arbeiter*in, weil sie so aussehen wie Arbeiter*innen. Solche naturalistischen Kurzschlüsse will mein Film eigentlich auflösen.

Das Berliner Hipster-Milieu des Filmemachers Julian hingegen ist ziemlich konkret gezeichnet.

Das ist so, weil es Leute sind, die die Rollenspiele der bürgerlichen Gesellschaft spielen, um nicht aus dieser heraus zu purzeln. Oder aber es geht darum, Macht auszuüben. Diese Hipsterwelt, zu der ja auch meine Figur gehört, besteht aus Menschen, deren Markt schrumpft, und die letztendlich vor allem damit beschäftigt sind, ihr gesellschaftliches Privileg zu verteidigen. Den dazugehörigen Gestus performen sie. Ich will damit Menschen zeigen, die ganz stark ihre Rollen ausagieren. Die Plantagenbesitzerin agiert zum Beispiel auch stark ihre Rolle aus. Die Arbeiter*innen in diesem Film hingegen haben keine sozialen Rollen, die ihnen irgendeinen Vorteil bringen - deshalb brauchen sie die auch nicht zu spielen.

"Ich suche nach etwas, das gleichzeitig sehr natürlich und sehr künstlich ist, gleichzeitig albern und pathetisch"

Du hast gesagt, dass du dieses Thema sehr ernst nimmst, aber gleichzeitig ist dein Film eine Komödie. Wie erklärst du das?

Ich finde, dass die Komödie eigentlich die intellektuellste Art des Filmemachens ist, ein Gedankenspiel, in dem alles erlaubt ist. In dem Moment, in dem ich beim Schreiben mit einer Idee humoristisch umgehe, durchdenke ich sie anders. Ich reproduziere sie dann nicht, sondern habe einen reflexiven, aber auch lustvollen Bezug zu ihr. Mir macht es Spaß, mich zu den Ideen, die im Film vorkommen, auf eine bestimmte Art spielerisch zu verhalten. Darin liegt vielleicht auch die Kraft der Figuren: Sie antworten auf Situationen wie eine Marx Brothers- oder Beckett-Figur, indem sie eigensinnig mit Sprache umgehen. Darin steckt für mich eine Widerständigkeit, die ich wichtig finde. Alle politischen Filme, die ich interessant finde, operieren mit diesen komischen Mitteln.

Du arbeitest sehr eng mit deinem Kameramann Markus Koob und anderen Partner*innen zusammen, und trotzdem ist Film, so sehr es eine gemeinschaftliche Arbeit sein mag, selten ein wirklich kollektiver Prozess. Wie sehr nimmst du dich als Filmemacher dann doch hinter deinem Film zurück?

Ich rede oft vom Wir, weil ich das Drehbuch zwar alleine schreibe, aber auf einer ersten Ebene des Schreibens schon immer im starken Dialog mit anderen Leuten stehe. Die ganzen politischen Fragen, die im Film stecken, diskutiere ich zum Beispiel mit Jan Bachmann, der künstlerischer Assistent und letztlich auch Ko-Regisseur war. Auch mit Markus Koob habe ich auch von Anfang an reflektiert, was wir machen und so bestimmte Aspekte mit ihm gemeinsam erarbeitet. Letztlich ist SELBSTKRITIK EINES BÜRGERLICHEN HUNDES kein kollektiver Film, bei dem man demokratisch darüber abstimmt, wie bestimmte Dinge gemacht werden. Aber es wurde viel diskutiert. Auch bei der Bildfindung habe ich – nicht, wie bei anderen Filmen, bei denen der Kameramann erst zwei Wochen vor Dreh ans Bord kommt – monatelang mit Markus überlegt, welche Bilder wir machen wollen. Es gab also vorher ein intensives gemeinsames Denken darüber, was dieser Film sein könnte. Zum anderen spielen auch viele Freund*innen von mir mit, weil ich zum Beispiel interessant finde, wie sie sprechen, aber auch weil ich wusste, dass ihre Präsenz den Film auf vielfältige Weise prägen würde. Das betrifft die Rollengestaltung oder auch einfach das Leben am Set. Dadurch baut sich der Film aus einer sehr großen Vertrautheit mit Menschen und Freundschaften auf. Die Grundidee ist, dass man mit Leuten aus dem eigenen Leben eine Art Welttheater konstruiert.

Der Film hat mit seinem 4:3-Bildern ein ungewöhnliches Kinoformat, zum anderen eine quasi bewegungslose Kamera. Deine Figuren werden zudem in zahlreichen Nahaufnahmen gemäldegleich porträtiert. Der Film wirkt zwar sehr locker, hat aber gleichzeitig eine sehr kontrollierte Form.

Es gibt in der Bildgestaltung zwei unterschiedliche Elemente. Zum einen sind da die Totalen, bei denen es darum geht, Ausschnitte aus der Wirklichkeit zu nehmen, die man interessant findet. Es gibt Figuren, die diese Bilder betreten wie eine Bühne und mit den Bildern ein Spannungsverhältnis oder einen Dialog eingehen. Das Gegenteil wäre zu gucken, wie sich Menschen im Raum verhalten, um im Nachhinein zu überlegen, wie sich die Kamera dazu verhält. Ich will nicht voyeuristisch durch ein Schlüsselloch bestimmten Geschehnissen zugucken, sondern klar konstruierte Räume erschaffen, in denen uns etwas vorgespielt wird. Da der Großteil der Darsteller*innen keine professionellen Schauspieler*innen sind, bringen sie eine widerspenstige Realität in den Film. Die Orte sind real, auch wenn sie durch bestimmte Ausstattungselemente stilisiert worden sind. Es schwankt also immer vom Dokumentarischen ins sehr Theatrale und wieder zurück. Daneben gibt es die Porträtaufnahmen, die eigentlich sehr seriell sind, denn alle werden aus den gleichen Kamerawinkeln gefilmt, um eine Gleichheit in der Behandlung der Darsteller*innen mit etwas sehr Individuellem zu kombinieren. Durch diese Art formaler Gleichheit kommen für mich die Eigenheiten der Leute umso stärker zur Geltung. Gleichzeitig gibt man den Menschen damit eine fast ikonische Präsenz, woraus eine gewisse Ernsthaftigkeit resultiert. Auch wenn jemand etwas Bescheuertes sagt, wirkt er in der Kadrierung nicht lächerlich. Das Bild nimmt die Figuren also sehr ernst, und doch sind es eindeutig fiktionale Figuren. Ich suche nach etwas, das gleichzeitig sehr natürlich und sehr künstlich ist, gleichzeitig albern und pathetisch. Dieses Spannungsverhältnis interessiert mich.

Das Gespräch führte Toby Ashraf