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Munch

Gefühl vor Konvention

Henrik Martin Dahlsbakkens MUNCH ist ein Wandelaltar mit vier Flügeln: in jedem ein Schauspieler, ein Drehbuchautor, ein bestimmendes filmisches Stilmittel als Verbeugung vor dem berühmtesten aller norwegischen Künstler.

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Henrik Martin Dahlsbakkens MUNCH ist ein Wandelaltar mit vier Flügeln: in jedem ein Schauspieler, ein Drehbuchautor, ein bestimmendes filmisches Stilmittel als Verbeugung vor dem berühmtesten aller norwegischen Künstler. Dahlsbakken klappt diesen Altar abwechselnd auf und zu, um den Expressionisten mit seinen eigenen Mitteln zu erzählen. Die jüngste, liebesgebeutelte Version Edvard Munchs wird dabei als Historiendrama im Freien, eine ältere in einer Nervenklinik artifiziell und in schwarz-weiß, die greise als Kammerspiel im Schnee gezeigt. Am interessantesten ist wohl die vierte Version, die ins zeitgenössische Berlin führt. Der Skandal, den seine Bilder in Deutschland auslösten, hatte den PR-bewussten historischen Munch entzückt – im Film schmettert es ihn nieder, inspiriert ihn gar zum ikonischen „Schrei“. Hier zeigt sich, wie weit Dahlsbakke bereit ist, für seine Vision von den Geschichtsbüchern abzuweichen: Expression, Atmosphäre und Gefühl haben Vorrang vor Naturalismus, Formtreue und Konvention – ganz wie beim gegen den künstlerischen Wilhelminismus rebellierenden Munch.
Das ist heute weder revolutionär noch ernstlich experimentell, es wurde merklich bei Todd Haynes I’M NOT THERE abgeschaut, und doch hat MUNCH einen wesentlich feineren und frischeren Nachgeschmack als das Groß der immer noch rollenden Biopic-Welle. Wenn Mattis Nyquist als 30-jähriger Munch bei einer Clubnacht einem Mann seinen Ärger ausschüttet, der wohl Anton von Werner sein soll, oder wenn Anne Krigsvoll als der gealterte, hustende Künstler sich renitent gegen die Deutschen wehrt: Dann sind das Szenen, die einem Denkmal für Munch gerecht werden. Würde MUNCH nicht gar so laut in das alte, überholte Horn stoßen, das Genie und Wahnsinn ständig verschränken will, wäre dem noch mehr Genüge getan.

Christopher Suss

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