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Die toten Vögel sind oben

Selbsternannter Forscher

Jürgen Friedrich Mahrt sollte eigentlich als Bauer das Land der Familie bestellen, fühlte sich aber dazu berufen, die Tier- und Pflanzenwelt Schleswig-Holsteins zu dokumentieren. 1928 eröffnete er auf dem Dachboden seines Hauses ein Naturkundemuseum.

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Seltsam der starre Blick des Raubvogels, direkt in die Kamera. Jürgen Friedrich Mahrt hat den Vogel in die Landschaft gesetzt, um ihn zu fotografieren. Es handelt sich um eines seiner vielen selbst angefertigten Präparate. 1928 hatte er auf dem Dachboden seines Hauses ein Naturkundemuseum eröffnet. Mahrt sollte eigentlich als Bauer das Land der Familie bestellen, fühlte sich aber dazu berufen, die Tier- und Pflanzenwelt Schleswig-Holsteins zu dokumentieren. Er beobachtete Vögel, fotografierte sie und stopfte sie aus, sammelte seltene Schmetterlinge und katalogisierte ihr Aussterben. Er hielt die Menschen dabei fest, wie sie ihren Lebensraum prägten, in dem sie das Moor trockenlegten, um Nutzland zu gewinnen. Urenkelin und Regisseurin Sönje Storm begleitet die Übergabe seines Nachlasses in die Hände von Expert*innen und erschließt uns die mit Hingabe angelegte Sammlung Mahrts. Wie lange muss es gedauert haben, mit einem hauchdünnen Pinsel jede Feder und jedes Blatt zu kolorieren. Wieviel Geduld, bis sich die Vögel an die Kamera gewöhnt hatten und ein Foto überhaupt entstehen konnte. Storm schafft mit ihrer Editorin Halina Daugird einen fast hypnotischen Sog, der uns in eine nicht mehr existierende Vielfalt abtauchen lässt.
Aber wer war dieser Jürgen Friedrich Mahrt? Ein Traumwandler, Künstler, Idealist? In seinen Tagebüchern findet sich nichts Persönliches über seine Zeit als Aufklärungsfotograf im Ersten Weltkrieg, auch keinerlei Poesie. Die entdecken Betrachter*innen in seinen Bildern. Aber war diese von Mahrt intendiert, oder entsteht sie durch einen sehnsüchtigen, nostalgischen Blick? Fast scheint es, der selbsternannte Forscher könnte ein früher Klimaaktivist gewesen sein, der wusste, dass die akribische Archivierung seiner Umwelt eines Tages für sich sprechen würde.

Susanne Kim

Details

Deutschland 2022, 83 min
Genre: Dokumentarfilm
Regie: Sönje Storm
Drehbuch: Sönje Storm
Kamera: Alexander Gheorghiu
Schnitt: Halina Daugird
Verleih: Real Fiction
Kinostart: 31.08.2023

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