Caravaggio gilt als einer der Begründer der Barockmalerei. Dramatische Lichteffekte, dynamische Perspektiven und ein neuer Realismus in der Darstellung menschlicher Gesichter und Körper verliehen seinen Gemälden eine neue Eindringlichkeit. Berühmt ist Caravaggio jedoch nicht nur für seine Kunst, sondern auch für sein Leben. Kontakte zu Ober- und Unterschicht gleichermaßen, Gerüchte über Bisexualität, mehrere Fluchten aus dem Gefängnis und ein Totschlag ließen ihn zum Archetyp des antibürgerlichen Künstlers werden. So wurde er 1988 zur Projektionsfläche für Derek Jarman, der mit dem Film CARAVAGGIO ein Denkmal für sexuelle und künstlerische Freiheit errichtete. Jarmans experimentelle Bildsprache und sein Gespür für die Sinnlichkeit, den Humor und die Theatralik von Caravaggios Kunst ließen die historischen Gegebenheiten schnell vergessen.
DER SCHATTEN VON CARAVAGGIO von Michele Placido bewegt sich hingegen in den Konventionen eines historischen Dramas. Die Haupthandlung folgt einem Inquisitor der katholischen Kirche (Louis Garrel), der Feinde und Freunde des Malers ausfragt, um sich ein Bild vom Charakter und Kunstschaffen Caravaggios (Ricardo Scamarcio) zu machen. In Rückblenden sehen wir den Maler als Sucher nach der Wahrheit, als Kämpfer gegen das Establishment, als gequältes Genie und als Freund der Armen und Verachteten. Besonders zu den Sexarbeiterinnen, die er als Modelle engagiert, unterhält Caravaggio gute Beziehungen. Schon Jarman hatte das Klischee wiederholt, dass Modell stehen ohne Sex mit dem Maler kaum zu haben sei. In DER SCHATTEN VON CARAVAGGIO werden allerdings nur die Beziehungen zu Frauen explizit gemacht und homosexuelle Neigungen auf ein dunkles Raunen beschränkt. Durch diese Selbstzensur und die konservative Inszenierung des Films entsteht der Eindruck, der Inquisitor sei auch hinter Placido her.

Yorick Berta