Magazin für unabhängiges Kino

Interview, News

„Viele Locations, ein paar Scheinwerfer und ein 65-seitiges Drehbuch“

Interview mit Regisseur Julius Schultheiß zu LOTTE

Seinen ersten Langfilm hat Julius Schultheiß ohne Filmförderung aus eigener Tasche finanziert. Es hat sich gelohnt: LOTTE wurde zur Berlinale eingeladen und erhielt auf dem diesjährigen Achtung Berlin Festival den Hauptpreis für den besten Spielfilm.
Christian Horn hat sich mit dem Regisseur über die Arbeit an LOTTE unterhalten.


INDIEKINO BERLIN: LOTTE ist unabhängig finanziert, ohne Förderung, aus eigener Tasche. Ich habe gelesen, dass du für den Film einen Bausparvertrag aufgelöst hast.


Julius Schultheiß: Ich habe anfangs versucht, in Hessen eine Filmförderung zu bekommen. Das Drehbuch war allerdings nicht ausgereift und daher gab es logischerweise eine Absage. Ich wollte den Film aber ziemlich schnell machen, ohne ewig auf Fördergelder zu warten. Also musste der Bausparvertrag aus meiner Jugend dran glauben. Mit dem Geld finanzierte ich die ersten 18 Drehtage. Für den zweiten Drehblock von 7 Tagen hab ich ein Crowdfunding aufgesetzt. Für die Postproduktion habe ich dann wieder eigenes Geld in die Hand genommen: speziell als die Zusage für die Berlinale kam, musste besonders für den Ton finanzieller Aufwand betrieben werden.

Crowdfunding ist ja so eine Sache. Meistens kommt das Geld von Freunden, Familie und Bekannten. Würdest du diesen Weg weiterempfehlen?

Bei größeren, der Gemeinschaft zuträglichen Projekten mag ein Crowdfunding sinnvoll sein, aber für ein eher kleines Filmprojekt ist das Konzept nicht so sehr geeignet. Da würde ich das Sammeln inzwischen eher über einen eigenen Blog laufen lassen. Dann muss man nichts an die Plattform abgeben, und letztlich muss man bei so einer Kampagne sowieso alle Leute persönlich anschreiben und immer am Ball bleiben. Und ja, am Ende läuft es dann auf Freunde und Bekannte raus.

Hat sich in punkto Finanzierung etwas für deinen nächsten Film ergeben, seit LOTTE in der Perspektive der Berlinale lief und bei achtung berlin ausgezeichnet wurde?

Ich habe zurzeit drei neue Projekte sprich Scripts in der Mache, die unterschiedlich weit fortgeschritten sind. Für das am weitesten gereifte Projekt habe ich im Juli eine Drehbuchförderung beantragt. Mal schauen, was dabei rauskommt.

Geht das neue Projekt in eine ähnliche Richtung wie LOTTE?

Das kommende Projekt, sofern es denn umgesetzt wird, soll ein Jugendkrimi in meiner Heimatstadt Marburg sein. Irgendwas zwischen KALLE BLOMQUIST LEBT GEFÄHRLICH und WENN DIE GONDELN TRAUER TRAGEN. (lacht)

Vielleicht haben gerade die Kompromisse das Projekt stärker gemacht

Du musstest als Produzent, Autor und Regisseur mehrere Funktionen am Set übernehmen. Ich kenne das von kleinen Filmprojekten, die ich mache, und finde das immer sehr kraftraubend.

Ja, der Dreh war ziemlich anstrengend für mich. Wir hatten eine sehr kleine Mannschaft und somit werden fremde Aufgaben auch mal mit übernommen. Da fragt man sich zeitweise schon, ob man überhaupt noch für die Regie zuständig ist. Die Arbeit mit den Schauspielern scheint dann plötzlich in den Hintergrund zu rücken. Das alles raubt viel Energie und bestimmt insgesamt sicher auch die Beschaffenheit des Films. Das muss alles nicht negativ sein, sondern kann auch Spannung freisetzen. Ich hoffe aber, dass ich die Departements bei weiteren Filmprojekten klarer verteilen kann, damit jeder seinen festen Bereich hat, auf den er sich konzentrieren kann. Ich glaube, das macht einen großen Unterschied.

Denkst du, die Produktionsbedingungen haben ihren Teil zu der Frische und Direktheit beigetragen, die LOTTE auszeichnet?

Teils teils. Wenn die Crew bei einem solchen Unterfangen mitmacht, bringt das eine gewisse Energie und Leidenschaft mit ans Set. Es machen eben nur Leute mit, die auch wirklich Lust drauf haben. Andererseits sehe ich im fertigen Film natürlich viele Kompromisse, die wir eingehen mussten. Vielleicht haben gerade diese Kompromisse das Projekt auch stärker gemacht. Ich weiß es bis heute nicht. Mit mehr Budget hätte ich einige Sachen bestimmt anders gemacht und der Film hätte womöglich an Qualität gewonnen. Die Direktheit und Spontanität in der Inszenierung muss ja nicht automatisch verloren gehen, wenn ein normales Budget mit im Spiel ist. Das hat ja ein sehr aktueller deutscher Film gezeigt.

Du hattest ein Drehbuch für LOTTE. Trotzdem wirkt manches improvisiert und erinnert im Ergebnis an die Filme des German Mumblecore. Würdest du LOTTE da einordnen?

Nicht wirklich. Beim Mumblecore geht es stark um die Arbeitsweise, das bewusste Improvisieren. Wir haben eher konventionell gedreht, mit vielen Locations, ein paar Scheinwerfern und einem 65-seitigen Drehbuch. Mit den Dialogen sind wir zwar ungezwungen umgegangen, doch wirklich improvisiert wurde nur, wenn uns die Umstände das aufgezwungen haben. Wenn etwa zu wenig Zeit war, haben wir die Eckpfeiler einer Szene genommen und nach zwei oder drei Proben gefilmt, ohne uns strikt ans Drehbuch zu halten.

In welcher Szene zum Beispiel?

Die Szene am Strand, wenn Greta Lotte und Marcel zusammenführt, haben wir komplett improvisiert. Im Drehbuch nahm die Szene fünf Seiten ein, aber wir hatten ein Zeitlimit für dieses Motiv und das betrug nur noch zwei Stunden. Also mussten wir das anders angehen. Im Film wirkt das aber gar nicht improvisiert, sondern mit den sparsamen Dialogzeilen eher lakonisch und geschrieben. Die Szene, in der sich Lotte und Greta besaufen, ist auch sehr dokumentarisch und sprunghaft gefilmt. Ein Saufgelage kann man auch schwer inszenieren. Man weiß zwar, wo man hin will, doch das lässt sich künstlich nicht so leicht herstellen. Insgesamt sind ein paar Szenen aus LOTTE improvisiert. Gut zwei Drittel kommen aber komplett ohne Impro aus.

Die Hauptdarstellerin Karin Hanczewski ist der Fixstern von LOTTE. Wann ist sie zu dem Film gestoßen?

Wir haben im Sommer 2014 gedreht, als Karin noch keine Kommissarin beim TATORT war. Sie hatte aber schon zahlreiche Auftritte in Film und Fernsehen. Ich kenne sie seit 2009, wir hatten ein paar kleinere Sachen an der Kunsthochschule gemacht. Ich hatte Karin von Anfang an im Kopf, als ich die ersten Drehbuchseiten geschrieben habe. Als die ersten zehn Seiten fertig waren, die die erste Nacht im Film umfassen, hab ich ihr das gezeigt. Man lernt Lottes Charakter da schon ziemlich gut kennen und erlebt sie in verschiedenen Situationen. Karin fand es sehr gut und war im Boot, „ermutigte“ mich dann aber auch sofort zum Weiterschreiben.

Wie lange hast du am Drehbuch gesessen und wie oft musstest du Szenen umschreiben, weil es der Dreh erforderte?

Das ist schwer zu sagen. Manchmal schreibt man eine Woche lang sehr intensiv an einem Drehbuch, dann legt man es wieder für einen Monat zur Seite. Ich schätze, so drei Monate hat das Schreiben insgesamt gedauert. Nach dem ersten Drehblock hab ich das Buch dann noch mal umgeschrieben und dem Material angepasst, das wir im Kasten hatten.

Das Gespräch führte Christian Horn