Interview
„Unterscheidungen in starke und schwache Typen kenne ich in meinem Umfeld nicht.“
Interview mit Fabian Stumm über SAD JOKES
Fabian Stumm (*1981 in Koblenz) studierte zunächst Schauspiel am New Yorker Lee Strasberg Theatre and Film Institute und trat als Theaterschauspieler unter anderem im HAU – Hebbel am Ufer, der Volksbühne Berlin und an den Münchner Kammerspielen auf. Seit 2007 ist er auch in Filmen zu sehen, darunter LORE (2012) von Cate Shortland und GROSSE FREIHEIT (2021) von Sebastian Meise. Seinen ersten Kinofilm als Regisseur drehte er 2023: KNOCHEN UND NAMEN verwob fiktionale Szenen mit realen Dialogen zum Psychogramm eines Künstlerpaares in der Krise. Stumms jüngster Film balanciert zwischen autobiografisch und fiktional, zwischen Slapstick-Komödie und Drama.
Pamela Jahn hat sich mit Fabian Stumm über SAD JOKES unterhalten.
INDIEKINO: Herr Stumm, in der Eingangssequenz Ihres neuen Films erzählen verschiedene Menschen vor der Kamera Witze. Welcher gefällt Ihnen persönlich am besten?
Fabian Stumm: Ich kann mich schwer entscheiden. Ich glaube, der mit dem Oktopus, obwohl er sehr lang ist. Die Frau, die ihn erzählt, ist meine Mutter. Sie ist die Komikerin in unserer Familie. Aber sie vertut sich, wie man sieht, gerne mal in der Pointe.
Was steckt hinter der Idee zu SAD JOKES?
Zugespitzt könnte man sagen, der Film ist aus einer gewissen Not heraus entstanden. Nachdem mein Regiedebüt KNOCHEN UND NAMEN so viel Zuspruch gefunden hatte und ich damit viel auf Reisen war, habe ich oft Ratschläge von Leuten bekommen, die schon weiter sind in diesem Beruf. Alle wollten mir sagen, was ich jetzt machen soll, worauf ich achten muss. Das hat mich irgendwann überfordert. In der Zeit habe ich angefangen, nebenbei kleine Skizzen zu machen, Notizen zu schreiben, manchmal nur Dialogfetzen festzuhalten, wenn ich nachts alleine im Hotelzimmer lag. Ich habe gemerkt, dass mir das Halt gab. Und nach einer Weile hat sich aus diesen losen Gedanken eine neue Geschichte geformt.
Was wurde Ihnen konkret geraten?
Mir wurde ganz oft gesagt: Der zweite Film, der wird die Hölle. Wenn der nicht sitzt, dann bist du gleich wieder weg vom Fenster. Daraus entstand letztendlich auch die fiktive Figur des Filmemachers Joseph in SAD JOKES, der bei seinem Produzenten sitzt und ihm zu erklären versucht, was er als nächstes machen will.
Hatten Sie Angst vor dem sogenannten Zweiter-Film-Syndrom?
Absolut, weil mir das Regieführen extrem viel Freude bereitet. Deshalb wollte ich nicht lange warten, auf die richtige Gelegenheit, den richtigen Stoff, das tollste Angebot. Für mich war es wichtiger, in meinem Tempo weiterzumachen und wieder mit den Leuten zusammenzuarbeiten, die ich kenne, denen ich vertraue.
Haben Sie sich nach KNOCHEN UND NAMEN diesmal bewusst für einen internationalen, weniger sperrigen Titel entschieden?
Nein, ich fand einfach, der Titel passt sehr gut. Aber ich weiß, worauf Sie anspielen. Bei KNOCHEN UND NAMEN gab es nach der Berlinale-Premiere im Kino International ein Q&A. Eine Frage aus dem Publikum lautete: „Gibt es noch die Möglichkeit, den Titel zu ändern?“ Der Zuschauer fand, es würde dem Film sonst das Genick brechen. Aber zu dem Zeitpunkt hatte ich mich schon in den Titel verliebt, gerade weil er so trocken und seltsam klingt. Erst wenn man sich den Film anschaut, versteht man, was er bedeutet. Ich mag es gern, wenn Sachen doppeldeutig und nicht auf den ersten Blick klar zu durchschauen sind.
Für mich funktionieren diese kleinen biografischen Anhaltspunkte ähnlich wie Sprungbretter...
Sie haben es schon erwähnt, im Zentrum von SAD JOKES steht ein Filmemacher, der an seinem neuen Projekt arbeitet. Wie autobiografisch ist der Film wirklich?
Ich finde es spannend, dass die Leute immer davon ausgehen, es sei alles eins zu eins. Was stimmt, ist, dass ich mir tatsächlich den Finger gebrochen habe, gleich nach dem zweiten Festival, auf dem KNOCHEN UND NAMEN lief. Ich bin dann die ganze Tour immer mit diesem Verband an der Hand rumgelaufen, musste sogar operiert werden, weil es ein komplizierter Bruch war. Aber das war eine der wenigen wahren Situationen. Ich habe mir beim Spielen mit meinem Hund den Finger gebrochen, nicht in einem Automaten. Und fast alles, was um Joseph herum passiert, ist natürlich komplett erfunden.
Joseph und Sonya leben zusammen, aber sie sind kein gewöhnliches Paar. Beide sind durch eine enge Freundschaft und ihren kleinen Sohn Pino verbunden, den sie gemeinsam aufziehen. Was steckt hinter diesem ungewöhnlichen Beziehungsmodell?
Das ist die andere große Parallele zur Realität. Ich unterstütze meine beste Freundin, die alleinstehend ist, bei der Erziehung ihrer zwei Kinder. Als sie schwanger war, haben wir uns zusammengesetzt und besprochen, wie das funktionieren kann. Die Situation ist eine andere, weil ich nicht der leibliche Vater bin, wie Joseph im Film. Meine Freundin ist auch nicht depressiv. Aber die Kinder sind ein extrem wichtiger Teil meines Lebens. Der kleine Justus, der in SAD JOKES meinen Sohn spielt, ist einer der beiden.
Am Ende gibt es vielleicht doch mehr Berührungspunkte mit Ihrem eigenen Leben, als Sie sich selbst eingestehen wollen?
Ich würde das so beschreiben: Für mich funktionieren diese kleinen biografischen Anhaltspunkte ähnlich wie Sprungbretter, die mich in andere Richtungen hin zu neuen Ideen und Geschichten katapultieren. Ich frage mich manchmal, ob das daran liegt, dass ich Regie und Drehbuch nie studiert habe, sondern ich immer nur für mich privat geschrieben habe. Momentan ist das einfach mein Weg: Mich in meinem eigenen Leben umzuschauen, zu beobachten, was um mich herum passiert, und einzelne Elemente davon so zu fiktionalisieren, dass das Publikum sich damit identifizieren kann.
"Ich genieße es sehr, wenn ich selber mitarbeiten darf als Zuschauer"
In Ihren Filmen zeichnen Sie immer wieder interessante Männerbilder. Was bedeutet Männlichkeit für Sie?
Ehrlich gesagt, denke ich darüber nicht so viel nach. Vielleicht hat es damit zu tun, dass ich in der Blase, in der ich lebe, vor allem von Männern umgeben bin, sowohl heterosexuell als auch homosexuell, die sich insgesamt nicht davor scheuen, eine gewisse Verletzlichkeit zu zeigen. Unterscheidungen in starke und schwache Typen kenne ich in meinem Umfeld nicht. Wenn ich ins Kino gehe, bin ich dann manchmal ratlos, warum das in den meisten Filmen nicht auch so abgebildet wird. Andererseits glaube ich nicht daran, dass es viel bringt, sich ständig zu beschweren. Wichtiger ist, dass man es anders macht.
Warum war es Ihnen ein Anliegen, die psychischen Probleme von Sonya ebenfalls in den Vordergrund zu stellen?
Ich denke, es ist ein großes Thema unserer Zeit, ein komplexes Thema, das in der Öffentlichkeit immer noch viel zu sehr unterrepräsentiert ist. Oder konkret: Ich denke wir machen es uns immer noch zu leicht, wenn es um darum geht, Depression im Kino ernsthaft und unverfälscht darzustellen.
Es wird im Film nie direkt erklärt, aus welchem Grund sie an der Krankheit leidet.
Es gibt Augenblicke, da bekommt man ein Gefühl dafür, was der Auslöser gewesen sein könnte. Aber ich will dem Publikum nicht vorgeben, was es denken soll. Das kann jeder für sich selbst beantworten. Ich wollte auch kein großes, eindeutiges Drama daraus machen. Für mich war das Entscheidende, unterschiedliche Tonalitäten parallel spielen zu lassen, die Komödie und den Schmerz gleichermaßen zuzulassen. Natürlich ist das immer ein Risiko. Erst lachen sich alle kaputt und darauf folgt eine acht Minuten lange Szene, wo jemand von seiner traumatischen Geburt erzählt.
Worin liegt für Sie der Reiz am episodischen Erzählen?
Ich genieße es sehr, wenn ich selber mitarbeiten darf als Zuschauer, wenn ich eine Geschichte präsentiert bekomme, die mir nicht bis ins kleinste Detail erklärt, wie die Zusammenhänge sind, was wie aufeinander aufbaut und wer mit wem wie in Beziehung steht. Wenn ich mir selber Gedanken machen muss, bin ich meistens viel näher dran.
Wie wirkt sich das auf Ihren Schreibprozess aus?
Für mich fühlt sich das oft so an, als würde ich ein Musikstück komponieren. Ich spiele kein Instrument, das bedaure ich schon lange. Aber wenn ich in einen Schreibfluss komme und das Gefühl habe, jetzt fangen diese Gedankenskizzen, von denen ich eingangs erzählt habe, plötzlich an, auf dem Papier zu leben, dann ist das, wie wenn man eine Melodie zum Klingen bringt. Und ganz oft merke ich, je mehr ich dann wieder rausnehme, Szenen streiche, auf Backstories verzichte, um so mehr kommt am Ende dabei heraus.
Ich wusste nicht, bin ich jetzt in dieses Mädchen verliebt? Oder will ich Carrie sein?
Wann wurde Ihnen bewusst, dass Ihnen die Schauspielerei allein nicht genügt?
Ich habe schon als Kind geschrieben. Erst wolle ich Maler werden, dann Schriftsteller, das war ganz klar. Ich war ein sehr schüchternes Kind. Also das Theaterspielen vor Fremden, das war überhaupt nicht meins, das konnte ich nicht.
Wie wurde daraus letztlich doch eine Leidenschaft?
Das Kino war schon von klein auf sehr präsent in unserer Familie. Als Teenager hat sich der Wunsch zu Spielen dann nach und nach entwickelt. Es heißt ja oft, wenn man als Kind schüchtern ist und viele Sachen nicht auslebt, ist das eigentlich der klassische Weg auf die Bühne.
Gab es einen Schlüsselmoment?
Ja, tatsächlich. Bei mir war das CARRIE von Brian De Palma. Ich war damals vielleicht acht oder neun Jahre alt. Wir hatten zuhause ein Filmbuch, darin war das berühmte Bild von der Schauspielerin Sissy Spacek zu sehen, wie sie blutüberströmt nachts auf der Straße steht. Ich fand das unheimlich gruselig und faszinierend zugleich. Irgendwann habe ich mit meiner Schwester heimlich den Film geguckt. Viel zu jung natürlich, um das irgendwie einzuordnen. Seitdem gab es ein Davor und ein Danach für mich in meinem Leben. Ich wusste nicht, bin ich jetzt in dieses Mädchen verliebt? Oder will ich Carrie sein? Oder habe ich einfach nur Angst vor ihr? Meine Mutter redet heute noch davon, dass ich sie daraufhin gefragt habe, ob sie Himbeersirup kaufen kann. Den habe ich mir dann unter der Dusche über den ganzen Körper gekippt, weil ich wissen wollte, wie sich das anfühlt, was Sissy Spacek vor der Kamera durchlebt.
Sie hätten neben der Schauspielerei auch parallel schreiben können, ohne selbst Regie zu führen. Warum war das keine Option?
Dafür bin ich dann doch zu eigenständig. Wenn ich schreibe, zeichne ich parallel schon die Storyboards und sehe alles ganz genau vor mir. Dann kann ich nicht mehr loslassen, weil ich genau weiß, wie ich das Licht möchte, den Rhythmus, die Bilder. Ich finde es zum Beispiel spannend, ein Close-up nur zu benutzen, wenn man einen Moment nicht anders erzählen kann. Eine Nahaufnahme ist oft die einfachste Variante, dabei gibt es so viele andere Möglichkeiten, eine Geschichte zu erzählen. Nicht immer den einfachsten oder offensichtlichsten Weg zu wählen, darauf kommt es mir an.
Ich möchte noch einmal auf den Humor im Film zu sprechen kommen. Wie leicht sind Ihnen die Slapstick-Einlagen gefallen?
Das war eine Herausforderung. Ich hatte große Lust darauf, aber ich weiß auch noch, wie ich manchmal nachts beim Schreiben gedacht habe: Oh Gott, wirklich? Kann man das so machen? Und kann ich das überhaupt spielen? Aber wenn ich Angst vor etwas habe, ist das immer ein gutes Indiz dafür, zu schauen, was dahinter steckt. Das ist bei mir schon immer so gewesen, egal in welchem Kontext, ob beruflich oder privat.
Ihr Film spielt in Berlin, ist aber kein Berlin-Film im engeren Sinn.
Stimmt. Ich mag den Gedanken, dass die Geschichte eigentlich überall spielen könnte, in jeder Stadt, sogar in fast jedem Land. Ich glaube nicht an Grenzen. Deshalb wollte ich den Film auf keinen bestimmten Ort reduzieren. Das lenkt nur vom Kern dessen ab, worum es eigentlich geht.
Das Gespräch führte Pamela Jahn.