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Feature, Filme

PASTELL MIT KANTE

DIE NEUEN TRENDFARBEN IM KINO

Farbdesign im Film folgt Trends. Nach Spielbergs SAVING PRIVATE RYAN (1998) waren zum Beispiel entsättigte Farben en vogue. Spielberg selbst orientierte sich offenbar an den Farb-Dokumentaraufnahmen von George Stevens, der die Invasion der Alliierten auf 16 mm-Film filmte, aber bald wurde das Farbdesign auch für alle möglichen Filmgenres benutzt: für dystopische Science-Fiction-Filme und Serien (THE ROAD, 28 DAYS LATER), Action- und Noir-Filme und psychologische Dramen. Der Trend ist noch nicht ganz vorbei und hallt beispielsweise im Nachwendekrimi FREIES LAND von Christian Alvart oder dem zwischen Naturalismus und Thriller angesiedeltem DER LETZTE MIETER von Gergor Erler, der im März ins Kino kommt, nach. In den 2010er Jahren war eine kurze intensive Zeit lang die „orange and teal“-Palette, bestehend aus einem satten Blau-Grün und dem komplementär leuchtenden Orange, vor allem in Action- und Superhelden-Filmen omnipräsent. Seit MAD MAX: FURY ROAD (2015) und BLADE RUNNER 2049 (2017) ist die Farbkombination allerdings kaum noch zu sehen.

Superheldenlieblingsfarben: Orange & Teal

Aktuell tauchen in Filmen wie LE MANS 66, ONCE UPON A TIME IN HOLLYWOOD oder WAVES extra-kraftvolle, fast psychedelische Farbtöne auf, entweder taghell strahlend, wie man sie aus den B-Filmen der Roger-Corman-Produktionen der 1960er Jahre (THE TRIP, 1967) kennt – oder die Nacht in Farbflächen tauchend wie in den italienischen Giallo-Filmen der 1970er (PROFONDO ROSSO, 1975). Andererseits gab es in den letzten Monaten eine ganze Reihe von Filmen, vor allem von Regisseurinnen, die auf Pastell und Weiß als bestimmende Farben setzen. EMMA von Autumn de Wilde, LITTLE JOE von Jessica Hausner, DIE PERFEKTE KANDIDATIN von Haifaa al Mansour, DAS MELANCHOLISCHE MÄDCHEN von Susanne Heinrich oder PARADISE HILLS von Alice Waddington, aber auch Ari Asters MIDSOMMAR bedienen sich mit vollen Händen bei den traditionellen, zarten „Mädchenfarben“ Hellblau, Hellgelb, Lindgrün und Rosa in allen Schattierungen von zart bis pink und versehen sie mit Kante.

Niedlichkeit und Fügsamkeit.

Auf der Suche nach historischen Vorbildern haben wir eine Ahnenlinie ausgemacht, die bei den quietschvergnügten Doris Day-Komödien beginnt. Dort konnotierten die Pastelltöne vor allem Niedlichkeit und Fügsamkeit, waren aber auch damals schon gepaart mit Witz und Selbstironie. So unbedarft und harmlos wie ihre Hütchen war Doris Day nie. Auch Alfred Hitchcock steckte seine Darstellerinnen gelegentlich in Pastell. Ausgerechnet in ihrem einzigen Film mit Hitchcock (THE MAN WHO KNEW TOO MUCH, 1956) tauscht Day allerdings die Pastellkleider, die sie am Anfang trägt, gegen ein graues Kostüm aus, und zwar in der Szene, in der ihr Lied „Que sera, sera“ James Steward den Weg zum gefangenen Sohn weist. Frauen, die handeln, entlässt Hitchcock aus der neurotischen Pastell-Falle.

Himmelblaue Depression: Betty Draper in Mad Men

In der epochalen Serie „Mad Men“ (2007-2015) feierten die Pastelltöne ein Wiedersehen in der Farbgestaltung der Garderobe und Lebenswelt von Don Drapers Ehefrau Betty. Deren himmelblaue Petticoat-Kleider und zartgelben Negligés waren direkt an die Doris-Day-Filme angelehnt, aber die fröhlichen Farben konnten die Lethargie und Depression, die den restriktiven Hausfrauenalltag regierten, nicht übertünchen, im Gegenteil, sie betonten sie noch. Betty und die anderen Ehefrauen gaben ihr Bestes, niedlich und häuslich zu sein, und gingen daran kaputt. Auch in PARADISE HILLS (2018) von Alice Waddington sind die Pastelltöne noch die Farben der Gewalt, die Frauen angetan wird: Aufmüpfige junge Frauen werden in einem angeblichen Umerziehungscamp, dass sich später als Mordfabrik herausstellt, in weiße Rüschenkleidchen gesteckt. Die Rebellinnen tragen ein schwarzes Punk-Ninja-Outfit.

Lichte Verstörung: LITTLE JOE

Das aktuelle Revival der Pastellfarben dagegen ist selbstbewusst und fröhlich und durchbricht die Farbstereotype statt sie lediglich zu kommentieren. Susanne Heinrichs Diskurspop-Film DAS MELANCHOLISCHE MÄDCHEN (2019) reklamiert die Pastelltöne (leicht ins Neon gehend) einerseits als Powerfarben, andererseits scheint deren Blassheit aber auch von einer Art Verschwommenheit des aktuellen Feminismus und Antikapitalismus zu erzählen – sehnt sich die Hauptperson doch nach den klaren, kämpferischen Positionen der 1980er Jahre. Die Pastelltöne in Jessica Hausners LITTLE JOE (2019) sind dagegen etwas schräg, pastellorange und fies hellgrün beispielweise, und verstärken die extreme Seltsamkeit des lichten „Horrorfilms“, in dem eine Pflanze beginnt, die Gefühle der Menschen, die mit ihr in Kontakt kommen, zu manipulieren. EMMA (2020) von Autumn de Wilde wiederum ist vor allem ein großes Fest in Regency-Farben, deren leicht manische Qualität noch durch die überbordende Ornamentik von Kleidern, Tapeten und Blümchenarrangements verstärkt wird. Damit ist Autumn de Wilde den Doris-Day-Komödien eigentlich schon wieder recht nahe – mit dem kleinen Unterschied, dass ihre Hauptperson nichts weniger sein möchte, als niedlich und anschmiegsam.

H. Bake/T. Dorow