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Interview

„Ohne Humor könnte ich nicht arbeiten. Ich hätte das Gefühl zu ersticken“

Interview mit Bong Joon-ho zu PARASITE

Bong Joon-Ho ist einer der aufregendsten Genre-Regisseure des aktuellen Kinos. Sein neuer Film PARASITE hat bei den Internationalen Filmfestspielen in Cannes die Goldene Palme gewonnen. Erstes internationales Aufsehen hatte Bongs Monsterfilm THE HOST erregt, SNOWPIERCER war bereits eine internationale Produktion mit Starbesetzung. Nach seinem Netflix-Film OKJA kehrt Bong mit PARASITE nach Korea und auf die große Leinwand zurück. Für INDIEKINO sprach Pamela Jahn mit dem Regisseur.

Erinnern Sie sich noch an Ihre allererste Idee zum Film? Was war der Auslöser?


Der Ansatz ist bei jedem Film ein anderer und er lässt sich nicht immer genau definieren. Bei MOTHER beispielsweise fing alles mit der Schauspielerin an. Ich wollte unbedingt einen grotesken Film mit ihr drehen. Und bei The Host war es Loch Ness. Ich bin seit meiner Kindheit von der Sage um das Monster fasziniert gewesen, das heißt, auch da gab es einen klaren Ausgangspunkt. Im Hinblick auf PARASITE war die Sache jedoch etwas verschwommener, mehr wie ein Fleck auf der Hose. Wissen Sie? Man kommt nach Hause und entdeckt einen Fleck auf der Hose, aber man hat keine Ahnung, wo der herkommt. Und irgendwie war er immer schon da. So ähnlich war es auch mit dem Film. Ich erinnere mich, dass ich bereits 2013 mit Leuten in meinem Umfeld über die Idee gesprochen habe.

Was haben Sie den Leuten damals gesagt?

Vor sechs Jahren lautete der Arbeitstitel noch „Decalcomania“ und die Grundidee bestand darin, zwei Familien zu porträtieren, die jeweils aus vier Familienmitgliedern bestehen. Und jedes Familienmitglied war gewissermaßen wie ein Abziehbild der entsprechenden Person aus der anderen Familie. Ich wusste, ich wollte eine reiche und eine arme Familie gegenüberstellen und schauen, was passiert, wenn man die jeweiligen Familienmitglieder untereinander austauscht. Es ging mir um die seltsam groteske Situation, die dabei entsteht. Man könnte also durchaus sagen, dass die gesellschaftliche Problematik, die Klassenunterschiede und der politische Hintergrund bereits in dieser ersten Version des Films vorhanden waren.

Wenn der Regisseur von THE HOST einen neuen Film mit dem Titel PARASITE ins Kino bringt, vermutet man zunächst einen weiteren Sci-Fi- oder Horrorfilm. Hatten Sie bedenken, der Titel könnte die Zuschauer in die Irre führen?

Der Originaltitel von THE HOST bedeutet in Korea eher „Monster“, aber natürlich läuft man im Englischen Gefahr, dass die Leute eine Verbindung herstellen und annehmen, dass es sich eventuell um ein Sequel handelt. Ich habe vorab immer dazu sagen müssen, dass dem nicht so ist. Und trotzdem gibt es immer noch Menschen, die davon ausgehen, dass es sich um einen in dem Sinne klassischen Genrefilm handelt. Es gab sogar einen Journalisten, der die Schauspieler fragte: „Wer von ihnen hat einen Parasiten im Körper?“ Woraufhin ich antwortete: „Wir sind alle clean. Und sehr reinlich. Wenn es um Hygiene geht, sind wir alle perfekt.“

Ihre Filme lassen sich allgemein schwer einordnen. Wie finden Sie für sich persönlich das Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Genreelementen, die Ihren Arbeiten jeweils eingeschrieben sind?

Ich sehe mich als Genre-Regisseur. Manchmal halte ich mich an die Konventionen des jeweiligen Genres und manchmal unterlaufe ich sie. Aber ich finde nicht, dass ich jemals zu weit außerhalb der vorgegebenen Genregrenzen agiere. Und ich fühle mich ehrlich gesagt auch wohler, wenn ich mich innerhalb der Grenzen bewege. Was nicht heißen soll, dass die Art und Weise, wie ich Genre in meinen Filmen verwende, etwa dem typischen Hollywood-Stil gleichkommt. In der Hinsicht, denke ich, bekommt man eher den Einfluss meiner koreanischen Wurzeln zu spüren. Andererseits sind die Emotionen, die der Film freisetzt, etwas, dass jeder Mensch nachvollziehen kann, der ein Herz hat. Es sind universelle Gefühle. Für mich ging es in Parasite in erster Linie um ein seltsames Gefühl von Traurigkeit, viel mehr als um Rache. Ki-woo beispielsweise, der Sohn in der armen Familie, wird eigentlich nie richtig wütend, obwohl er mitunter extremen Situationen und extremer Armut ausgesetzt ist. Er akzeptiert das alles einfach. Und wenn man den Film aus seinem Blickwinkel betrachtet, dann bekommt man dieses Gefühl von Traurigkeit intensiv zu spüren.

Ich denke nicht, dass es in dem Film klare Schurken und eindeutige Opfer gibt.

Im Gegensatz zu der Traurigkeit, von der Sie sprechen, steht der Humor, der in PARASITE ebenfalls greift und auch aus Ihren anderen Filmen nicht wegzudenken ist. Fällt es Ihnen leicht, den richtigen Ton zu finden für die Geschichten, die Sie erzählen?

Das ist ein sehr instinktiver Prozess. Ich bin mir nie genau bewusst darüber, welche Elemente ich wie miteinander verblende. Das ist wie bei einem Barkeeper. Ich habe keine konkreten Maßeinheiten, weiß nicht genau, wieviel Whisky in den Drink gehört. Man gibt eine bestimmte Menge ins Glas und das ist die Menge, die man für richtig hält. Aber es stimmt, ein sehr wichtiges Element in meinen Filmen ist der Humor. Ich glaube, ohne Humor könnte ich nicht arbeiten. Ich hätte das Gefühl zu ersticken.

Sie haben es bereits angesprochen: In Ihrem Film geht es um Klassenunterschiede, es geht um die Kluft zwischen Reich und Arm, aber auch um die Widersprüche im System.

Auch wenn ich es nicht klar ausspreche, geht es um Polarisierung. Die Kluft zwischen Arm und Reich ist offensichtlich. Aber die Frage, die auf der Hand liegt, ist doch: Warum wird diese Kluft auch trotz all unserer Bemühungen und den Verbesserungen, die wir am System vornehmen, nicht kleiner? Ich trage eine Angst in mir, die sich genau aus dieser Frage nährt, und die letzte Szene im Film spielt darauf an. Nicht die Tatsache, dass es extreme Klassenunterschiede gibt, ist beängstigend, sondern die Vorstellung, dass wir das Problem auch in der Zukunft nicht lösen werden, nicht in unserer Generation und nicht in der Generation unserer Kinder. Darauf spielt der Film an, wenn der Sohn sich vornimmt, dass er eines Tages das Haus kaufen wird. Er ist erfüllt von Entschlossenheit, aber als Zuschauer und mit etwas Abstand betrachtet, zweifelt man daran. Es scheint von vornherein ein Ding der Unmöglichkeit zu sein, und das macht die Sache so traurig, Wie haben einmal tatsächlich durchgerechnet, wie viele Jahre er bei einem durchschnittlichen Einkommen und ohne große Ausgaben sparen müsste, um das Haus zu kaufen. Er würde 547 Jahre brauchen.

Wenn man davon ausgeht, dass beide Familien in gewisser Hinsicht als Parasiten verstanden werden können, welche Form ist schädlicher?

Es stimmt, ich sage oft, dass die wohlhabende Familie ebenfalls als Parasiten gesehen werden könnte. Die Geschichte dreht sich um die arme Familie, die sich im Haus der Reichen einnistet. Aber es geht auch darum, dass die reiche Familie die arme in ihr Leben hineinzieht, weil sie sonst nicht zurechtkommen würden. Sie brauchen jemanden, der sie chauffiert, der den Abwasch macht, und in der Hinsicht sind auch sie Parasiten. Ich denke, gefährlicher sind nicht die, die in die Ecke gedrängt und zum Parasitendasein getrieben werden, sondern diejenigen, die mit Absicht versuchen, den anderen das Blut auszusaugen. Und wer ist das wohl in diesem Film? Andererseits darf man es sich auch nicht zu einfach machen. Ich denke nicht, dass es in dem Film klare Schurken und eindeutige Opfer gibt.

Bong Joon-ho selbst ist das Genre.

In SNOWPIERCER war es der Zug, in PARASITE kommt der Villa der reichen Familie ein ganz eigener Charakter zu. Worauf kam es Ihnen bei der Architektur des Hauses an?

Beide Häuser, die Villa der reichen und die Untergeschosswohnung der armen Familie sind Sets, die wir eigens für den Film gebaut haben. Und da zirka 60 Prozent der Handlung im Haus der Reichen stattfindet, wurde es schließlich zu einem weiteren Protagonisten im Film und bedurfte sehr genauer Planung. Zu dem Zeitpunkt, als das Drehbuch fertig war, stand für mich im Grunde auch die Architektur des Hauses fest. Ich fertigte eine einfache Zeichnung an, die ich an den Production Designer weiterreichte. Aber als der meinen Entwurf zu einem echten Architekten brachte, schimpfte der nur: „Niemand baut so Häuser. So einen Ort kann’s gar nicht geben.“ Mit anderen Worten, der Production Designer hatte keine leichte Arbeit, zwischen meiner Vorstellung und den Anweisungen des Architekten ein Haus zu bauen, dass einerseits die Struktur aufwies, die ich wollte, und andererseits echt und realistisch aussah. Und ich finde, er hat die Sache großartig gemeistert, aber es gibt sicher Architekten, die den Film sehen und denken, das geht gar nicht

Wieso?

Keine Ahnung, aber Architekten sind merkwürdige Menschen. Ich war begeistert von dem Haus. Ich würde sogar selber gerne in so einem Haus wohnen. Aber sie haben nur gesagt: „Das ist lächerlich. Komplett bescheuert.“ Verrückt, oder?

Abgesehen von dem Haus, welche der Figuren ist Ihnen besonders ans Herz gewachsen?

Ich hoffe, die Schauspieler lesen das Interview nicht. Und ich muss auch sagen, ich mag eigentlich alle Figuren und alle Schauspieler im Film. Aber da wir ja hier nicht in Korea sind und es keiner von ihnen mitbekommt: Wenn ich ganz ehrlich bin, mochte ich Moon-gwang am meisten, die ursprüngliche Haushälterin. Sie ist diejenige, die den Film plötzlich von einem Moment auf den anderen komplett auf den Kopf stellt. Und als Schauspielerin hat Lee Jung-eun etwas sehr Merkwürdiges, Unheimliches an sich. Wenn man mit ihr filmt, weiß man nicht, was sie fünf oder zehn Sekunden später tun wird. Sie trägt einen sehr animalischen Instinkt in sich.

Nicht wenige Kritiker vergleichen Ihren Film gerne mit anderen aktuellen sozialkritischen Werken wie SHOPLIFTERS von Hirokazu Kore-eda und US von Jordan Peele. Fordert die aktuelle politische Lage weltweit derzeit wieder eine größere Auseinandersetzung mit Themen dieser Art?

Ich habe Jordan Peeles Film leider noch nicht gesehen, aber ich war sehr überrascht, als ich den Trailer zum ersten Mal sah, weil darin auch eine Art Abziehbild vorkommt. Und wie gesagt, war das meine ursprüngliche Idee zum Film. Aber denke ich, dass wir als Regisseure und Künstler im Grunde gar keine andere Wahl haben, als uns mit der Zeit auseinanderzusetzen, in der wir leben. Wir sind ergriffen von dem, was um uns herum passiert. Ich kenne weder Peele noch Hirokazu persönlich, aber als Schöpfer künstlerischer Werke lassen wir uns alle von der gleichen Zeit inspirieren - jeder auf seine Weise und nach seiner Überzeugung.

Welchem Genre würden Sie Ihren Film am ehesten zuordnen?

Ich würde sagen, PARASITE ist eine schwarze Horror-Komödie-Action-Gesellschaftssatire. Aber mein amerikanischer Verleiher schickte mir neulich eine Rezension, in der es heißt: „Bong Joon-ho selbst ist das Genre.“ Das gefällt mir eigentlich am besten.

Das Gespräch führte Pamela Jahn