Magazin für unabhängiges Kino

Feature, Filme

Lieblingsfilme 2019

Die Favoriten der INDIEKINO-Autor*innen

Wir haben unsere Autor*innen nach ihren Lieblingsfilmen, die 2019 im deutschen Kino gestartet sind, gefragt. Die Ergebnisse sind erstaunlich unterschiedlich und einige haben uns ziemlich überrascht. Klarer Favorit mit drei Nennungen ist Céline Sciammas PORTRÄT EINER JUNGEN FRAU IN FLAMMEN, gefolgt von Lee Chang-dongs BURNING. Durch eine Mehrfachnennung hat sich auch noch der JOKER in die Liste der mehr als einmal genannten Filme hereingetrickst.

Katharina Franck: PORTRÄT EINER JUNGEN FRAU IN FLAMMEN, Céline Sciamma
Allein über die Blicke, die in Céline Sciammas jüngstem Werk fallen, möchte man am liebsten tausend Worte verlieren. Aber selbst die würden nicht ausreichen, einen Film zu beschreiben, der so berührend, elektrisierend und aufregend ist, so grandios gespielt und in Szene gesetzt und von universeller Schönheit und Dramatik wie PORTRÄT EINER JUNGEN FRAU IN FLAMMEN. Also am besten weder weitere Worte noch Zeit verschwenden und einfach noch(mal) anschauen gehen!

Yorick Berta: JOKER, Todd Phillips
Dass Joaquin Phoenix es schafft, die durch Heath Ledger mythisierte Rolle des Jokers so selbstbewusst neu zu besetzen, ist an und für sich schon eine Leistung. Dass der Film komplett auf den Heros Batman verzichtet, um seinen Gegenspieler so komisch wie einfühlsam zu konturieren, eine weitere. Das Schwanken zwischen comichafter Überzeichnung und psychologischem Realismus macht JOKER dabei eher interessant als unglaubwürdig.


Susanne Stern: LEID UND HERRLICHKEIT, Pedro Almodóvar

Künstlernabelschau und Allgemeinmenschliches, Selbstmitleid und echter Schmerz, Geschichten über Liebe, Freundschaft, Kindheitsglück und Erwachseneneinsamkeit. Gelacht, geweint, gedacht, gefühlt und am Ende am liebsten alles nochmal sehen wollen - Kinoglück, gemacht aus vielen Jahren Leben mit dem Kino, gefilmt mit alten Freunden.

Yann Gonzalez feiert das Kino als heißen Giallo-Körper

Jan Künemund: MESSER IM HERZ, Yann Gonzalez
Zahnlückenküsse, Messerdildos, Zauberwälder und leere Gräber. Yann Gonzalez feiert das Kino als heißen Giallo-Körper - die Polizei ermittelt nicht mehr, das Monster weint, der Protokollant fickt die Schreibmaschine, die Leinwand legt sich auf die Haut. Aus der Trauer um eine totgesagte Kunst entsteht etwas ganz Neues. Kein Film hat mir 2019 mehr Angebote gemacht.

Karla Kabot: THE FAVOURITE, Giorgos Lanthimos
Giorgos Lanthimos hat uns nach THE LOBSTER und THE KILLING OF A SACRED DEER ein weiteres Meistwerk, sowohl ästhetischer, abstruser und urkomischer Inszenierung geschenkt. Das Schauspiel von Olivia Colman, Rachel Weisz und auch Emma Stone ist beeindruckend und intensiv. Der unersättliche Prunk, die nie endende Heimtücke,... all das könnte übertrieben wirken, doch THE FAVOURITE schafft es dennoch, oder vermutlich doch gerade deswegen, ein greifbares und realistisches Abbild des englischen Hofes im 18. Jahrhundert darzustellen. Ein Film, der verstört und begeistert.

Harald Mühlbeyer: DER GOLDENE HANDSCHUH, Fatih Akin
ONCE UPON A TIME … IN HOLLYWOOD ist auf so vielen Ebenen grandios, dass er auf zu vielen Jahresbestenlisten stehen wird, weshalb ich auf den Jahresanfang blicken und zunächst den GOLDENEN HANDSCHUH in den Ring werfen möchte, bei dem die Wohnung von Killer Honka so stinkend versifft von der Leinwand trieft, wobei die Fotos im Abspann freilich bezeugen, dass Fatih Akin nicht übertrieben hat, um sodann als Vize-Besterfilm VICE zu nominieren, mit seinem Happy End mittendrin, das den Film allerdings nicht beendet, weil Cheney noch weiter und weiter die US-Verfassung unterhöhlen muss.

Das schönste Kinobild vom Glück in diesem Jahr

Tom Dorow: BURNING, Lee Chang-dong
Vor Lee Chang-dongs BURNING ist es noch keiner Verfilmung eines Haruki-Murakami-Romans gelungen, deren ganz eigene Atmosphäre zwischen schmuddeligem Realismus, hemmungsloser Romantik, Thriller, Pop und Fantastik einzufangen. Die Szene, in der die drei Darsteller in BURNING vor einer heruntergekommenen Datsche an der Grenze zu Nordkorea in den Sonnenuntergang blicken, während blecherne Lautsprecher nordkoreanische Propaganda über die Grenze schallen lassen, war für mich das schönste Kinobild vom Glück in diesem Jahr.

Eva Szulkowski: US, Jordan Peele
So ein origineller, gut gespielter, furchteinflößender und erstaunlicher Film. Lupita Nyong’o als doppelte Ada ist großartig, Winston Duke (ebenfalls aus BLACK PANTHER bekannt) als Ehemann sehr süß und lustig. Die Atmosphäre, die Bilder, der Plot, die Auflösung – für mich passte hier alles. Die verstörende Szene mit den Fremden in der Einfahrt wird sicher bald in filmwissenschaftlichen Seminaren zerredet werden, und das ist auch gut so.

Susanne Kim: SUPA MODO, Likarion Wainaina
„Ich sehne mich nach guten Geschichten, die mit ganz einfachen Mitteln erzählt werden und trotzdem lustig und ergreifend sind.“ Das erzählte mir Likarion Wainaina während unseres Gesprächs über seinen Kinderfilm SUPA MODO. Ich teile diese Sehnsucht. Und Wainaina hat es für mich geschafft, so eine Geschichte auf die Leinwand zu bringen. So entstand ein Superheldenfilm mit handgemachten „Spezialeffekten“. Das Schöne ist auch, dass Stycie Waweru, die die neunjährige Jo spielt, eine SuperHELDIN aus Afrika und einfach bezaubernd ist.

Michael Meyns: WINTERMÄRCHEN, Jan Bonny
Mit Abstand der beste deutsche Film des Jahres, vielleicht seit Jahren, ein radikales, konsequentes Werk über das Binnenleben einer Terrorgruppe. Jan Bonny und seine Schauspieler schaffen es, die sexuellen und Gewaltexzesse so intensiv zu zeigen, dass man gleichermaßen fasziniert und angeekelt ist.

Die bitterböse Komödie entwickelt sich zu einem beklemmenden Drama

Stefanie Borowsky: UNDER THE TREE, Hafsteinn Gunnar Sigurðsson
In einer beschaulichen Reykjavíker Vorortsiedlung eskaliert ein Nachbarschaftsstreit um einen Baum – spöttische Gartenzwerge, verschollene Haustiere und bedrohliche Kettensägen inklusive. Mit präzisem Blick legt Regisseur Hafsteinn Gunnar Sigurðsson immer tiefere Schichten des Konflikts frei. Was als bitterböse Komödie mit bissigem Dialogwitz beginnt, entwickelt sich zu einem beklemmenden Drama, ohne je den schwarzen Humor zu verlieren.

Hendrike Bake: PORTRÄT EINER JUNGEN FRAU IN FLAMMEN, Céline Sciamma
Kennt ihr das, wenn man sich im Kino schon nach wenigen Sekunden in guten Händen fühlt? In einen Film versinkt in dem sicheren Gefühl, dass die Macher*innen genau wissen, was sie wollen und wie sie das umsetzen? Beruhigt, dass keine Hektik, keine Selbstverliebtheit, keine Abkürzung, keine Zugeständnisse an den Publikumsgeschmack querfunken werden? Und wie man sich dann erinnert, wie gut Kino eigentlich sein kann?

Christian Klose: DIE SCHÖNSTE ZEIT UNSERES LEBENS, Nicolas Bedos
BIRDS OF PASSAGE erzählt eine epische Tragödie über Liebe und Familie in großen Bildern und Tönen. Für solche umfassenden Erlebnisse geht man ins Kino. Aber ein anderer Film zaubert fast genau so groß, und zeigt, wie der Trick geht, ohne an Magie einzubüßen. Und weil es in der stressigen Vorweihnachtszeit mehr Geschichten über Zusammenhalt und Zuneigung braucht, ist DIE SCHÖNSTE ZEIT UNSERES LEBENS mein Film des Jahres.

Joaquin Phoenix' nie mehr zu vergessendes Lachen

Matthias von Viereck: LARA, Jan-Ole Gerster & JOKER, Todd Phillips
Meine Goldmedaille muss ich leider zersägen, sorry: Eine Hälfte geht an LARA für das tolle Spiel Corinna Harfouchs; die andere Hälfte an JOKER für Joaquin Phoenix' nie mehr zu vergessendes Lachen und die famose Filmmusik der Isländerin Hildur Guðnadóttir.

Lars Tunçay: BURNING, Lee Chang-dong
Lee Chang-Dong entwickelt ein schleichendes Drama aus dem Werk des japanischen Meisters des Mysteriösen, Haruki Murakami, das mit jeder Szene überrascht. Das Gespann zweier Meister ihres Fachs, eine nahezu perfekte Kombination, die mal wieder unterstreicht, dass Südkorea eines der spannendsten Filmländer unserer Zeit ist.

Lili Hering: SYSTEMSPRENGER, Nora Fingscheidt
An SYSTEMSPRENGER zurückzudenken löst immer noch Beklemmung aus, Begeisterung auch, und vor allem Wut über die Ungerechtigkeit ebenjenes Systems. Ein rasendes Mädchen, ein pinker Schatten auf der Flucht vor der Kamera und allen anderen: Ohne Helena Zengel hätte dieser Film nicht entstehen können. Zum Glück gibt es ihn.

Patrick Heidmann: PORTRÄT EINER JUNGEN FRAU IN FLAMMEN, Céline Sciamma
Den meisten anderen Regisseur*innen wäre die Liebesgeschichte zwischen einer Malerin und ihrem Model im 18. Jahrhundert vermutlich wahlweise zu triefendem Erotikkitsch oder einem spröd-konventionellen Kostümfilm verkommen. Céline Sciamma dagegen zeichnet (gemeinsam mit ihren tollen Hauptdarstellerinnen) gleichermaßen zart wie leidenschaftlich das Bild zweier eigenwilliger Frauen – und erzählt nebenbei von weiblicher Künstlerschaft, queerer Emanzipation und schwesterlicher Solidarität.

Michael Schmitz: Spielfilme: SHOPLIFTERS, Hirokazu Kore-eda & ICH WAR ZUHAUSE, ABER..., Angela Schanelec. Dokfilme: EX LIBRIS - THE PUBLIC LIBRARY VON NEW YORK, Frederick Wiseman & HEIMAT IST EIN RAUM AUS ZEIT, Thomas Heise
Vielleicht nicht meine Favoriten dieser Autoren, aber immer noch meine Lieblingsfilme von diesem Jahr. Was sagt das aus über diese Regisseur*innen, oder über die Filmlandschaft dieses Jahrgangs, oder gar über meinen Geschmack?