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Interview

Skateboard fahren und den Wind im Tschador spüren

Interview mit Ana Lily Amirpour

Ana Lily Amipour ist die Regisseurin und Autorin von A GIRL WALKS HOME ALONE AT NIGHT und seit diesem Debüt einer der Shooting Stars des unabhängigen amerikanischen Kinos. Ihr nächster Film, THE BAD BATCH wird von Megan Ellisons Produktionsfirma Annapurna Pictures produziert, die in den letzten Jahren mit THE MASTER, ZERO DARK THIRTY, SPRING BREAKERS, FOXCATCHER, HER und anderen Filmen in die erste Reihe der unabhängigen amerikanischen Filmproduktionen aufgerückt ist. Ana Lily Amirpour ist als Tochter iranischer Eltern in London geboren und in den USA aufgewachsen. Tom Dorow hat sich mit der Regisseurin über A GIRL WALKS HOME ALONE AT NIGHT, die Bedeutung von Musik und romantischen Kannibalismus unterhalten.

INDIEKINO BERLIN: Danke, dass Sie sich die Zeit für dieses Interview genommen haben. Ich würde gern mit einer ganz einfachen Frage anfangen. A GIRL WALKS HOME ALONE AT NIGHT ist ein Vampirfilm und soweit ich weiß drehen Sie als nächstes einen romantischen Kannibalen-Film. Woher kommt Ihr Interesse für das Horror-Genre?

Ana Lily Amirpour (lacht): Ein romantischer Kannibalenfilm. Das ist sehr komisch. Ich weiß nicht, es ist schwierig, solche Sachen genau zu definieren. Ich sehe meinen Film nicht als richtigen Horror. Ich sehe ihn mehr als ein düsteres Märchen. Es gibt Elemente von Horror und Gewalt und solche Sachen, aber es gibt auch Einsamkeit und Romantik und diese ganz anderen Sachen. Ich stand sehr auf Horrorfilme, als ich zehn Jahre alt war, ungefähr vier oder fünf Jahre lang. Aber danach hörte das irgendwie auf. Keine Ahnung, aber richtiger direkter Horror gibt mir nichts.

Es ist ein romantischer Film, aber mir scheint es auch ein sehr politischer Film zu sein.

Ja.

Vampire sind traditionell eher erotisch aufgeladene Figuren. In letzter Zeit gibt es aber mehr Filme, die Vampire ganz anders einsetzen. Wie würden Sie das GIRL charakterisieren?

Ich kann sie nicht charakterisieren. Ich habe den Film gemacht, und er ist, was er ist. Wenn zehn Personen die gleiche Person treffen, bekommt man zehn verschiedene Eindrücke. Es ist komisch zu sehen, dass Leute sagen: „Oh, das ist feministisch!“ oder „Das ist dies oder das…“ Ich weiß es wirklich nicht. Ich glaube, für mich ist sie einsam. Ich glaube, sie fühlt sich nicht so richtig in Verbindung mit der Welt. Das sind sehr persönliche Dinge für mich.

Hat das etwas mit Ihrer persönlichen Geschichte zu tun? Ihre Eltern sind aus dem Iran, aber Sie sind in London geboren und in den USA aufgewachsen. Haben Sie enge Beziehungen zur Iranischen Community in L.A.?

Eigentlich nicht. Keine enge Beziehung. Ich habe nicht so die Herdenmentalität. Ich bin ein ziemlich isolierter Typ Mensch. In Amerika, ich meine in L.A. gibt es so viele unterschiedliche Leute. Es gibt viele Iraner, viele andere, viele von allem. Iraner – ich bin aus der zweiten Auswanderergeneration – haben eine sehr enge Familienkultur. Wir werden mit dieser engmaschigen, zähen Kultur erzogen, also fühlte ich mich einerseits dem Iranischen immer sehr nahe, und andererseits weit davon entfernt. Irgendwie in der Mitte, ein Mix. Ich würde nicht sagen: „Ich bin Iranerin!“. Ich weiß nicht was ich bin. Ich bin wie ein Eintopf.

Der Film ist auch eine Mischung aus verschiedenen Stilen und Genres, aus iranischen und amerikanischen Elementen…

Ja. Ich finde das auch lustig, weil es so eine Fixierung darauf gibt, Sachen zu kategorisieren und einzuordnen. Ich kann nicht einsehen, was das mit Kunst zu tun haben soll. Kunst ist zunächst einmal dazu da, um Kategorien, Ordnungen und Voreingenommenheiten aufzubrechen. Ich hoffe, dass immer mehr Leute mit unterschiedlichen Hintergründen sich vermischen und losziehen und „weird“ und „freaky“ sind.

Ein Teil der Verbindung zwischen Arash und dem GIRL ist offensichtlich die Musik. Wie wichtig ist die Musik für Sie und für Ihren Film?

Ich bin verrückt nach Musik. Musik, das ist alles. Wenn ich schreibe, höre ich Musik. Manchmal lege ich ganze Tracklists zu meinen Charakteren an, oder darüber, wie sie sich in einem bestimmten Moment fühlen. Ich hatte viel mehr Musik vorbereitet, als jetzt im Film zu hören ist. Während ich den Film schrieb, habe ich die Songs für bestimmte Momente herausgesucht. Die Songs waren alle von vornherein geplant. Ich habe vorher mit den Künstlern gearbeitet und dann die Musik am Set gespielt. Ich habe allen Schauspielern eine Tracklist gegeben, allen Mitarbeitern, meinem Kameramann, meinem Production Designer, allen. Das ist toll, denn wenn man so eine Art surrealistisches Filmemachen betreibt oder so eine abstrakte, abgedrehte Art von Sachen , bringt das alle mit einem bestimmten Gefühl zusammen. Jedes Mal, wenn ein Song in einer Szene zu hören ist, haben wir den auch am Set gespielt.

In einer meiner Lieblingsszenen steht das GIRL mit dem Rücken zur Kamera auf einem Skateboard und bewegt sich ganz langsam an einer Wand entlang, während ihr Tschador sich sanft bewegt.

Das ist auch meine Lieblingsszene.

Das ist wunderschön. Sie wirkt seltsam übernatürlich, dabei wissen wir genau, wodurch der Effekt zustande kommt.

Im ersten Schnitt war die Szene eine Minute lang (lacht).

Wie ist Ihnen die Idee für diese Szene gekommen?

Vor ein paar Jahren habe ich einen Tschador angezogen. Das war ein Requisit von einem anderen Film und ich fühlte mich … einfach übernatürlich. Ich fühlte mich wie ein Prediger oder wie ein Nadelrochen oder sowas und das erste, was ich machen wollte, war mein Skateboard fahren und den Wind im Tschador spüren. Er bewegte sich auf eine bestimmte Art und ich fahre Skateboard, also schien es mir eine ganz natürliche Sache zu sein, wenn sie das auch macht. Und dann ist da diese schwarze Form vor der weißen Wand. Viele Einstellungen sind auf ähnliche Art graphisch.

Sind Sie eigentlich auch von Graphic Novels beeinflußt?


Ja, ich habe auch selbst eine Graphic Novel über das GIRL gemacht. Zwei Ausgaben sind schon erschienen und es kommen noch einige. Also, klar, ich stehe extrem auf Graphic Novels. Ich bin mit dem abgefahreneren Zeug groß geworden, Charles Burns, Frank Miller. Die intelligenteren Sachen, nicht das stereotype Marvel-Zeug.

Der Charles Burns-Einfluss ist im Film gut zu erkennen. Noch mal zurück zum Tschador: Geht es da wirklich nur um persönliche Erfahrung? Was Sie beschreiben ist ja nicht das, was Leute normalerweise mit dem Tschador in Verbindung bringen.

Ja, ich weiß.

Ist es auch eine Provokation, oder was ist die Idee dahinter?

Ich meine, als ich den Tschador angezogen hatte, dachte ich sofort: Das ist ein Vampir. Das ist ein Iranischer Vampir. Das ist das GIRL. Und dann dachte ich, das ist natürlich eine brillante Verkleidung, denn dass sie zu solchen Sachen fähig ist, daran würde man als allerletztes denken. Jeder sieht, was er oder sie sehen will und, klar, es ist ein religiöses Kleidungsstück, also werden die Leute eine Million Schlüsse ziehen, aber für mich geht es mehr darum, dass die Oberfläche von Menschen niemals das ist, was sie wirklich sind. Wenn man die oberste Schicht abschält, trägt jeder seltsame Dinge in sich, Geheimnisse und Dinge, die der Außenseite widersprechen. Es geht mehr darum, dass das, was man sieht, nicht immer das ist, was man bekommt. Das gilt in gewisser Weise für alle Charaktere. Oder überhaupt im Leben.

In ihrem Film gibt es viel Böses, Drogen, Öl, Tod und Korruption, Frauen werden schlecht behandelt. Ist das GIRL eine Art Rächerin?

Naja, sie tötet einen Obdachlosen. Das scheinen alle zu vergessen. Ich weiß, dass sie andere Menschen getötet hat, Männer und Frauen. Ich weiß, dass sie auf amokartigen Mordrauschtouren gewesen ist. Sie ist 187 Jahre alt. Ich weiß alles über den Charakter.
Aber das ganze andere Zeug... Ich glaube, Menschen sind einfach Ameisen. Wir sind mit den Sachen beschäftigt, die wir sehen oder die wir bauen. Aber wir sind nur Ameisen in dieser größeren Maschine, die permanent weiter läuft. Das Öl ist ein Teil dieser korrupten Stadt, die langsam verfällt, und ein Teil dieser größeren Struktur, die immer entscheidet wie die Dinge laufen in Städten und Gesellschaften. Wir haben nicht wirklich etwas damit zu tun. Die Maschine läuft einfach weiter, egal ob wir einander umbringen, Drogen nehmen, Skateboard fahren oder egal was tun.

Können Sie mir etwas über die Produktion erzählen? Wie haben Sie die iranischen Schauspieler gefunden und warum haben Sie den Film überhaupt in Farsi gedreht?

Das erste Drehbuch, das ich für den Film geschrieben hatte, war Iranisch. Ich habe diese ganzen iranischen Schauspieler getroffen, als ich nach L.A. gezogen bin. So viele gibt es da nicht und ich glaube ich kannte ziemlich schnell alle. Ich kannte Sheila und Mashall und Dominic. Arash habe ich getroffen, als ich in Berlin lebte. Und die habe ich alle angeschrieben und zusammengetrommelt. Ich wollte ein iranisches Märchen drehen, eine iranische Vampirgeschichte machen. Es war alles sehr genau ausgedacht. Ich wusste, dass der Film in Schwarzweiß sein sollte, ich kannte die Musik, ich wusste, in welcher Stadt ich drehen wollte. Ich wusste alles ganz genau, und deshalb war es eigentlich ganz leicht, denn entweder war man dabei oder nicht. Das ist nicht die Sorte Film, zu der man so eine mittlere Haltung haben kann. Es war sehr leicht zu erkennen, welche Leute mir dabei helfen konnten, den Film zu machen.

Als ich den Film zuerst gesehen habe und nichts von Ihnen wusste, dachte ich, der Film wäre ein Kommentar zur Situation der Subkultur im Iran. Hat das überhaupt irgendetwas mit dem Film zu tun?

Nein, hat es nicht. Ein Film ist offen für Interpretationen, jeder kann denken, was er will, aber MULLHOLLAND DRIVE zeigt einem nicht die Subkultur von L.A., er zeigt einem die Sicht einer Person und ein wenig von der Einsamkeit und dem Narzissmus in Hollywood. Ich glaube, ein Film muss Gefühle heraufbeschwören, und Gefühle sind universell, es gibt sie in jedem Teil der Welt.

Ihr nächster Film, THE BAD BATCH erregt gerade jede Menge Aufmerksamkeit, auch weil Jim Carrey, Keanu Reeves und Jason Momoa (Khal Drogo in GAME OF THRONES) darin mitspielen werden. Ist es noch zu früh, über den Film zu reden?

Ich fange in fünf Wochen an zu drehen, ich bin in Pre-Production. Es ist komisch, darüber zu reden.

Die Gerüchte sagen, es würde ein „romantischer Kannibalenfilm“…

Es ist nicht das, was Sie denken. Aber es wird sehr gewalttätig und auch sehr romantisch. Wir werden sehen. Wir werden sehen, wie sexy Kannibalen sein können.

Das Gespräch führte Tom Dorow

Tom Dorow