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Interview

„Interessantes kommt aus unerwarteten Ecken“

Interview mit Todd Solondz

Spätestens seit seinem Film WELCOME TO THE DOLLHOUSE (1995) ist Todd Solondz eine der Ikonen des US-Independent-Kinos. Seitdem hat Solondz sechs weitere Filme gedreht, von denen allerdings nicht alle in die deutschen Kinos gekommen sind. Glücklicherweise ist das bei seinem neuen Film WIENER DOG anders. Solondz kommt, grinsend, in Sneakers, Freizeithose und kurzärmligen rotem Freizeithemd und einer Brille mit rotem, transparentem Gestell zum Interviewtermin und nimmt auf der Couch Platz wie ein Ironie-Buddha. Er beginnt seine Antworten langsam, und redet sich dann in die Gedanken hinein, bis er an einer Pointe oder einem Geistesblitz angekommen ist. Er wirkt wie der perfekte Gast bei einer entspannten und sehr unterhaltsamen Dinnerparty, die in einer komischen Katastrophe enden könnte.

INDIEKINO BERLIN: Danny de Vitos Figur in WIENER DOG ist ein abgehalfterter Filmemacher, der an der Uni Film unterrichtet. Sie unterrichten ja ebenfalls Film. Was ist ihr Verhältnis zu der Figur, und wie ist es eigentlich so, an der Uni zu unterrichten?

Es macht wirklich Spaß. Es ist ganz anders als das Filmemachen, weil es keinen Stress gibt. Wenn ich meine Studenten ansehe, jung, hoffnungsvoll und ambitioniert, bin ich dankbar dafür, dass ich keiner von ihnen bin, weil ich weiß wie schwer es für sie ist. Die Schule selbst, NYU in New York, ist, wie ich herausfinden musste, ein Reich des Bösen, bemerkenswert korrupt und inkompetent geleitet. Deshalb war es schwer, nicht einen Teil der Geschichte in diesem Umfeld spielen zu lassen. Wenn es eine Beziehung zwischen ihm und mir gibt, dann in dem Sinne, dass ich für meine jüngeren Studenten eine Art Dinosaurier bin, ein Überbleibsel. (Pause) Und dabei sind die gar mal mehr so jung.
Ich glaube, dass Film ein zentraler Eckstein des zwanzigsten Jahrhunderts war. Heute ist er durch das Internet ersetzt worden. Meine Studenten sehen Filme vor allem auf dem Laptop. Das ist einfach eine Realität. Aber ich habe immer noch eine Romanze mit dem Kino und ich entwickle meine Filme für das Kino, obwohl ich weiß, dass die meisten Leute sie nicht im Kino sehen werden. Aber wenn ich einen Film auf dem Laptop sehe, ist das für mich immer eine Hausaufgabe.

Nachdem die Leinwände erst immer größer werden, werden sie jetzt anscheinend immer kleiner.

Zurück zum Nickelodeon, ja. Wissen Sie, ich glaube, es werden immer interessante Werke geschaffen werden. Sie kommen aus unerwarteten Ecken. Und es überrascht einen, wenn es passiert, und so muss es auch sein. Aber das Meiste hat nicht diese Wirkung. Also muss man losgehen und herausfinden wo und wann die Filme, die einen interessieren, laufen. Weil sie nicht lange laufen.

Hat sich ihr Verhältnis zum Filmemachen in den letzten zwanzig Jahren verändert?

Ich habe Geschichten, die an die Oberfläche treiben, und von denen ich glaube, dass ich sie erzählen muss. Und das ist das gleiche, das war immer schon das gleiche. Ich schreibe, seit ich lesen kann. Ich würde in eine schreckliche Depression verfallen, wenn ich nichts am Laufen hätte. Wenn es einfacher wäre, Geld zu bekommen, hätte ich mehr Filme gemacht. Aber vielleicht ist es gut, dass es so schwer ist, Geld zu bekommen, weil es mich sonst früher umgebracht hätte. Ich nehme immer an, dass mein nächster Film mein letzter sein wird, weil ich so viel Geld für so viele Leute verloren habe, dass ich immer überrascht bin, wenn sie sagen: vielleicht klappt es ja dieses Mal. Das ist eine wundervolle Geste des Optimismus.

Oh, ich liebe Hunde!

Viele Kritiker sehen WIENER DOG als einen ihrer optimistischsten Filme an. Wie sehen sie das?

Die Leute sagen alle möglichen Sachen. Ich habe schon das ganze Spektrum gehört, den ganzen Regenbogen. Ich kann das nicht erklären, weil die Dinge so voller Ambiguität sind. Deshalb gibt es so unterschiedliche Reaktionen. Das ist bei allen meinen Filmen so. Ich weiß noch, als ich WELCOME TO THE DOLLHOUSE gemacht habe, lachte die eine Hälfte des Publikums und sagte wie komisch das wäre, und die andere Hälfte war wütend auf die erste: Wie könnt ihr nur darüber lachen, das ist doch so traurig und voller Kummer. Aber für mich ist es immer beides zugleich. Ich weiß nie und ich kann nicht einmal vermuten, wie andere reagieren werden. Ich mache meinen eigenen Sprung in den Glauben, und manchmal finde ich nachher heraus, dass andere nicht mit mir spielen wollen.

Aber immerhin haben Sie in WIENER DOG Dawn Wiener aus WELCOME TO THE DOLLHOUSE wiederbelebt, die sie in PALINDROMES schon beerdigt hatten.

Ja, ich hatte sie in PALINDROMES umgebracht, aber irgendwie war ich noch nicht fertig mit ihr. Ich wollte ihr noch eine Chance geben. In jedem Leben gibt es ja die Möglichkeit zu einem anderen Leben. So wie Ellen Burstyns Charakter das am Ende von WIENER DOG auch erfährt, als ihr die Geister ihrer möglichen Leben gezeigt werden. Es gibt immer Möglichkeiten zu anderen Leben in anderen Leben.

Mögen Sie eigentlich Hunde?

Oh, ich liebe Hunde! Ich habe aber keinen. Ich hatte als Erwachsener nie einen. Das ist zu viel Verantwortung. Als wir Kinder waren, haben wir eine Menge Hunde verbraucht. Sie hielten nicht lang, weil wir Kinder waren und nicht sehr verantwortungsvoll. Also starben manche, manche mussten halt zurückgegeben werden und manche haben wir verloren. Aber wir liebten es, Hunde zu haben und oft ist es der erste Hauch eines Verständnisses für Sterblichkeit, das ein Kind durch die Erfahrung mit Hunden erfährt. Und auch wenn dieser Film offensichtlich von einem Hund handelt, ist das in gewissem Sinne eine Täuschung, weil der Film eigentlich von Sterblichkeit handelt und davon, wie sie über jeder dieser Geschichten und Charaktere schwebt. Wie die im Kampf mit dieser Realität liegen…
Das Verhältnis von einem Halter zu seinem Haustier ist eigenartig. Wir sehen oft Hunde an und es ist schwer, sie nicht zu anthropomorphisieren. Dadurch werden sie zu Gefäßen unserer eigenen Hoffnungen und Sehnsüchte oder Illusionen. Wir projizieren eine Art Unschuld und Reinheit in sie hinein und wir nennen sie „des Menschen bester Freund“… Ich weiß noch wie ich vor ein paar Jahren „My Dog Tulip“ las, dieses britische J. R. Ackerley-Buch, und ich dachte immer: Stell dir vor wenn irgendwelche Außerirdischen, eine überlegene Art, auf unseren Planeten kommen würden und uns sehen würden und denken: Oh, diese Menschen sind ja niedlich! Und sie würden uns als Haustiere wollen! Und sie würden von uns als „ihren besten Freunden“ denken! Und um diese Beziehung zu festigen, würden Sie uns alle kastrieren. Ich weiß nicht, was wir davon halten würden, und ob wir denken würden, dass die Außerirdischen unsere besten Freunde sind. Aber so funktioniert die Welt in diesem Fall.

Das Interview führte Tom Dorow