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In dieser Geschichte ist sogar die Liebe illegal

Interview mit Todd Haynes zu CAROL

Todd Haynes liebt Frauenfiguren und er liebt historische Filme, Filme, die in einer sehr spezifischen Zeit angesiedelt sind. Sein erster Spielfilm SAFE (1998) handelte von einer reichen Hausfrau (Julianne Moore), die Hyper-Allergikerin ist und sich nach und nach immer weiter aus dem kalten Glanz der 80er Jahre zurückzieht, bis sie in einer Art sterilem Iglu in der Wüste landet. VELVET GOLDMINE (1998) porträtierte die 80er dagegen als metrosexuelles Glam-Rock Spektakel. Knallbunt ist auch FAR FROM HEAVEN (DEM HIMMEL SO FERN 2002), eine Hommage an die Technicolor-Melodramen von Douglas Sirk. In seinem bis dato erfolgreichsten Film I’M NOT THERE (2007) inszenierte Haynes das Leben von Bob Dylan mit sechs verschiedenen Darstellern in der Hauptrolle – eine davon war Cate Blanchett. Nach der in den 40er Jahren angesiedelten Fernsehserie MILDRED PIERCE kehrt Haynes nun mit CAROL wieder in die 50er Jahre zurück.

INDIEKINO BERLIN: Ihr neuer Film CAROL ist die Verfilmung eines Romans von Patricia Highsmith. Was hat Sie daran interessiert?

Todd Haynes: Der Plan, diesen Roman zu adaptieren, bestand lange, bevor ich die Regie übernahm. Phyllis Nagy hatte das Drehbuch geschrieben, von dem ich wiederum über die Kostümbildnerin Sandy Powell hörte, mit der ich seit VELVET GOLDMINE 1998 zusammenarbeite. Sie war bereits an Bord, Cate Blanchett ebenso. Das muss so 2012 gewesen sein, als ich zum ersten Mal davon hörte. Und ich war interessiert, ich war neugierig. Zu dem Zeitpunkt kannte ich den Roman gar nicht und als ich ihn dann las, fand ich ihn umwerfend und revolutionär für seine Zeit.

Was genau hat Sie daran fasziniert?

Der Roman erzählt aus der Sicht von Therese, wie sie sich in Carol verliebt, er verlässt diese Perspektive nie. Ich fand diese Beschreibung faszinierend, wie der Geist tickt, wenn man liebt, wie man versucht, jedes Zeichen, jede Geste des Geliebten zu interpretieren, und wie sehr diese Vorstellungskraft der eines Kriminellen gleicht. Liebe und Kriminalität sind bei Patricia Highsmith eng verknüpft, und in dieser Geschichte ist sogar die Liebe selbst illegal, weil es in den Fünfziger Jahren spielt. Und der Roman beschreibt sehr schön, wie Liebende keine Worte finden, die auch nur annähernd widergeben könnten, was sie gerade erleben und es so auch noch nie jemand erlebt haben kann. Und für Therese gab es auch überhaupt keine Vergleichsmöglichkeit, sie konnte gar nicht benennen, was sie für Carol empfindet. Und das hat etwas Radikales, es ist beängstigend, aber auch wundervoll. Was mich interessierte, war die Subjektivität ihrer Perspektive. Die meisten Liebesgeschichten werden aus der Sicht der schwächeren und machtloseren, weil mehr liebenden Person erzählt. Und das Spannende an CAROL ist, dass sich dieses Gefüge am Ende verschiebt. Und diesen Wandel fand ich interessant, auch was die Erzählperspektive angeht.

Der Roman hieß bei seinem Erscheinen „Der Preis von Salz“. Warum haben Sie sich für CAROL als Titel entschieden?

Das Buch wurde schon in den 1980er Jahren unter Patricia Highsmiths richtigem Namen und unter dem neuen Titel CAROL wiederveröffentlicht. Ich mochte den alten Titel immer lieber, er hat etwas Mysteriöses. Aber er kann als Filmtitel vielleicht auch prosaisch oder obskur klingen. Und ich verstehe, warum CAROL so gut passt, weil sie das Objekt des Begehrens ist.

Wer die Wahrheit sucht, ist dazu verdammt, sie nicht zu finden

In Ihren Filmen ist der Einsatz von Farben sehr wichtig, am deutlichsten vielleicht in Ihrem Melodram FAR FROM HEAVEN, aber auch hier...

FAR FROM HEAVEN ist eine Kategorie für sich, denn es war eine Hommage an Douglas Sirks Melodramen, die er in den Fünfziger Jahren drehte und seinen Einsatz von Technicolor und all diese unnatürlichen, überhöhten Farben, die zugleich mit Bedeutung aufgeladen waren. CAROL ist ganz anders, er ist nicht melodramatisch, sondern ein sehr klassisches Liebesdrama. Und er spielt einige Jahre früher, 1952/53, und das macht historisch und gesellschaftlich einen großen Unterschied. Die Stadt ist in dieser Zeit wie ein erschlaffter, verrußter und depressiver Ort, der gerade versucht, sich vom Zweiten Weltkrieg zu berappeln und eher noch in den Vierzigern steckt und im Kalten Krieg erstarrt ist. McCarthy und seine Hexenjagd gegen Kommunisten ist auf dem Höhepunkt. Es herrschte eine große Unsicherheit und Paranoia und in dieser Stimmung entsteht diese zarte Liebe zwischen den beiden Frauen, von der niemand etwas wissen darf. Was den Look angeht, habe ich mich gar nicht so sehr an Filmen dieser Jahre orientiert, als am Fotojournalismus und Kunstfotografie im New York dieser Zeit.

Welche Werke oder Fotografen haben Sie da besonders beeinflusst?

Vor allem Vertreterinnen der New York Street Photography wie Vivian Maier, Ruth Orkin, Esther Bubley und Helen Levitt. Sie haben den Alltag dieser Jahre festgehalten, Menschen aus allen Schichten der Gesellschaft, und man sieht an ihren Aufnahmen sehr schön, wie sich Frauen kleideten und in der Öffentlichkeit bewegten. Aber auch die Arbeiten von Saul Leiter, der viel Fenster, Glas und Spiegelungen benutzt hat, und die ich bereits für die Bildästhetik meiner Miniserie MILDRED PIERCE herangezogen habe. Für CAROL wollten mein Kameramann Ed Lachman und ich ein Spektrum schmutziger Farben, in dem sich warme und kalte Farbtöne vermischen und so zusammen eine Stimmung mit einer nicht zu bestimmenden Temperatur ergeben. Für die Innenräume benutzten wir etwa Töne wie Altrosa oder ein schmutziges Grün, die etwas Vergilbtes und Verrauchtes haben und so diese Ära und ihre Trübheit widerspiegeln, auch im moralischen Sinn. Und wir haben auf Super-16mm gedreht, weil das in seiner Körnigkeit der Ästhetik des 35mm-Filmmaterials der damaligen Zeit am nächsten kommt. Das fehlt in der heutigen Digitaltechnologie völlig. Echter Film hat Staub und Körnung und kleine Fehler, die ihm erst das Charakteristische geben.

Waren diese Bezüge zur Fotografie dieser Zeit auch der Grund, die jüngere Frau, Therese, im Film zu einer Nachwuchsfotografin zu machen? In der Romanvorlage von Patricia Highsmith ist sie eine Bühnenbildnerin.

Das war ein Grund, auch weil es in CAROL immer um den Blick und das Beobachten geht. Vivian Maier etwa hat oft auch ihr eigenes Spiegelbild in den Straßen New Yorks fotografiert. Für mich war dabei Roland Barthes’ „Fragmente einer Sprache der Liebe“ essentiell, vor allem was die Struktur des Films angeht. Er beschreibt darin wunderschön, wie man im Zustand des Verliebtseins in jedem Zeichen, jeder Geste eine Bedeutung erkennt oder auch hineinliest. Darauf bin ich immer wieder in kleinen Momenten des Films zurück gekommen. Für Barthes ist alles Zeichen, alles hat eine Bedeutung, aber man bekommt nie wirklich eine Antwort. Wer die Wahrheit sucht, ist dazu verdammt, sie nicht zu finden. Wir haben das im Film immer wieder visualisiert, oft blickt die Kamera durch Türrahmen, Fenster oder die Blickachse wird durch Straßenverkehr und Passanten durchbrochen. Es geht nicht nur um das, was wir sehen, sondern um den Akt des Sehens selbst.

Es sollte noch viel mehr Filme über Frauen geben

Empfinden Sie es als Lob oder Beleidigung, wenn Sie in Kritiken als Frauenfilmer bezeichnet werden?

Es ist in meinen Filmen überdeutlich, dass ich mich für Frauenfiguren interessiere und dafür mit großartigen Darstellerinnen arbeiten kann. Und heutzutage ist wahrscheinlich jeder Regisseur, der Geschichten über Frauen erzählt, schon etwas Besonderes, weil er männliche Jugendliche mit ihrem Faible für eskapistisches Blockbusterkino nicht als alleinige Zielgruppe ansieht. In diesem Sinne, finde ich, habe ich diesen Titel verdient. Es sollte noch viel mehr Filme über Frauen geben und die müssen auch gar nicht alle heroisch oder positiv sein.

Sind die Fünfziger auch filmgeschichtlich für Sie eine der wichtigsten Ära?


Anfang der Fünfziger sind einige großartige Filme entstanden, keine Frage. Aber es gibt viele Perioden, die mich faszinieren. Aus den Vierziger Jahren habe ich zum Beispiel David Leans Liebesdrama BRIEF ENCOUNTER über die heimliche Affäre zweier Verheirateter als Referenz für CAROL genommen. Gerade arbeite ich mich durch die gesamte Stummfilmzeit für ein Projekt, das ich demnächst machen will. Vielleicht ist das wirklich die wichtigste Phase, als die Bildsprache erfunden wurde und alles visuell ausgedrückt worden ist.

Das Interview führte Thomas Abeltshauser.