Magazin für unabhängiges Kino

Interview

„Im weniger Sprechen entsteht für mich oft ein größerer poetischer Raum“

Interview mit Franz Rogowski zu GROSSE FREIHEIT

Franz Rogowski wurde 2013 mit seiner Hauptrolle in LOVE STEAKS bekannt und spielte seitdem in zahlreichen Filmen, darunter Sebastian Schippers VICTORIA, Michael Hanekes HAPPY END, Terence Malicks A HIDDEN LIFE; IN DEN GÄNGEN von Thomas Stuber sowie TRANSIT und UNDINE von Christian Petzold. In Sebastian Meises GROSSE FREIHEIT spielt er den schwulen Hans, der in der Nachkriegszeit vom KZ direkt in den Knast eingeliefert wird und bis zur Abschaffung des Paragrafen 175 immer wieder im Gefängnis sitzt. Pamela Jahn hat mit Franz Rogowski über GROSSE FREIHEIT gesprochen.


INDIEKINO: Weil Hans homosexuell ist, landet er zuerst im Konzentrationslager und nach dem Krieg immer wieder hinter Gittern. Was hat Sie an der Rolle interessiert?

Franz Rogowski: Für mich ist Hans eine geschlossene Figur, die jedoch nicht autark funktioniert, sondern als Teil der Geschichte - einerseits der Geschichte, die wir im Film erzählen, aber auch als Teil der deutschen Geschichte. Meine Entscheidung, die Rolle anzunehmen, basierte deshalb auch eher auf der Tatsache, dass ich mich für dieses Drehbuch interessierte, nicht nur für die Figur allein. Weil es ein Drehbuch war, das in sich so stimmig und geschlossen daherkam, wie man es nur äußerst selten in die Hände bekommt. Und deshalb wollte ich gerne an der Umsetzung beteiligt sein.

Wie sind Sie auf das Drehbuch gestoßen? Kannten Sie Sebastian Meise bereits?

Es wurde mir ganz klassisch mit der Post zugesandt. Dann habe ich es erst zwei-, drei Mal aufmerksam gelesen, um meine ersten Gefühlsregungen zu überprüfen. Und dann stand für mich fest, wir müssen uns sehen, Sebastian und ich, um zu schauen, ob wir miteinander klarkommen. Daraufhin waren wir uns dann recht schnell einig, dass wir den Film zusammen machen wollten.

Gibt es auch Rollen, die Sie nach einmaligem Lesen des Drehbuchs sofort zugesagt haben?

Nein, das ist bei mir immer ein ziemlich neurotischer Prozess. Das Buch liegt immer erst eine Weile da und ich guck es gar nicht an. Dann halte ich es irgendwann nicht mehr aus, muss es lesen und kriege sofort eine Krise, bis ich es noch einmal lese. Und ich muss es wirklich immer von Anfang bis Ende durchgehen. Ich bin da sehr eigen. Das bekommt alles keiner mit. Aber ich denke, es ist eigentlich die wichtigste Aufgabe für einen Schauspieler, die Stoffe zu erkennen, die zu ihm passen. Mal ganz abgesehen davon, dass immer auch jede Menge Glück dazugehört, das man solche Drehbücher überhaupt zugeschickt bekommt.

Was hält Hans Ihrer Meinung nach in diesen ersten schweren Jahren nach dem Krieg am Leben?

Das weiß ich selbst nicht so genau. Ich vermute aber, dass er für sich schon lange eine Entscheidung getroffen hat, bevor der Paragraf 175 überhaupt fällt. Und er hat diesen Paragrafen bereits für sich gefällt. Er lebt sein Leben natürlich nicht so, wie man es heute kennt. Das findet schon in erster Linie im Geheimen statt, aber er nimmt es in Kauf, dafür immer wieder ins Gefängnis zu müssen. Er lernt seine Lektion, in Deutschland kriminell zu sein und die Konsequenzen dafür zu zahlen. Aber er lässt sich seine Liebe nicht nehmen.

Hat er Viktor gegenüber zunächst Respekt oder eher Angst?

Am Anfang kommt Hans aus dem KZ und wird direkt ans Gefängnis übergeben. Dass da jetzt einer homophob ist, das berührt ihn gar nicht mehr wirklich. Er ist einfach nur ziemlich am Ende. Kraft zum Widerstand hat er erst wieder ab den fünfziger Jahren. Aber so richtig entwickelt sich die Beziehung zwischen den beiden ja erst in den Sechzigern. Das heißt, es sind zwanzig Jahre gemeinsame Zeit, in denen zwischen ihnen diese Verbindung entsteht.

Wenn man als Schauspieler eine Figur in einem Film über Jahrzehnte begleitet, verändert sich dann die Herangehensweise, wie man mit der Rolle umgeht?

Die Zeitsprünge ergeben tolle Möglichkeiten, die man normalerweise nicht hat. Man kann der Figur ganz neue Eigenschaften geben. Die Figur vom Hans hat durchaus viele kleine Unterschiede, die man vielleicht auf den ersten Blick nicht bemerkt, aber es gibt, wie gesagt, den Hans der Fünfziger, der eher rebellisch ist und an das Utopische glaubt. Einer, der sich nichts sagen lassen möchte, und der anders ist als der Hans der Vierziger, in denen er vom Staat im Prinzip systematisch unterdrückt und fertig gemacht wird. Und dann gibt es schließlich den Hans der sechziger Jahre, der sich mit seiner Stellung in der Gesellschaft abgefunden hat und die Konsequenzen dafür dann auch relativ stoisch trägt. So gesehen hat die Figur tolle Facetten, die man bei einer einfachen Erzählung, die nur im Hier und Jetzt spielt, nicht erforschen kann.

"Ich habe kein Interesse an einer tollen Figur in einem schlechten Film."

Was bedeutet Freiheit für Sie persönlich?

Für mich ist die Freiheit mit das kostbarste Gut in meinem Leben. Die Meinungsfreiheit, die Freiheit, sich entscheiden und ungehindert entfalten zu dürfen, beides gehört für mich zu den höchsten Gütern in unserer Demokratie.

Wie bewahren Sie sich die Freiheit im Beruf?

In dem ich das alles nicht so ernst nehme und ein Leben lebe, das auch ganz unabhängig von Filmpremieren funktioniert. Je mehr Erfolg man hat, um so mehr muss man aufpassen, dass man nicht abhebt oder plötzlich das Gefühl hat, jemand Besonderes zu sein. Aber ich glaube, je mehr von außen an einen herangetragen wird, um so mehr fängt man an, sich zurückzuziehen, wenn man die Möglichkeit hat, um eine gewisse Trennung oder einen Abstand herzustellen zwischen Beruf und Privatleben, der unheimlich wichtig ist. Zumindest geht mir das so.

Können Sie die Aufmerksamkeit, die Ihnen beispielsweise auf dem roten Teppich, oder auch ganz allgemein tagtäglich von den Medien geschenkt wird, trotzdem auch genießen?

Ja, solange ich es wie eine Art Theaterstück empfinde. Das heißt, wir spielen alle ein Spiel, bei dem jeder seine Rolle kennt. Aber der, der ich bin, der wohnt für sich allein in einer ganz anderen Realität.

Sie haben sich in letzten Jahren mit Filmen wie VIKTORIA, TRANSIT, IN DEN GÄNGEN, UNDINE und jetzt GROSSE FREIHEIT eine bemerkenswerte Bandbreite an Charakteren erspielt. Was macht eine gute Rolle für Sie aus?

Ich bin gar nicht so sehr auf die Rollen aus. Ich suche eigentlich immer eher nach spannenden Geschichten, bei denen ich das Gefühl habe, da kommt am Ende etwas Gutes heraus. Nur dann kann auch eine Rolle gut sein. Ich habe kein Interesse an einer tollen Figur in einem schlechten Film.

Was war bei dieser Rolle des Hans Hoffmann die größte Herausforderung für Sie?

Für mich war es diese Verbindung von drei Jahrzehnten und der Versuch, der Figur dadurch gewissermaßen auch drei unterschiedliche Temperaturen zu geben. Vor allem die vierziger Jahre vorzubereiten, bedeutete acht Wochen lang eine starke Ernährungsumstellung. Und wenn man in so kurzer Zeit zwölf Kilo verliert, verändert einen das auch in dem eigenen Wesen. Ich habe beispielsweise kaum noch Schlaf gebraucht, habe ganz anders gerochen, gehört und gesehen, und ich habe mich auch ganz anders gefühlt. Ich hatte durch dieses Hungern eine sehr intensive Vorbereitungsphase, vor allem, weil mittendrin die Pandemie kam. In der Zeit habe ich alles wieder zugenommen, und als wir endlich weiterdrehen konnten, ging das Hungern wieder von vorne los. Das war neu für mich und hatte auch einen gewissen Reiz, weil ich mich vorher noch nie für eine Rolle so intensiv mit meinem Körper auseinandergesetzt habe.

Haben Sie sich der Figur allein aufgrund der körperlichen Veränderung automatisch näher gefühlt?

Ja, ich denke schon. Man fragt sich am Anfang ja immer: Wie bekomme ich das jetzt hin mit den Gefühlen, die nicht meine sind. Und wenn man sich plötzlich in diesem intensiven Fastenmodus befindet, keine Libido mehr hat, merkt, wie die Haut sich verändert, man wirklich sich selbst wahrnimmt wie noch nie zuvor, dann sind diese Gefühle irgendwann ziemlich einfach abrufbar, weil der Körper sie einem zeigt.

Eigentlich wünsche ich mir fast schon ein Kino, in dem man überhaupt nicht mehr versteht, worum es geht, aber in dem man die Körper dafür um so mehr spüren kann und eine Reibung entsteht"

Was bedeutet Körperlichkeit im Kino ganz allgemein für Sie?

Für mich persönlich ist eine Entscheidung für das Physische oft auch eine Entscheidung gegen die Unkörperlichkeit der Worte. Ich glaube, dass wir heutzutage allgemein vor einer stolzen Körperlichkeit regelrecht Angst haben. Wir nutzen sie eigentlich gar nicht mehr, außer vielleicht in der Karikatur unserer eigenen Identität. Aber ich denke, dass beispielsweise im weniger Sprechen für mich oft ein größerer poetischer Raum entsteht, und ich immer eine gewisse Frustration empfinde, wenn meine Figur erklärt, wer sie ist, wo sie herkommt, wo sie hingeht … wenn sozusagen der Plot seine Bedürfnisse entlädt.
Viel spannender finde ich es, Figuren so zu spielen, dass sie eine Würde behalten. Und für mich hat diese Würde eben konkret damit zu tun, dass ein Körper seine Identität nicht erklären muss, sondern sein Geheimnis für sich wahren kann. Wenn man den Gedanken weitertreibt, dann wünsche ich mir eigentlich fast schon ein Kino, in dem man überhaupt nicht mehr versteht, worum es geht, aber in dem man die Körper dafür um so mehr spüren kann und eine Reibung entsteht, zwischen dem eigenen Körper und den Körpern des Kinos.

Georg Friedrich ist jemand, der gerne für einen bestimmten Typ Mann gecastet wird. Nicht umsonst gilt er als der fiese Ösi vom Dienst, obwohl er durchaus auch andere Rollen spielt. Haben Sie manchmal Bedenken, irgendwann auch in eine bestimmte Schublade gesteckt zu werden?

Nicht wirklich. Ich bin unheimlich dankbar für das, was jetzt gerade um mich herum passiert. Ich gebe mir Mühe, die richtigen Stoffe zu finden, und wenn da irgendwann nichts mehr kommen sollte, dann mache ich etwas anderes. Ich muss nicht bis an mein Lebensende Schauspieler sein.

Was wäre die Alternative?

Ich muss mal schauen. Ich habe gelernt, solche Dinge nicht so sehr in die Öffentlichkeit zu tragen. Das setzt mich dann nur wahnsinnig unter Druck. Ich weiß es selber nicht genau. Und ich will damit auch nur sagen, dass ich keine Angst habe vor Kategorisierungen jeder Art, weil mich das auch gar nicht interessiert. Es geht mir darum, dass ich verstehe, was mir guttut, und dass ich dafür Verantwortung übernehme. Und wenn ich damit einen ehrlichen Umgang finde, bin ich, glaube ich, gar nicht so abhängig davon, was man von außen mit mir machen will. Ich versuche einfach mir selbst treu zu bleiben. Ich denke, darauf kommt es an.

Das Interview führte Pamela Jahn