Magazin für unabhängiges Kino

Interview, News

„Ich wollte die Realität ihres Alltags erzählen“

Tobias Lindholm über A WAR

INDIEKINO BERLIN: Viele der Darsteller in Ihrem Film sind echte Soldaten. Inwiefern war das dänische Militär involviert und hatte Einfluss auf das Drehbuch?

Tobias Lindholm: Ich habe mich vor dem Drehbuchschreiben mehrmals mit Militärvertretern getroffen und ihnen das Projekt erklärt. Wir haben ihnen nie das Drehbuch zum Lesen gegeben, sie hatten keinen Einfluss auf den Schnitt. Aber sie haben unser Projekt akzeptiert und uns erlaubt, ihre Soldaten zu besetzen. Außerdem haben sie uns Material zur Verfügung gestellt, Uniformen und Ausrüstungen, um dieses Umfeld authentisch darstellen zu können. Sie waren also involviert, aber nur auf einem praktischen Level, nicht bei den Entscheidungen.

War die Zustimmung an Vorgaben geknüpft? Gab es Dinge oder Themen, die nicht vorkommen durften?

Nein, ich habe ihnen von Anfang an gesagt, dass es um einen Soldaten geht, der sich eines Kriegsverbrechens schuldig macht und sich vor Gericht dafür verantworten muss. Das ist natürlich kein Thema, das sie fördern wollen, aber ihnen ist klar, dass diese Problematik existiert und Journalisten so oder so darüber schreiben. Und ich glaube, ihnen hat mein vorheriger Film A HIJACKING – TODESANGST … IN DER GEWALT VON PIRATEN gefallen und sie hatten den Eindruck, dass ich diese Welt auf einem Frachtschiff und seiner Besatzung fair dargestellt habe. Sie waren sich also sicher, dass ich sie nicht fertig machen will, sondern die Realität ihres Alltags erzählen will. Sie fühlen sich oft falsch dargestellt oder unverstanden und waren froh, dass jemand ihr Leben authentisch wiedergibt. Und die Soldaten, die den Film gesehen haben, bestätigen das.

Warum war es so wichtig, mit echten Soldaten zu sprechen?


Weil ich selbst nie im Krieg war. Alles, was ich darüber weiß, stammt aus anderen Filmen. Und die sind voller Klischees. Um das zu verhindern, musste ich mit denen reden, die Kriegseinsätze wirklich erlebt haben. Nur so komme ich an Wissen und an Erfahrungen, die nicht fiktional sind. Nur so kann ich ihr Leben so präzise wie möglich darstellen. Und die reale Gewalt ist ziemlich hässlich und außer Kontrolle, man will das gar nicht sehen, ganz anders als die Bilder in den meisten Kriegsfilmen.

Sie stellen die Kriegserlebnisse dem Leben in der Heimat gegenüber, verbinden Kriegsfilm mit Familiendrama.

In vielen Kriegsfilmen werden die Soldaten entmenschlicht, sie sind reine Kampfmaschinen in Uniform. Ich wollte aus ihnen komplexe Charaktere machen, der Protagonist ist auch ein Ehemann und Vater. Es geht also nicht nur um die Soldaten im Kriegsgebiet, sondern auch um die Familien, die oft monatelang ohne ihren Vater oder ihre Mutter und in ständiger Sorge um sie leben müssen. Und es gibt noch eine dritte Seite: Sie sind auch Bürger eines demokratischen Landes und müssen sich für ihre Taten verantworten. In diesen drei Arenen habe ich meinen Film aufgebaut.

Sie drehen in Ihren inzwischen drei Spielfilmen immer wieder mit denselben Schauspielern wie Pilou Asbæk. Schreiben Sie die Rollen schon mit bestimmten Darstellern im Hinterkopf?

Ich trenne nicht zwischen Film und Leben, ich will auch meine Arbeitszeit mit Leuten verbringen, die ich mag. Ich wechsele auch nicht meine Frau oder meinen Bruder, genauso bleibe ich meiner Filmfamilie treu. Und ich fühle mich sehr privilegiert, dieses Leben mit meinen Freunden teilen zu können. Pilou und ich sind gleich alt, wir haben zusammen angefangen und für mich ist er der beste skandinavische Schauspieler. Ich bin froh, dass er mir einen Teil seiner Lebenszeit schenkt. Jetzt ist er in der neuen Staffel von „Game of Thrones“... ich hoffe, sie bringen ihn schnell um!

Was ist für Sie der Unterschied, ein Drehbuch für einen eigenen Film oder für Thomas Vinterberg zu schreiben?


Bei meinen Filmen bin ich der Bandleader und ich schreibe die Songs, bei Vinterberg bin ich eher der Drummer seiner Band, zu der noch jede Menge andere Leute gehören. Er und Mads Mikkelsen sind die Rockstars und ich sitze eher im Hintergrund und versuche, den Rhythmus und den Groove zu halten. Aber mal im Ernst: Als Drehbuchautor versuche ich, das bestmögliche Skript für Thomas als Regisseur zu schreiben. Es gibt in seinen Filmen eine Menge Szenen, die ich nicht inszenieren könnte. Ich erinnere mich etwa an die Kirchenszene in DIE JAGD, in der alles den Bach runtergeht. Bei jeder neuen Fassung habe ich diese Szene wieder gelöscht, weil sie mir auf dem Blatt nicht gefallen hat. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, wie man sie drehen müsste. Und wenn die Fassung dann von Thomas zurückkam, war sie wieder drin. Du wirst schon sehen, sagte er mir dann immer, ich weiß wie ich sie drehe. So ging das hin und her, ich glaubte bis zum Schluss nicht an die Szene, erst als ich sie im Schnitt sah, wusste ich: Sie ist perfekt. Und sie blieb drin, weil es ein Thomas Vinterberg-Film ist. Also ja, ich schreibe für ihn anders als für meine Projekte, genauso wie ich für die Serie „Borgen – Gefährliche Seilschaften“ anders schreibe. Wenn ich für andere schreibe, ist es eher Handwerk und sehr kontrolliert, für mich selbst ist es ein viel größeres Durcheinander.

Das Gespräch führte Thomas Abeltshauser