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Filme für die Kinopause: WILD SIDE

Blick in einen Möglichkeitsraum

Eine Empfehlung von unserem Autor Jan Künemund: WILD SIDE lief auf der Berlinale 2004, gewann dort den Teddy für den besten queeren Film und geriet danach ziemlich in Vergessenheit. Das ist wahrscheinlich identitätspolitisch begründet: er ist einer von vielen Filmen, in dem eine trans* Person als Sexarbeiter*in dargestellt wird, ein Stereotyp bürgerlicher Erzählungen. Hier allerdings geht der Blick in einen Möglichkeitsraum: Stéphanies Leben auf der Wild Side in klaren, brutalen, aber auch sehr selbstverständlichen Bildern, genauso selbstverständlich ihre Dreierbeziehung mit einem Gelegenheitsstricher aus nordafrikanischer Familie und einem desertierten russischen Soldaten. Mit ihnen bewegt sich der Film in verschiedenen Welten, im Rotlicht von Paris, unter der kalten Wintersonne in Stéphanies nordfranzösischer Heimat, wo ihre Mutter im Sterben liegt. Verschiedene Schichten der Selbst- und Fremdbilder sind um das Wärmezentrum der drei Liebenden angelegt, denen Agnès Godards Kamera immer wieder sehr nah rückt. Wir setzen die fragmentierten Körper im Kopf, zwischen den Schnitten, neu zusammen. Sie sind immer mehr als das, was zu sehen und auf den Begriff zu bringen ist. WILD SIDE berührt auf sehr konkrete Weise. Zu Beginn singt Anohni den Song der falschen Dichotomien: Are you a Boy or a Girl? Das ist nicht die Frage des Films. Seine selbstverständliche Schönheit ist vielmehr ein utopischer Gegenentwurf zur Gewalt, die darin verborgen ist.

WILD SIDE von Sébastien Lifshitz ist auf DVD erhältlich sowie als Stream im „Salzgeber Club“: https://vimeo.com/ondemand/wildside