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Filme für die Kinopause: TITUS (1999)

Julie Taymor ist eher für ihre Filmbearbeitungen als für die Filme, die sie als Regisseurin inszeniert hat, bekannt: Ihre Bühnenfassung von THE LION KING wurde zur Musterinszenierung für den Stoff, während das Broadwaymusical SPIDER-MAN: TURN OFF THE DARK an Taymors technischen und dramaturgischen Ambitionen scheiterte und zu einem der berüchtigsten Flops des letzten Jahrzehnts (https://www.youtube.com/watch?v=j6bxB9vTToQ) wurde. Ihr größter Filmerfolg, die Künstlerinnenbiografie FRIDA (2002), wurde für fünf Oscars nominiert, während ihr psychedelisches Jukeboxmusical ACROSS THE UNIVERSE (2007) es auf die Indiekino-Liste der „10 besten Beatlesfilme ohne die Beatles“ schaffte.

Taymors Stärke liegt in der Inszenierung von Bildern, weswegen ihre Filme ein starkes narratives und schauspielerisches Rückgrat erfordern, um dem Spektakel eine Grundlage zu geben. Wenn man zum Beispiel ein Stück von Shakespeare hätte, und in den Hauptrollen Anthony Hopkins, Jessica Lange und Alan Cummings, wäre das Ergebnis doch sicher so herausragend, dass man noch lange von dem Film spricht. Leider war der Erfolg von Taymors Filmdebüt an den Kinokassen eher mäßig und während TITUS (1999) in den Staaten in einer 2-DVD-Collector’s Edition mit Massen an Dokumentarmaterial über die Arbeit an und hinter den Kulissen erhältlich ist, reichte es in Deutschland nur für eine sehr karge Einscheibenversion.

Dabei ist es gerade die opulente und spektakuläre Umsetzung, die Shakespeares Frühwerk über den Feldherren Titus Andronicus, der nach seiner siegreichen Rückkehr nach Rom den Kaiserthron ablehnt und deswegen in eine Intrige aus Eifersucht, Wahnsinn, Verstümmelung und Pasteten gerät, die nötige Überlebensgröße gibt. Das Rom des Films ist nicht historisch korrekt, sondern schamlos künstlich, bedient sich an klassischer Kunst und der Ikonografie des Römischen Reiches genauso wie an der des davon inspirierten Faschismus, modernen Fussballrivalitäten und der Oper, und schmeckt alles mit einer große Portion Grand Guignol ab. In Anthony Hopkins Karriere ist der Film ein wunderbarer Schnittpunkt zwischen seinem Können, als theatergeschulter Schauspieler einer Figur psychologische Tiefe zu geben, und seinem Spaß daran, ähnlich wie in BRAM STOKER’S DRACULA (1992) oder HANNIBAL (2000), eine extreme Figur bis auf den letzten Funken auszureizen. Ähnlich zieht Elliot Goldenthals Filmmusik alle Register von monumentaler Klassik über experimenteller Dissonanz bis zu sanftem italienischen Schlager, um den vollen Umfang der im Film enthaltenen und oftmals völlig widersprüchlichen Gefühle (Trauer trifft auf Ekel trifft auf absurde Komik) zu kommunizieren.

Dass dies alles den Film zu aufregend und zu überfordernd macht, um ihm die Anerkennung als ein „anständiges Stück Kultur“ zu gewähren, ist verständlich, aber sowohl als Film als auch als Theaterumsetzung gibt es wenige Werke, die Taymors TITUS das Schlachtermesser reichen und Shakespeare so faszinierend vermitteln können. Und nun zu Tisch.

Christian Klose