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Filme für die Kinopause: ARCHIPELAGO

Viele fiese kleine Konflikte

Die Kinopause scheint langsam ihrem Ende entgegen zu gehen – in den einen Bundesländern schneller, in den anderen langsamer, aber einige Wochen wird es sich sicher noch hinziehen, bevor die ersten Kinotüren wieder aufgehen. Wir haben unsere Autor:innen, die Indie-Kinobetreiber:innen und Mitstreiter:innen aus der Branche nach Filmtipps für unsere Leser:innen gefragt. Dabei soll es gerade nicht um die neueste Serie, den neuesten VoD-Start und das aktuelle Fernsehprogramm gehen, sondern um Geheimtipps, Lieblingsfilme und Entdeckungen. Den Anfang macht unsere Autorin Eva Szulkowski:

2019 hatte die britische Regisseurin Joanna Hogg ein erfolgreiches Jahr: Ihr vierter Langfilm THE SOUVENIR wurde mehrfach preisgekrönt und ist einer der großen Sundance-Gewinner. Auch vielen Berlinale-Besucher:innen wird der Film, indem Hogg ihren eigenen künstlerischen Werdegang reflektiert, noch in Erinnerung sein. Das alles scheint lange her – Preise, Großveranstaltungen, Kino, 2019. Heute sitzen wir auf unseren einsamen (Sofa)-Inseln und warten. Das tun auch die Charaktere in ARCHIPELAGO, Hoggs zweitem Film, der beispielhaft für ihren aufmerksamen minimalistischen Stil ist. Eine Familie macht Urlaub auf einer abgelegenen britischen Insel, gehüllt in britischen Nebel. Ein Haus, eine Familie und viele fiese kleine Konflikte, die sich nur selten entladen, aber immer präsent sind – diese Themen finden sich immer wieder in Hoggs Werk, hier werden sie besonders konzentriert unter die Lupe genommen. Die Figuren sind nachvollziehbar und nachfühlbar, nichts ist hier überdramatisiert, vieles einschneidend realistisch. Tom Hiddleston, der in Hoggs Filmen seine ersten Hauptrollen spielte, sieht man hier untypisch als vergrübelten, sehr sensiblen jungen Mann, ein bisschen zu groß geworden für das verwinkelte Ferienhaus, das er schon als Kind kannte. Seine Pläne, nach Afrika zu gehen, um dort Menschen zu helfen, stoßen bei der karriereorientierten Schwester Cynthia (Lydia Leonhardt) auf Unverständnis. Mutter Patricia (Kate Fahy) will schlichten, doch ihrem Wunsch, die Familie noch einmal zusammenzubringen, liegen viele schwere Steine im Weg. Der Film betrachtet die Welt durch die Augen ihrer melancholischen Protagonisten, ähnlich wie Jim Jarmusch in STRANGER THAN PARADISE. Wer sich von Jarmuschs schroffem Meisterwerk des filmischen Minimalismus bezirzen ließ, der dürfte auch an Hoggs leiser wie monumentaler Bildsprache Gefallen finden. Und wer es gerne etwas sonniger möchte, dem sei Hoggs motivisch verwandter Erstling UNRELATED (UK 2007) ans Herz gelegt: Der spielt nämlich nicht im britischen Nebel, sondern in der Toskana.