
Feature
Intermission Post II
Film ohne Kino?
Am Donnerstag hat der Berliner Senat darüber beraten, wie es mit den Corona-Maßnahmen in den nächsten Wochen weitergehen soll. Die Kontaktsperre bleibt noch mindestens eine Woche lang aufrecht, dann sollen zunächst kleine Läden wieder öffnen können und das Schul- und Kitaangebot vorsichtig erweitert werden. Von Kinos war nicht die Rede, aber zu Großveranstaltungen äußerte sich Bürgermeister Michael Müller. Der rbb berichtet: „Die Frage, wie genau Großveranstaltungen, die Bund und Länder am Mittwoch bis Ende August ausgeschlossen hatten, definiert seien, ließ Müller offen. Der Maßstab werde wohl sein, wie die Veranstaltung aussieht, ob da etwa "viele Menschen wild feiern". “Rockkonzerte sehe ich da in weiter Ferne”, so Müller, auch Bar- und Clubbesuche seien voraussichtlich nicht so bald wieder möglich. Anders sehe es beispielsweise bei Podiumsdiskussionen aus.“ Das Kino, so ist zu vermuten, liegt irgendwo dazwischen. Es sind viele Leute auf einem Haufen, aber sie sitzen ruhig an ihrem Platz.
Es sieht also so aus, als müssten wir noch eine Weile auf Kino verzichten und das Kino auf Zuschauer*innen. Ich finde das richtig, aber es ist auch klar, dass es eine existentielle Katastrophe für eine ganze Branche ist – für die Kinos und deren Betreiber*innen und Mitarbeiter*innen, für die viel weniger sichtbaren Verleihfirmen, die auch Angestellte durchbringen und Mieten zahlen müssen, und die, wenn es wieder losgeht, Werbekampagnen vorfinanzieren müssen, von den Einnahmen aus ihren Filmen aber erst Monate später etwas sehen, für die Produktionsfirmen und Kreativen, für Marketingfirmen und Presseagenturen und natürlich auch für das kleine INDIEKINO Magazin. Uns fehlt das Filmprogramm, über das wir schreiben können, die Kinos, in denen das Magazin ausliegt und die Anzeigenkund*innen, die ihre Filme bei uns bewerben. Und das wird auch wenn es irgendwann vorsichtig wieder losgeht, erstmal so bleiben. Ohne eine lebendige und gut funktionierende Kinolandschaft, die gerade in Berlin ziemlich einzigartig ist, ist der „Luxus“ eines Kinomagazins kaum zu finanzieren. Die Aussicht ist beängstigend.
Aber den Film gibt es doch weiter, oder? Könnten wir nicht einfach über etwas anderes schreiben? Feministische Lieblingsserien, die besten Horrorfilme aller Zeiten, Trostfilme und Pandemie-Klassiker? Jein. In mittlerweile vier Wochen Home-Office habe ich inzwischen ganze 3 ½ Spielfilme gesehen: Die Legende der Prinzessin Kaguya (unglaublich schön gezeichnet und sehr traurig), Airplane (zeitlose Gags auf dem Niveau von 5 bis 12-Jährigen – also genau mein Witz-Alter), Think Fast, Mr. Moto (schön kurz) und Only Yesterday von Isao Takahata (den nur zur Hälfte, der plätscherte irgendwie so dahin). Das liegt sicher vor allem daran, dass die Gegenwart im Moment fiktional erscheint und jede Nachrichtensendung neue dystopische Szenarien aufblättert. Der Bedarf an Kopfkino ist gedeckt. Wohltuender als eine eskapistische Filmfantasie sind die erste Hummel im Balkonkasten und der muntere Sauerteig in der Küche.
Aber es liegt eben auch daran, dass dem Film ohne Kino der Ankerpunkt verloren geht. Bei tollen Filmen stelle ich mir zumeist vor, wie es wäre, sie im Kino zu sehen - und manchmal sogar, wie es wohl wäre, sie auf 35mm zu gucken (20th century girl and proud!). „Das gehört eigentlich ins Kino“ ist die Kehrseite der vernichtenden Kritik „Das ist doch ein Fernsehfilm, der hat im Kino nichts verloren“. Ohne mindestens die theoretische Möglichkeit von Kino fällt diese Unterscheidung weg, fehlt es den Filmen an Glanz und Einzigartigkeit und dem Filmegucken an Festlichkeit und Konzentration.
Ebenso geht der Diskurs verloren. Das Filmangebot ist in den letzten Jahren unübersichtlicher geworden, aber die neuen Filme jede Woche waren dennoch ein gemeinsamer Bezugspunkt. In der Gleichzeitigkeit des Internets guckt jede und jeder irgendwann irgendwas und Gespräche unter Freund*innen verändern sich - von Debatten über das Für und Wider eines Film, den wir alle gesehen haben, hin zu Nacherzählungen über Serien und Filme, die jeweils nur ein oder zwei von uns kennen. Die Zersplitterung des Publikums ist auch für die Filmproduktion ein Problem. Wie soll in den Weiten des Internets genug Aufmerksamkeit für ein Produkt generiert werden, dass sich die Produktion von interessanten Filmen überhaupt lohnt? Noch springen Netflix und Amazon in die Bresche und ziehen mit dem Versprechen kreativer Freiheit und großen Budgets Filmemacher wie Scorsese auf ihre Seite. Aber wird das so bleiben? Was bedeutet es für Vielfalt, wenn es immer weniger Player am Markt gibt? Bleiben am Ende nur die No-Budget-Produktionen auf der einen und die Megakonzerne auf der anderen Seite übrig?
Wir sind mit dem Kino noch nicht fertig. Auf den Vier-Seiten-Essay zu „Crazy Ex-Girlfriend“ müsst ihr noch ein wenig warten. Wir warten derweil darauf, dass das Kino zurückkommt.
Hendrike Bake