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Feature, Interview

„Es wird schnell verdrängt, was als zu fantastisch oder albern empfunden wird“

Interview mit Alexandre Koberidze über WAS SEHEN WIR, WENN WIR ZUM HIMMEL SCHAUEN?

Alexandre Koberidze studierte in Tiflis Mikroökonomie und Filmproduktion, bevor er nach Berlin zog und an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin Regie studierte. Sein Debüt LASS DEN SOMMER NIE WIEDER KOMMEN (2017) über einen jungen, verliebten Tänzer in den Großstadtstraßen von Tiflis, drehte Koberidze bewusst in niedriger Auflösung, so dass fast experimentelle Farbflächen entstanden. Sein zweiter Film, die verträumte Flaneur-Erzählung WAS SEHEN WIR, WENN WIR IN DEN HIMMEL SCHAUEN? war auf der Lockdown/Sommer-Berlinale 2021 der Kritiker- und Publikumsliebling. Als Darsteller ist Alexandre Koberidze regelmäßig in den Filmen seines Kollegen Julian Radlmaier zu sehen. Thomas Abeltshauser hat sich mit Alexandre Koberidze über WAS SEHEN WIR, WENN WIR ZUM HIMMEL SCHAUEN? unterhalten.

INDIEKINO: Herr Koberidze, wie entstand für Ihren Film WAS SEHEN WIR, WENN WIR ZUM HIMMEL SCHAUEN? die Idee eines Paares, das sich kurz begegnet und dann durch einen Fluch nicht mehr zueinanderfindet?

Alexandre Koberidze: Am Anfang stand der Wunsch, ein Ereignis zu erzählen, das nicht in die alltägliche Wirklichkeit passt, etwas Raum geben, das so unwahrscheinlich ist, dass es eigentlich nicht sein kann.

Weil das Kino ein guter Ort für diesen magischen Realismus ist?

Weil auch unsere Welt ein Ort dafür ist. Es wird schnell verdrängt, was als zu fantastisch oder albern empfunden wird. In unserer technokratischen Gesellschaft wird versucht, für alles eine erklärbare Antwort zu finden. Aber Manches entzieht sich Wissenschaft und Logik.

Ist diese Weltsicht in Georgien ausgeprägter als in Deutschland?

Es ist schwer für mich zu vergleichen. Ich kam vor 12 Jahren nach Berlin, aber mein Blick ist noch immer begrenzt, weil meine Bubble sehr auf die Stadt und den Freundeskreis um die dffb bezogen ist. Deswegen wollte ich auch in Georgien drehen, weil ich besser spüren und beurteilen kann, welche Stimmung dort herrscht.

Sie selbst stammen aus der Hauptstadt Tbilissi, der Film spielt im westgeorgischen Kutaissi. Warum dort?

Kutaissi ist auf eine Art das Herz Georgiens. Es ist die älteste Stadt, sie war schon im 8. Jahrhundert vor Christus Hauptstadt der Kolchis und hat im Laufe der Geschichte viele wichtige Persönlichkeiten hervorgebracht, Künstler und Politiker, die das Land sehr geprägt haben. Und auch wenn es eine relativ kleine Stadt ist, hat sich hier in den 80er und 90er Jahren zum Beispiel eine sehr kreative Musikszene entwickelt, vor allem HipHop.

Inwiefern schwingt das mit in Ihrem Film?

Wenn man durch die Stadt läuft, erinnern viele Ecken an die Vergangenheit dieser Stadt. Das ist spannend, aber man muss auch aufpassen, dass es auf der Leinwand nicht zum Zitat wird. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion hat Kutaissi etwas seine Funktion verloren, erst in den letzten Jahren findet sich die Stadt langsam wieder, es entsteht etwa eine neue Universität. Vorher war es für Leute aus Tbilissi oft nur ein Ort, den man auf dem Weg zum Meer durchfährt und allenfalls anhält, um etwas zu essen. Auch ich kannte die Stadt eher aus der Geschichte und vom Hörensagen als aus eigener Erfahrung. Ich hatte zwar Freunde, die dort lebten, aber ich war nie länger als zwei Tage dort.

Für mich ist Fußball eine große Leidenschaft.

Wie haben Sie dann die Stadt und die passenden Orte für sich entdeckt, die nun so eine wichtige Rolle im Film spielen, die Brücke über den Fluss etwa?

Meine Produzentin, der Kameramann und ich haben vor dem Dreh fast ein Jahr dort verbracht, um Kutaissi zu verstehen und das Drehbuch zu entwickeln. Bei den langen Spaziergängen ist mir diese Brücke früh aufgefallen, ich wollte sie und das Café dort als Schauplatz unbedingt in meinem Film haben. Und dann waren der Kameramann und ich oft so begeistert von Orten, die wir unbedingt auch verwenden wollten. Also habe ich das Drehbuch umgeschrieben und die Geschichte um diese Orte herumgebaut.

Sind aus dieser Herangehensweise auch der besondere Erzählrhythmus und die Ästhetik des Films entstanden?

Das war sehr intuitiv. Wir hatten zwar ein Storyboard, aber die Form änderte sich stark im Arbeitsprozess. Als wir die Orte festgelegt hatten, haben wir zunächst alles mit den passenden Optiken fotografiert, um sehr genau zu wissen, mit wie vielen und welchen Einstellungen wir die Szenen später drehen. In dieser Auflösung ist dann im Grunde auch schon der Schnittrhythmus vorgegeben, wenn wir etwa Details assoziativ aneinanderreihen. Das alles entsprang der Idee, den Film wie einen Stummfilm zu drehen, fast wie Eisenstein, Dinge nicht über Dialoge zu erklären und mit Bildern zu arbeiten, die durch den Schnitt und die Reihung eine Bedeutung bekommen. Wir haben aber auch Teile dokumentarisch gedreht. 2018 während der Fußball-WM haben wir abends die Menschen dabei beobachtet, wie sie zusammen die Spiele schauen und tagsüber den Alltag in der Stadt eingefangen. Als wir dann ein Jahr später die Spielszenen drehten, hatte ich dieses Dokumaterial immer im Hinterkopf, und überlegte, wie ich es später im Schnitt einbauen könnte, auch um den Erzählfluss zu brechen, vom Plan abzukommen. Das gab mir eine große Freiheit.

Warum Fußball?

Für mich ist Fußball eine große Leidenschaft und ich hatte die Hoffnung, dass sie im Film spürbar ist, sich auf das Publikum überträgt. Aber wir konnten natürlich nicht vorhersehen, wie die Leute vor Ort bei den Liveübertragungen reagieren. Wir haben dann weniger die Gesichter gefilmt, eher andere Körperdetails, durch die aber starke Emotionen sichtbar werden. Diese Momente, auch die mit den begeistert fußballkickenden Kindern in Zeitlupe, bilden nun einen Kontrast zu den sehr zurückgenommen gespielten Szenen der Darsteller.

Wie lange haben Sie am Schnitt gearbeitet?

Länger als geplant. Als ich den ersten Rohschnitt hatte, fing die Pandemie an. Ich war drei, vier Monate zuvor im Schnittraum an der dffb, quasi schon in Isolation. Als dann der allgemeine Lockdown kam, durfte ich den Schnittcomputer zum Glück zu mir nach Hause nehmen und habe dann bis in den Sommer weiter daran gearbeitet.

Ich musste mich erst daran gewöhnen, dass jede Figur ihren eigenen Sound hat.

Was war oder ist für Sie das Wichtige an der dffb?

Sie ist der Grund, warum ich 2008 nach Berlin gekommen bin. Ich hatte dort viele Möglichkeiten und Freiräume, konnte an meinem ersten Langfilm alleine 2,5 Jahre lang arbeiten. Fast noch wichtiger aber waren die Leute, die ich dort in dieser Zeit kennengelernt habe und die mich stark geprägt haben als Filmemacher und als Mensch. Da gehört vor allem Julian Radlmaier dazu, für den ich auch in seinem neuen Film BLUTSAUGER, der im Mai ins Kino kommt, als Darsteller vor der Kamera stand. Schon seine Übungen an der dffb fand ich damals sehr besonders und ich habe viel von ihm gelernt.

Wie sieht die Filmszene in Georgien aus? Gibt es staatliche Unterstützung oder wie herausfordernd ist es, dort zu drehen?

Es gibt eine große Tradition, während der Sowjetzeit sind viele Filme in Georgien entstanden. Doch durch den Zusammenbruch und die anhaltende Krise konnte viele Jahre nur sehr wenig produziert werden, erst langsam wächst wieder eine Filmindustrie heran. Es gibt internationale Produktionen, die hier drehen, Bollywood und auch aus arabischen Ländern, weil auf relativ kleinem Raum sehr unterschiedliche Landschaften zur Verfügung stehen. Es ist immer noch günstig und es gibt viele gut ausgebildete Leute. Aber die Infrastruktur befindet sich noch im Wiederaufbau.

Sie sind 1984 geboren. Wie haben Sie in Georgien das Kino für sich entdeckt?

Das war in meiner Jugend schwierig, Filme waren oft nur auf VHS verfügbar, mit furchtbar schlechter Bild- und Tonqualität, eine russische Synchronstimme hat alle Dialoge gesprochen. Das war noch sehr lange so, auch bei DVDs, und änderte sich erst durch das Internet. Ich glaube, meine Vorliebe in meinen eigenen Filmen eine Erzählstimme zu haben, hat hier ihren Ursprung. Ich mag dieses Artifizielle des Kinos und musste mich erst daran gewöhnen, dass jede Figur einen eigenen Sound hat.

Ihr Film hat nicht nur eine erzählende Stimme, bisweilen spricht sie auch das Publikum direkt an. Eine durchaus gewagte Gratwanderung, die einen bezaubernden Reiz hat, aber leicht peinlich hätte werden können.

Ich finde es schwierig, völlig ernste und in sich geschlossen Geschichten zu erzählen. Wenn ich mit diesen Elementen spiele, stelle ich auch meine Rolle als Filmemacher infrage und was Kino heute ist. Wie funktioniert Filmsprache, was bedeutet etwa eine Kamerafahrt heute? Ich muss das für mich ausprobieren und verstehen, in dem ich es in einem Film benutze. Und diese Kamerafahrt bedeutet dann in dem Moment nichts anderes, sondern steht ganz für sich.

Das Gespräch führte Thomas Abeltshauser

Thomas Abeltshauser