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Feature, Interview

"Es sollte möglichst so ausschauen, als wären die teuren Möbel schon verkauft worden."

Interview mit Marie Kreutzer über CORSAGE

In ihren Filmen beschäftigt sich die Österreicherin Marie Kreutzer immer wieder damit, wie sich Menschen in eng verbundenen Zusammenhängen fühlen und miteinander agieren. In ihrem ersten Spielfilm DIE VATERLOSEN (2011) ergründen in einer Hippiekommune aufgewachsene Geschwister die Ereignisse ihrer Kindheit, die Komödie WAS HAT UNS BLOSS SO RUINIERT (2016) verfolgt sehr genau, was mit einem Wiener Freundeskreis passiert, als alle Paare plötzlich Kinder bekommen, und DER BODEN UNTER DEN FÜSSEN, der im Wettbewerb der Berlinale 2019 zu sehen war, porträtiert die Beziehung zweier Schwestern. In ihrem jüngsten Film CORSAGE, der in Cannes in diesem Jahr die Sektion „Un certain regard“ eröffnete, zeigt Kreutzer eine widerspenstige Kaiserin Elisabeth, die in das Gefüge des Hofes so gar nicht hineinpasst. Pamela Jahn hat sich mit Marie Kreutzer über ihren neuen Film unterhalten.

INDIEKINO: Frau Kreutzer, was hat Sie daran gereizt, einen Film über Kaiserin Elisabeth von Österreich zu drehen?

Marie Kreutzer: Ich muss gestehen, ursprünglich war es gar nicht meine Idee. Ich habe vor Jahren einen anderen Film mit Vicky Krieps gemacht, WAS HAT UNS BLOSS SO RUINIERT. Danach wollten wir gerne wieder zusammenarbeiten und haben über mögliche Stoffe nachgedacht. Es war Vicky, die Kaiserin Elisabeth ins Spiel brachte. Ich war damals aber eigentlich überhaupt nicht an ihr interessiert. Ich bin wie alle Österreicher*innen mit diesem Klischeebild von ihr aufgewachsen und habe das immer eher mit Souvenirshop assoziiert. Trotzdem hat die Idee irgendwie in mir weitergearbeitet. Ungefähr zwei Jahre später habe ich mich dann zum ersten Mal erkundigt, welche Literatur es zu dem Thema gibt. Ich dachte mir, ich lese mich mal ein bisschen ein, gehe ins Museum und schau einfach, ob da nicht vielleicht doch etwas ist, was mich inspiriert oder was mich an dieser Figur interessiert.

In CORSAGE konzentrieren Sie sich auf die zweite Lebenshälfte der Kaiserin. Warum?

Zum einen war klar, wenn ich den Film mache, dann mit Vicky Krieps. Es musste also um ein bestimmtes Alter gehen. Zum anderen fand ich diese Phase im Leben von Elizabeth am spannendsten, weil ich darüber bisher kaum etwas wusste. Es ist zwar hinreichend bekannt, wie sie zur Kaiserin wurde und auch, wie sie umgebracht wurde. Aber dazwischen gibt es eigentlich sehr wenig. Und irgendwann kam ich bei meiner Recherche an einen Punkt, wo ich gemerkt habe, dass das wirklich eine Filmgeschichte werden könnten, die auch mit heute zu tun hat und nicht nur ein historischer Abriss ihres Lebens ist.

Sie räumen in Ihrem Film ordentlich mit den weitverbreiteten Image von Sissi auf, das Sie bereits angesprochen haben. Ein Image, das geprägt ist von den Filmen mit Romy Schneider aus den 1950er Jahren.

Ja, deswegen war es mir auch wichtig, dass sie im Film Elisabeth genannt wird. Ich fand, dass Sissi eine Verniedlichung ist, die eigentlich nicht zu ihr als Person passt. Zudem gibt es zwar Briefe von Franz Joseph I., in denen er sie Sissi nennt. Es gibt aber durchaus auch die Theorie, dass sie sich eigentlich Lisi genannt hat und nur der Schriftzug in den Briefen und Tagebüchern etwas undeutlich ist. Demnach ist vielleicht nicht nur das Image eine reine Fiktion, sondern auch der Name, zu dem sie überhaupt erst postum gekommen ist.

Haben Sie sich vorab Regeln gesetzt oder eine Liste aufgestellt von den Klischees, Vorurteilen oder Stereotypen, die Sie unbedingt vermeiden wollten?
Nein, überhaupt nicht. Ich habe auch nicht gegen die Filme von Ernst Marischka gearbeitet. Vielmehr habe ich versucht, das Bild umzusetzen, das ich durch meine Recherche gewonnen habe, ohne den Anspruch, dass mein Ansatz in irgendeiner Weise wahrer ist. Aber die Frau, über die ich gelesen habe, war eben eine ganz andere Frau als wir sie aus diesen Klassikern kennen. Und das fand ich zunächst sehr überraschend, weil ich das Gefühl hatte, dass hinter diesem Mythos Sissi, der uns bisher verkauft wurde, eigentlich eine Frau steckt, die sehr widersprüchlich war, sehr komplex und auch sehr unberechenbar. Eine Frau, die in vieler Hinsicht sehr zurückhaltend und schüchtern war, andererseits den Menschen aber oft auch sehr wechselhaft gegenübertrat. Das alles hat mich sehr fasziniert, weil sich vor diesem Hintergrund ein Bild abzeichnete, das viel sperriger ist, menschlicher und viel weniger lieb als ich sie davor wahrgenommen hatte.

Auch viel einsamer?

Ja, mir ist aufgefallen, dass es eigentlich niemanden gab, mit dem sie auf Augenhöhe gelebt hat. Es gab ihre Hofdamen, die dann zum Teil zu Freundinnen wurden. Aber es war natürlich trotzdem ein Machtverhältnis, ein Ungleichgewicht. Es gab den Mann, der trotz allem auch ihr Vorgesetzter war, wenn man so will. Und alle anderen standen ihr unter. Die Möglichkeit, eine gleichwertige Freundschaft oder Beziehung zu haben, das war ausgeschlossen. Und das lässt einen dann, glaube ich, extrem vereinsamen, wenn man so stark in eine Hierarchie eingebunden ist und auf dieser Hierarchiestufe nur alleine steht.

Ich glaube, dass wir bei den sogenannten Royals letztlich zugespitzt die Situation sehen, in der wir Frauen uns alle befinden

Ihre Elisabeth, so wie sie Vicky Krieps spielt, ist zudem eine sehr moderne Frau. Gab es Bezüge zu anderen Persönlichkeiten aus der heutigen Zeit, die Sie im Hinblick auf die Figur inspiriert haben?

Sie war wirklich sehr modern, etwa im Hinblick auf den intensiven Sport, den sie betrieb, oder was die starke Auseinandersetzung mit dem Essen angeht, mit ihrer Diät. Das war beides damals eigentlich nicht üblich. Außerdem war sie sehr groß, sehr schlank, und demnach auch als Frauentyp eher ungewöhnlich für diese Zeit. Alles in allem hätte sie eigentlich viel besser in die Gegenwart gepasst. Und was mich inspiriert hat, war die Thematik, dass wir als Frauen bis heute in erster Linie über unser Aussehen definiert werden. Wir werden sozialisiert, so dass wir gefallen müssen, um geliebt zu werden. Wir können uns dann dazu verhalten und uns dem auch entziehen oder wir können dagegen angehen. Aber wir müssen uns immer irgendwie positionieren.

In dem Zusammenhang denkt man unmittelbar an konkrete Beispiele wie Lady Diana oder Marie Antoinette, die jede auf ihre Art ebenfalls Rebellinnen waren.

Ich glaube, dass wir bei den sogenannten Royals letztlich zugespitzt die Situation sehen, in der wir Frauen uns alle befinden. Aber ich habe während des Schreibens tatsächlich selbst auch eine höhere Aufmerksamkeit für diese Geschichten entwickelt, beispielsweise, was die zwei englischen Prinzessinnen betrifft. Und wenn man sich die Titelseiten der Klatschzeitungen einmal genauer anschaut, fällt auf, dass man Meghan Markle immer mit einer anderen Schlagzeile sieht. Mit welcher ist eigentlich vollkommen egal, Hauptsache, sie kommt vor. Und eigentlich wird sie immer diskreditiert. Immer hat sie irgendwas falsch gemacht. In dem Sinne repräsentieren Meghan Markle und Kate Middleton für mich zwei Möglichkeiten, wie man mit diesem Druck von außen umgehen kann. Die eine versucht dem hundertprozentig zu entsprechen, die andere versucht sich ihm zu entziehen. Aber beide werden natürlich die ganze Zeit beurteilt, und insofern handelt es sich dabei eigentlich um eine verdichtete Version des Frauenlebens an sich, wo von einem auf vielen Ebenen sehr viel erwartet wird.

Als Einstieg in den Film haben Sie speziell den Moment gewählt, als Elisabeth vierzig wird. Warum war diese Zäsur so prägend?

Es gibt diesen Originaltext von ihr, in dem sie schreibt: "Ein Mensch von 40 Jahren löst sich auf, verfinstert sich wie eine Wolke." Mit anderen Worten: Eine 40-jährige Frau galt damals als sehr alt. Das heißt, es war quasi offiziell, dass sie fortan nicht länger die junge schöne Kaiserin sein konnte, dass sie sich von dieser Aufgabe lösen und in ein anderes Fach wechseln musste. Und was bedeutet das für einen Menschen, wenn einem die einzige Rolle, die man überhaupt spielen darf, auch noch genommen wird? Das fand ich eine spannende Frage. Vieles in dem Film ist natürlich meine eigene Dichtung, aber ich habe beim Lesen das Gefühl gehabt, dass damals vieles kippte in ihrem Leben und sie immer mehr versucht hat, auf alle möglichen Weisen auszubrechen und diesem Käfig zu entkommen.

Andererseits zeigen Sie im Film indirekt auch, dass das Kaiserreich zu dem Zeitpunkt ebenfalls langsam zu bröckeln beginnt.

Ja, das war mir sehr wichtig, weil auch Elisabeth das sehr früh in ihren Texten aufgegriffen und analysiert hat. Wir wissen zwar nicht, wie sehr es ihr und den Menschen in diesem Milieu damals bewusst war, dass das nicht immer so weitergehen wird. Aber sie war zumindest jemand, die das angesprochen hat. So wie übrigens auch ihr Sohn, der der Monarchie sehr kritisch gegenüberstand, während andere das Habsburger Reich zelebriert haben, als würde es ewig bestehen. Diesen Aspekt wollte ich jedoch weniger in den Dialogen aufgreifen, als vielmehr über die Ausstattung mit zum Ausdruck bringen. Unsere Devise für das Design lautete deshalb immer, es sollte möglichst so ausschauen, als wären die teuren Möbel schon verkauft worden. Was auch ein bisschen Geschmackssache ist, weil mir dieser Pomp, den man im Sissi Museum oder im Schloss Schönbrunn sieht, auch einfach nicht gefällt. Ich wollte keinen Film drehen, in dem alles Gold ist und überall Kerzenleuchter rumstehen. Vielmehr haben wir versucht, einen eigenen Stil zu entwickeln, in dem wir alles extrem reduzierten und speziell nach allem suchten, was Patina hat und im Verfall begriffen ist.

Jeder Film ist ein Kostümfilm

Wie groß war für Sie persönlich der Schritt, ein Historienfilm zu drehen?

Das spielte für mich keine Rolle. Wenn ich erstmal eine Geschichte habe, wächst dieses Bild von Tag zu Tag in meinem Kopf. Für mich war der markanteste Unterschied zu meinen vorigen Filmen, dass ich es zum ersten Mal mit einer großen Koproduktion zu tun hatte, und dass in jeder einzelnen Phase wesentlich mehr Leute involviert waren. Wie eine Finanzierung beim österreichischen Film funktioniert, weiß ich, auch wenn ich nicht die Produzentin bin. In dem Fall war es jedoch so, dass ich nie genau wusste, wie steht's gerade? Was bedeutet diese Zusage? Diese Komplexität war für mich die größte Herausforderung, auch weil die Art, wie ich arbeite oder mit Schauspielerinnen umgehe eigentlich immer die gleiche ist. In der Hinsicht spielt es für mich keine Rolle, ob ich eine Komödie drehe oder einen Kostümfilm, zumal ich das Wort sowieso nur ungern verwende.

Warum?

Jeder Film ist ein Kostümfilm, deshalb ist für mich der Unterschied zum zeitgenössischen Kino in dem Sinn gar nicht gegeben. Denn auch da wird über jeden Reißverschluss verhandelt. Ich finde sogar, dass Kostüm und Szenenbild von zeitgenössischen Filmen oft sehr schmählich behandelt werden und auch nur in den seltensten Fällen ausgezeichnet werden. Dabei ist es viel schwieriger und anspruchsvoller, ein zeitgenössisches Kostüm oder Szenenbild zu machen, das glaubhaft wirkt, weil wir alle wissen, wie es aussehen muss, und wir es daher auch besser beurteilen können.

Wie in Ihren früheren Filmen, geht es in CORSAGE auch wieder um Familienbande. Wieso ist das Thema so präsent bei Ihnen?

Weil die Familie etwas ist, dass man sich nicht aussuchen kann. Und das führt immer wieder zu interessanten Dynamiken und Konflikten. In dem Fall war es jedoch so, dass ich beim Lesen stark den Eindruck gewonnen habe, dass im Grunde Elisabeth selbst das Kind in dieser Familie ist, also dass man sie nicht ernst genommen hat und dass sich ihre Kinder eigentlich viel mehr den Verpflichtungen und den Geboten dieses Kaiserreichs unterworfen haben als sie.

Die Premiere in Cannes hätte nicht besser laufen können. Der Film wurde in den Medien gefeiert und Vicky Krieps erhielt den Darstellerpreis in der Sektion Un certain regard. Da ließen sicher auch die ersten Angebote aus Amerika nicht lange auf sich warten?

Ja, es gab schon ein paar, aber ich finde es wahnsinnig schwer einzuschätzen, was man davon halten soll. Und ich bin überhaupt nicht interessiert, jetzt irgendwelche Projekte angeboten zu bekommen, weil ich sowieso meine eigenen Drehbücher schreibe. Ich habe vor den Kinofilmen ja auch immer mal wieder Fernsehen gemacht, und im Nachhinein würde ich sagen, ich war immer dann nicht gut, wenn ich nicht ich sein durfte. Also wenn ich nur versuche, etwas zu fühlen, was andere erwarten, das funktioniert nicht. Ich muss mein Ding machen. Und da kann ich dann auch sehr hartnäckig und stur sein. Anstatt konkret einen Film angeboten zu bekommen, fände ich es viel spannender, mal wieder eine neue Form der Zusammenarbeit mit jemandem auszuprobieren, auch in einem anderen Land. Aber es müsste ein Projekt sein, das für mich Sinn macht. Es geht mir nicht um die Karriere, sondern immer um die Sache.

Das Gespräch führte Pamela Jahn

Pamela Jahn