Interview
Die Erfindung des wirklich echten weiblichen Stars
Essay: Remakes und Reinkarnationen von A STAR IS BORN von 1932 bis 2018
Im Juni 1932, drei Wochen nachdem Amelia Earheart mit ihrer roten Lockheed Vega als erste Frau den Atlantik im Alleinflug überquert hat, während die Dust-Bowl-Depression in den USA weiter Massenmigrationen auslöst, während Franklin D. Roosevelt für einen „New Deal“ bei den Präsidentschaftswahlen wirbt, und die Alkohol-Prohibition weiter in Kraft ist, blickt die Kamera in George Cukors Film WHAT PRICE HOLLYWOOD? auf die langen Beine von Constance Bennett, der jüngsten der drei Bennett-Schwestern, die alle bereits in der Stummfilmzeit Filmstars waren. Einer ersten Kamerablicke des Films, der zur Vorlage von vier weiteren Verfilmungen der Geschichte von der Entdeckung eines Filmstars und des Untergangs ihres Entdeckers unter dem Titel A STAR IS BORN wird, ist ein fetischistischer Männerblick, der Bennetts Körper abtastet und erotisiert. Bennett ist 28, ein moderner Filmstar, und ihre Figur Mary Evans ist eine selbstbewusste, schlagfertige junge Frau, entworfen von der populären Star-Reporterin und Drehbuchautorin Adela Rogers St. John. Sie ist schön und sexy, die Kamera folgt ihr mit lüsternem Blick, aber Mary Evans weiß, wie sie Männerblicke für ihre Zwecke benutzt. Mary Evans ist Kellnerin, nicht in irgendeinem Restaurant, sondern im legendären „Brown Derby“ in Hollywood, in dem unter anderem Clark Gable Carol Lombard die Ehe angetragen haben soll. Hier ist das Publikum superhip, superwichtig, ultracool und wahnsinnig gut gelaunt. Eine der regelmäßigen Gäste ist der Starregisseur Max Carey, gespielt von Lowell Sherman, der wie Bennett mühelos den Übergang vom Stummfilm zum neuen „Movietone“-Format geschafft hat. Sein Regisseur Max ist immer betrunken, aber charmant. Er kauft einen Berg Magnolien, er jodelt, er ist der perfekte Party-Trinker, für den die Party allerdings schon am frühen Morgen beginnt.
Hier beginnt die Geschichte, in der es natürlich auch um Hollywood geht, vor allem aber um (Selbst)-Bilder von Frauen und Bilder von Männern in der Krise, um Stars, die sich neu erfinden, um Eitelkeiten und Wahn, um Markt- und Gesellschaftspositionen und um Inszenierungen von Wahrhaftigkeit. WHAT PRICE HOLLYWOOD? beginnt wie eine Screwballkomödie. Die Kellnerin schleppt den Regisseur ab und rettet ihn vor einer Blamage. Sie verpflichtet ihn daraufhin, ihr eine Probeaufnahme im Filmstudio zu verschaffen. Sie wird zum Star, er ruiniert seine eigene Karriere, selbst sein bester Freund und Produzent kann ihn nicht retten. Sie bleibt mit ihm befreundet, setzt sogar eine mäßig aufregende Ehe mit einem reichen Beau für ihn aufs Spiel. Der Hays-Code, der Hollywood-Produktionen eine rigorose und biedere Selbstzensur auferlegte, war zwar zwei Jahre zuvor „freiwillig“ von der Filmindustrie angenommen worden, aber noch kein Gesetz. WHAT PRICE HOLLYWOOD? hatte noch viele Pre-Code-Elemente: Mary ist eine sexuell selbstbestimmte junge Frau, ihre Karriere geht auf ihre eigene Initiative zurück. Die Atmosphäre ist beschwingt und sexy, Max trinkt zwar, richtet aber kein Unheil an. Sein Tod versöhnt schließlich Mary und ihren Ex.
Mädchen vom Lande
Schon fünf Jahre später inszeniert William Wellman unter dem Titel A STAR IS BORN (EIN STERN GEHT AUF, 1937) die gleiche Geschichte noch einmal, aber nun als „gesunde Familienunterhaltung“, wie es der Code erwartete. A STAR IS BORN ist einer der ersten Technicolor-Filme, zwei Jahre vor THE WIZARD OF OZ. Der Produktionsaufwand verrät, wieviel die Industrie von dieser Story erwartete. Janet Gaynor, die hier den aufsteigenden Stern spielt, ist ein ganz anderer Typ als Constance Bennett. Ihre Figur, Esther Victoria Blodgett, ist ein Mädchen vom Lande. Die Fahrkarte nach Hollywood hat sie von der Großmutter bekommen, mit der Warnung, dass man für jeden Wunsch, der in Erfüllung geht, mit Verlust und Schmerzen bezahlt. Sie kommt in Hollywood, wo sie zunächst ahnungslos durch Agenturen stolpert, schließlich an, weil der natürliche Typ gefragt ist. Der selbstbewusste Glamour von Constance Bennett ist out. Auch wenn mit Dorothy Parker eine der glamourösesten und geistreichsten Autorinnen der Zeit als eine der Drehbuch-Autor*innen engagiert wurde, regieren Düsterkeit, Verhängnis und rigorose Moral. Hier schleppt der betrunkene Filmstar Norman Maine (Frederick March) die unbeholfene Esther ab, und der fiese PR-Mann Oliver Niles (Adolphe Menjou, der mit dem Menjou-Bärtchen) macht aus ihr den um unerwünschte jüdische Elemente bereinigten Star „Vicky Lester“. Die Liebe ist nun zwischen Norman Maine und Esther/Vicky entbrannt, die Tragik damit erheblich gesteigert. Die Story erreicht einen Höhepunkt bei der Oscarverleihung, wo Esther auf dem Gipfel ihres Ruhms von Norman blamiert wird, und endet damit, dass Norman, der erfahren hat, dass Vicky ihre Karriere beenden will, um sich allein um ihn zu kümmern, in einen Todessonnenuntergang schwimmt. Die Prohibition ist beendet, das Kino hat nun einen moralischen Auftrag. Es macht Norman Maine zu einem widerlichen Trinker und aus der selbstbewussten, jungen Frau ein durchschnittliches Mädchen, das für seine Ambitionen mit der Verwüstung der Gefühle zahlen muss. Aber bei dieser Verschiebung entsteht auch etwas Neues. Die „normale“, „natürliche“ Esther/Vicky öffnet den Raum für die Geschichten über Frauenkörper, die nun folgen werden.
Radikale, überdrehte Selbstbehauptung
Judy Garland war 1954 erst 32, aber sie hatte ihre Karriere bereits hinter sich. Sie war seit 1935 eine Gelddruckmaschine für Metro-Goldwyn-Mayer gewesen, vor allem durch ihre Filme mit Mickey Rooney und THE WIZARD OF OZ, aber 1950 hatte MGM sie aus ihrem Vertrag entlassen. Garland war von Morphiumhaltigen Tabletten und Alkohol abhängig und hatte zwei Aufenthalte in psychiatrischen Kliniken hinter sich. Die Geschichte von Norman Maine glich ihrer eigenen mehr als die des aufsteigenden Stars. Garland haderte auch mit ihrem Aussehen. MGM hatte sie als Mädchen von Nebenan typisiert, aber sie war mit Schönheitsköniginnen wie Ava Gardner, Lana Turner und Elizabeth Taylor zur Schule gegangen, neben denen die nur 1,51m große Garland sich unzulänglich gefühlt haben soll. Nach ihrem Ausscheiden aus dem Hollywood-Studio-Geschäft hatte sie eine Reihe von Bühnen-Tourneen gemacht, und ihren Tour-Manager Sidney Luft geheiratet. Mit Luft gründete sie eine eigene Produktionsfirma, um ihr Hollywood-Comeback in Szene zu setzen. Luft besorgte Geld von Warner Brothers für ein Remake von A STAR IS BORN als Musical. Judy Garlands Comeback wurde zu einer Legende, ein dreistündiges Monster von einem Film, ein gigantischer Erfolg, der dennoch die noch gigantischeren Produktionskosten nicht wieder einspielen konnte. Aus den drei weiteren Filmen, die Luft bei Warner mit Judy Garland produzieren wollte, wurde nichts.
Garland engagierte wieder George Cukor für die Regie von A STAR IS BORN, das Herzstück des Films war allerdings bereits fertig, als Cukor ins Spiel kam. Ein fast zwanzig minütiges Show-Medley erzählt Judy Garlands Geschichte, so wie Judy sie erzählen wollte. „I was born in a trunk in the Princess Theater in Pocatello, Idaho” singt Judy, und es folgt eine Geschichte vom Leben im Showbusiness von Kindesbeinen an. Entbehrungen und korrupte Agenten tauchen auf, sogar Hinweise auf möglichen Missbrauch, Tingeltangel und endlich der Durchbruch mit der Show, die gerade läuft, und im Film als der neue Film von Vicky Lester in die Geschichte eingeschoben wird. George Cukor wollte die Sequenz nicht in seinem ohnehin überlangen Film haben, Garland und Luft bestanden darauf, Cukor musste gehen. Tatsächlich ist der Rest des Films wenig weltbewegend im Vergleich zu dieser radikalen, überdrehten Selbstbehauptung. James Mason spielt seinen Norman Maine als einen manischen Suff-Onkel, und es wird nie klar, was Esther/Vicky eigentlich so charmant an ihm findet. A STAR IS BORN war die Judy-Show, eine Mythologisierung ihrer eigenen Geschichte, die mindestens so viel mit Norman Maine zu tun hat wie mit Vicky Lester. Vielleicht hatte Joseph Mankiewiczs Film ALL ABOUT EVE, der vier Jahre zuvor in die Kinos gekommen war und vom Untergang eines weiblichen Stars (Bette Davis) und dem Aufstieg einer jüngeren Schauspielerin (Anne Baxter) erzählte – quasi eine gegenderte Variation auf A STAR IS BORN, ohne Alkohol, dafür mit mehr Bosheit und Ambitionen – Garland auf die Idee gebracht, dass sowohl die männliche als auch die weibliche Hauptrolle in A STAR IS BORN ihre eigene Geschichte spiegelten: Norman Maine die Realität, Vicky Lester den Wunsch. Wie auch immer: A STAR IS BORN machte Garland zum größten amerikanischen Showstar. 2006 erschien eine Briefmarke der US-Post mit Garland als Vicky Lester. Eine mit Judy als Dorothy aus dem WIZARD OF OZ gab es schon vorher.
Während es in den ersten beiden Filmen um das Erzählen einer Geschichte ging, einmal als Tragikomödie, einmal als düsteres Melodram und moralische Fabel, sind alle A STAR IS BORN-Filme seit 1954 weniger als Film interessant, sondern als großer, öffentlicher Wahn der Beteiligten. Die Stars selbst werden zu Produzenten von Filmen, die ihre Karriere neu anschieben und neu positionieren sollen. Ob die Filme in irgendeinem Sinne „gut“ sind, ist dabei relativ unwichtig. Garlands Version war auch kein „guter“ Film, er war eine überdreht-megalomanische Vision.
Der männliche Rock ist tot
Bei der Kritik kam auch Barbra Streisands Version von 1976 nicht gut an. Streisands Lebensgefährte Jon Peters hatte den Film produziert, und weil er auch schon einmal eine Perücke für Streisand entworfen hatte, nannte eine Kritik ihn „ihren Freund und Friseur“. Das war nicht ganz fair, aber tatsächlich sieht man A STAR IS BORN recht gut, an welchen Stellen der souveräne Regisseur Frank Pierson, der ein Jahr zuvor für DOG DAY AFTERNOON einen Oscar gewonnen hatte, und sein Drehbuchteam, zu dem auch die New Journalism-Pionierin Joan Didion und ihr langjähriger Arbeits- und Lebenspartner John Gregory Dunne gehörten, ihre Arbeit gemacht hatten, und wo Streisand und Peters ihre, nun ja, eigenen Ideen eingebracht hatten. Streisand und ihr Co-Star Kris Kristofferson reiten etwas zu häufig auf der Prärie in den Hippie-Sonnenuntergang, während im Hintergrund Streisand von der einen Liebe schmachtet („One Love“).
Streisand verstand sich und galt als legitime Erbin Judy Garlands. Auch in ihrer Karriere gab es den Kampf gegen das vorherrschende Schönheitsideal, wie Garland hatte Streisand ihre Karriere sehr früh begonnen. Garland selbst hatte Streisand als eine der „one of the last great belters“ bezeichnet. „Belting“ ist eine Gesangstechnik, bei der ohne viel Vibrato, durch Kraft und Zusammenpressen des Kehlkopfes sehr laut und hoch gesungen werden kann. Oft allerdings nicht lange. Belting ist populär, ruiniert aber schnell die Stimmbänder, wenn die Technik nicht richtig gelernt ist, zuletzt bei Adele. Um das Streisand-Erbe als große Belterin bewirbt sich nun Lady Gaga, mit einer besser trainierten Stimme, mit einem Film, der vor allem ein Remake des Streisand-Films ist.
Der Streisand-STAR verlegte die Geschichte aus Hollywood in die Rock- und Popszene. Kris Kristofferson, damals 39 Jahre alt und selbst in einem Karrieretief, spielt den drogen- und alkoholsüchtiger Stadionrocker John Norman Howard, der während einer katastrophalen Tournee die Sängerin Esther Hoffman in einem Club singen hört und sich in sie verliebt. Die Beziehung zwischen John und Esther ist hier glaubhafter als in den vorangegangenen Filmen. Kristofferson war mit 39 mehr als hinreichend sexy und charmant. Wenn Kristofferson/John Norman Howard sein Konzert unterbricht, um Esther auf die Bühne zu holen, zelebriert Streisand eine Wachablösung in der Popkultur, die zwar tatsächlich um 1975 stattfand, für die sie aber nur bedingt stand. John Norman Howard spielt aufgeblasenen Rock mit einer großen backing Band, durchaus im Sound der frühen 70er Jahre. Streisand bezieht sich deutlich auf das „Great American Songbook“ in der weißen Variante: Showtunes, manchmal auch tanzbar und mit Disco-Anklängen, aber immer ohne Soul und Zurückhaltung gesungen. Wenn Streisand ein Rock-Publikum, das sie zu Beginn ablehnt, mit ihrem gewaltigen Gesang überzeugt, ist das auch ein Statement: Der männliche Rock ist tot, und die Zukunft liegt in der Vergangenheit der großen amerikanischen Musical-Tradition, in einer weiblichen Musik, die zugleich historisch und geschichtslos ist. Dort lag die Zukunft 1975 durchaus noch nicht, zunächst einmal standen Disco, Hip Hop, Punk und EDM vor der Tür, und für Frauen gab es allmählich auch andere Positionierungen in der Popmusik, aber für Streisand und ihre Art von Musik gab es dazwischen immer ein Plätzchen. Der bezeichnend benannte Song „Evergreen (Love Theme from A STAR IS BORN)“ war ihre zweite Nummer 1 in den US-Charts. Esther wird in Streisands A STAR IS BORN nicht zu Vicky, sondern bleibt Esther. Ihr Film war auch ein Statement zu ihrem offensiven Jüdisch-sein.
Wahrhaftigkeit und Zu-Sich-Selbst-Stehen
Bradley Coopers Adaption von A STAR IS BORN (2018) ist natürlich auch eine Neupositionierung des Popstars Lady Gaga, deren Singles seit 2013 nur noch mäßigen Erfolg hatten. Seit 2014, ihrem Swing-Album mit Tony Bennett und dem THE SOUND OF MUSIC-Medley bei der Oscar-Verleihung 2015 versucht Lady Gaga, sich als große amerikanische Entertainerin neu zu erfinden. Sie ist im gleichen Alter wie Garland und Streisand, als sie die Rolle spielten. Mit A STAR IST BORN wird kein Star geboren, sondern bestenfalls wiedergeboren. Ein Vanity-Projekt ist der Film allerdings nicht für Lady Gaga, sondern für Bradley Cooper, der zeigen will, dass er alles kann. Bradley Cooper spielt die männliche Hauptrolle, führt Regie, schrieb am Drehbuch mit – obwohl ihm ein Writer’s Room der Superlative zu Verfügung stand, der diverse Oscars und Blockbuster in der Tasche hatte, vom KÖNIG DER LÖWEN über FORREST GUMP und Oliver Stones NIXON. Außerdem schrieb er die Musik und spielt und singt selbst.
So ist es auch nicht erstaunlich, dass Coopers Rockstar zu einer interessanteren Figur geworden ist als seine Vorgänger. Cooper muss es immerhin mit Lady Gagas Gesang aufnehmen, der jedes Mittel des Pathos-Pop mobilisiert. Er inszeniert seinen Jackson Maine als eine Art Apologie toxischer Männlichkeit. Jackson ist ein eigentlich netter Kerl, mit einer schwierigen Kindheit und einem komplizierten Verhältnis zu seinem älteren Bruder. Seine Wilder-Mann-Fassade verbirgt einen nicht ganz erwachsen gewordenen Jungen. Nach einem Konzert lässt er sich in den nächstbesten Club fahren. Zufällig ist das eine Drag-Bar, in der die Kellnerin Ally (Lady Gaga) zwischen den Playback-Shows auftritt. Der Bezug zur queeren Szene, der in früheren Versionen durch den exzessiven Stil der Filme und der Musik in der Camp-Wahrnehmung entstand, ist heute ein Hipness-Faktor, den Lady Gaga schon immer ausgestellt hat, anders als Streisand und Garland, obwohl beide eine große queere Gefolgschaft hatten. Ungeschickt aufgebrezelt singt sie „La vie en rose“ – und Jackson ist hypnotisiert. Von Allys schwulem Freund hinter die Bühne gelotst, bleibt er mit Ally allein zurück. Er fragt sie, ob er ihr die künstlichen Augenbrauen abziehen darf, und es beginnt eine längere Verhandlung über Authentizität und Allys/Lady Gagas Aussehen, auch ein implizites Thema der Vorgängerfilme, das hier direkt angesprochen wird – während das jüdische Esther/Vicky-Motiv verschwunden ist. Ally erzählt, dass sie im Popgeschäft wegen ihres Aussehens bisher keine Chance hatte. Jackson findet sie schön und hält ihr Vorträge über Wahrhaftigkeit und Zu-Sich-Selbst-Stehen. Ally traut sich nicht, ihre selbst geschriebenen Songs zu singen, Jackson bringt sie bereits in der ersten Nacht dazu, ihm auf dem Parkplatz einen Vers vorzusingen. Am nächsten Tag gibt es dazu bereits ein komplettes Arrangement mitsamt Streichern, zu dem Jackson Ally bei einem Stadionkonzert auf die Bühne holt. Lady Gaga sieht nun aus wie ein Countryrock-Mädchen, sorgfältig auf ungeschminkt geschminkt, ein bisschen wie Miley Cyrus nach ihrem letzten Imagewechsel oder wie eine der Figuren aus der TV-Serie „Nashville“. Sie wird ein Mitglied in Jacksons Rock-Band, mit regelmäßigen Soloeinlagen. Nachdem ihre Auftritte im Internet viral geworden sind, spricht sie ein britischer Musikproduzent an, einer der typischen britischen Dekadenz-Teufel, von denen das US-Kino wimmelt. Er bietet ihr eine Popstar-Karriere, und als Jackson davon erfährt, bricht er im Suff zusammen. Die Künstlichkeit des Pop und die Veränderungen des Images, die damit verbunden sind, ersetzen die Namensänderung von Esther zu Vicky. Ally bleibt Ally – aber mit Synthesizern, Glamour-Outfits und Tänzern. Mit Jackson geht es derweil bergab, bis hin zu der großen Szene, in der Ally von Jackson bei der Grammy-Verleihung blamiert wird. Die Szene ist hier tatsächlich so vernichtend als Jacksons Karriereende inszeniert, dass man sich das Internet-Echo dazu gar nicht erst vorstellen muss.
Lady Gaga hat mit 32 eine Karriere als hyper-artifizieller Popstar hinter sich, und inszeniert ihre neugewonnene „Authentizität“ nun in der Rolle als große amerikanische Entertainerin. Die Mischung aus Classic Rock, Grunge und Country, die Jackson spielt, steht für Ehrlichkeit, der Pop, mit dem Lady Gaga einst die Musikwelt revolutionieren wollte, für die Lüge. Die Versöhnung ist am Ende eine aktualisierte Version der Showtunes, mit denen Garland und Streisand ihr Geld verdienten: eine konturlose, geschichtslose, vor allem völlig stillose Musik, in der Kraft für Leidenschaft steht. Denn Stil, so erzählt es A STAR IS BORN, ist der Anfang allen Übels. Man kann das auch als Verrat an Gagas eigener, queerer Körperpolitik zu Anfang ihrer Karriere sehen.
1932 war der Star, der geboren wurde, eine junge Frau, die sich aus Glamour ein Image baut. 1937 wurde der Typ des „girl next door“ entdeckt. 1954 begann Judy Garland daraus eine Meta-Erzählung über ihre eigene Geschichte und ihren eigenen Körper zu entwickeln. Barbra Streisand trat 1975 in ihre Fußstapfen und ergänzte die Geschichte beiläufig um den Aspekt jüdischer Identität, der implizit schon immer in ihr angelegt war. Bradley Cooper und Lady Gaga machen daraus eine Geschichte über männliche Schwächen und weibliche Ehrlichkeit und Authentizität. Ob irgendeiner der Filme glaubwürdig ist, mag ich nicht beurteilen. Interessanter ist aber auch, was die Stars uns glauben machen wollen.
Tom Dorow