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Feature, Interview

"Die Darstellung der unglaublichen Vielfalt jüdischer Geschichte, Gegenwart und Zukunft"

Interview mit Bernd Buder, Programmdirektor des JFBB.

Was macht für Sie das jüdische Filmfestival Berlin Brandenburg aus?

Das "Jüdische Film Festival Berlin und Brandenburg" ist das erste jüdische Filmfestival in Deutschland und zurzeit das größte. Damit hat die Gründerin und langjährige Leiterin Nicola Galliner ein extrem wichtiges Zeichen gesetzt. Ein jüdisches Filmfestival in der Stadt, in der die Shoa geplant wurde, und in einer Zeit, in der Verschwörungstheorien und damit auch Antisemitismus Hochkonjunktur haben, bedeutet eine besondere Verantwortung und eine besondere Herausforderung. Die Beschäftigung mit und der Kampf gegen Antisemitismus sollte unser aller Anliegen sein und nicht nur das jüdischer Institutionen.
Ein wesentliche Rolle spielt für uns beim JFBB die Darstellung der unglaublichen Vielfalt jüdischer Geschichte, Gegenwart und Zukunft. Die Filme, die wir zeigen, kommen aus unterschiedlichsten Ländern und zeigen unterschiedlichste Facetten jüdischer Erfahrung - von Marokko über die Türkei und die Schweiz bis nach Israel, Deutschland und die USA. Damit verbunden ist auch eine unendliche Bandbreite filmischer Ausdrucksformen - von der kammerspielartigen Schwarzen Komödie SHIVA BABY über das selbstironische russische Regisseurs-Portrait THE END bis zur Bestandsaufnahme kollektiver Traumata wie in dem tschechischen THE PAINTED BIRD oder dem Dokumentarfilm MURANOW. Neben der Vielfalt ist der Diskurscharakter dieser Filme besonders bemerkenswert - das Publikum soll nicht belehrt werden, sondern dazu angeregt, andere Standpunkte wahrzunehmen, zu hinterfragen, abzuwägen. Filme, die in bester Weise zum Nachdenken anregen und damit ausgesprochen unterhaltsam sind. Für ein jüdisches wie für ein nicht-jüdisches Publikum.

Was möchten Sie beibehalten und wo haben Sie programmatische oder auch organisatorische Neuerungen vor?

Das JFBB hat sich bestens in der internationalen Festivallandschaft etabliert. Es hat aber auch noch Potentiale. So gibt es erstmals neben einem Spielfilm- auch einen Dokumentarfilmwettbewerb. Es gibt eine Retrospektive, die dieses Jahr vergleicht, wie DEFA-Filme und polnische Produktionen bis zur politischen "Wende" jüdische Erfahrungen ihren Ländern reflektiert haben, und eine Serien-Sektion, die sich in diesem Jahr israelischen High End-Serien widmet. Sowohl Retro bzw. Hommage als auch TV-Serien bleiben in den nächsten Jahren feste Bestandteile des Programms. Damit können wir filmische Traditionslinien und historische Themen reflektieren und über den Tellerrand reiner Leinwandproduktionen gucken. Weiterhin soll die JFBB-Präsenz in Potsdam als traditioneller Produktions- und Drehort für nationale und internationale Filmproduktionen und moderner Medienstandort ausgebaut werden, wozu auch die Idee eines Branchen-Events gehört. Ausgebaut werden auch die Kooperationen mit Partnern und anderen Festivals. Wir sind stolz darauf, dieses Jahr bereits eng mit dem Warsaw Jewish Film Festival, dem Jüdischen Museum Berlin, dem Seret International Israeli Film and Television Festival und dem Short Waves Festival in Poznán zusammenzuarbeiten. Das JFBB soll wachsen und dadurch noch mehr als bisher als Festival erkennbar sein, mit Festivalzentrum, Netzwerkevents, Premieren, Rahmenprogramm und Kooperationen mit Schulen und Bildungseinrichtungen. In Corona-Zeiten wird das noch nicht so umsetzbar sein, wie wir es uns wünschen würden, aber die Pläne sind in den Schubladen. In diesem Zusammenhang möchte ich auch den Austausch mit unseren Förderern und Sponsoren erwähnen - hier geht es ja nicht ausschließlich um Finanzen, sondern auch um inhaltlichen Austausch, darum, Ideen gemeinsam zu finden, zu diskutieren und umzusetzen, was sehr fruchtbar war und Spaß macht.

"Jeder Film, jede Veranstaltung des Festivals ist natürlich ein persönliches Anliegen"

Erstmals hat ein Programmkollektiv über das Programm gemeinsam entschieden. Wie haben Sie diesen Prozess erlebt?

Das war ein schöner demokratischer Prozess, intensiv in der Sache, kollegial im Miteinander, angenehm frei von Eitelkeiten. Die fünf Mitglieder des Programmkollektivs haben unterschiedliche Hintergründe, sind Filmemacher, Filmwissenschaftlerin, Produzentin, VoD-Portal-Betreiber und Kurator. Da kommen unterschiedliche Erfahrungen und ein interdisziplinärer Dialog zusammen, der sich in einem Programm abbildet, das unterschiedliche Blicke auf Film und filmische Ausdrucksformen genauso miteinander vereint wie das Medium Film als Möglichkeit, um historische und Gegenwartserfahrungen zu verstehen und zu diskutieren. Zudem sind die Mitglieder des Kollektivs sehr gut in der Filmbranche vernetzt, was viele Kommunikationsprozesse verkürzt.

Was ist ihre persönliche Empfehlung für das kommende Festival?

Jeder Film, jede Veranstaltung des Festivals ist natürlich ein persönliches Anliegen, zumal man den Werdegang vieler Filme bereits seit frühen Entwicklungsphasen kennt, manchmal sogar den einen oder anderen kleinen Ratschlag gegeben hat, und mit vielen der Macher haben sich sehr gute kollegiale Beziehungen entwickelt. Ganz besonders freue ich mich auf die Open-Air-Kino-Veranstaltungen an sechs verschiedenen Orten in Potsdam und Berlin, auf Film- und Diskussionsveranstaltungen wie "Hinter die Kulissen". Da geht es um die sich entwickelnde orthodoxe Filmindustrie und das gestiegene Interesse an orthodoxen Filmen. Neben der Filmkritikerin Marlyn Vinig wird Yehonathan Indursky, der Creator der Serien "Shtisel" und "Autonomies", zu Gast sein.
Und auf so unterschiedliche Filme von KINDER DER HOFFNUNG, einem unglaublich vielgestaltigen, persönlich geprägten Portrait einer israelischen Frauen-Generation, über die stilistisch aufregende Thomas Brasch-Biografie LIEBER THOMAS und PLAN A, dem Thriller über eine Vergeltungsaktion jüdischer Untergrund-Aktivisten gegen die Deutschen, bis zu dem Dokumentarfilm IRMI, der nicht nur eine Frau portraitiert, die auf Grund von Verfolgung und familiären Schicksal immer wieder neu anfangen musste, sondern auch die Geschichte eines Jahrhunderts. Dabei treffen junge Talente wie der israelische Dokumentarfilmer Efim Graboy auf etablierte Filmgrößen wie Hanna Schygulla oder Katharina Thalbach, die in zwei Filmen verstorbenen Protagonistinnen ihre Stimmen leihen, Volker Schlöndorff, der ein Zeitzeugengespräch mit dem Shoa-Überlebenden Leon Schwarzbaum führt und Schauspieler-Größen von August Diehl bis zu Harvey Keitel. Die werden vielleicht nicht alle zu ihren Vorführungen kommen, aber es ist schön, solch eine Vielfalt im Zusammenhang mit jüdischer (Film-)Erfahrung auf der Leinwand zu sehen.