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Feature, Festivals

Alles neu - Die Berlinale 2020

Ein Ausblick auf die Highlights

Wir freuen uns auf die Berlinale unter neuer Leitung: Das Wettbewerbsprogramm, das Carlo Chatrian bei der Berlinale-Pressekonferenz eloquent und mit großer Liebe zu den Filmen präsentierte, weckt hohe Erwartungen. Von Burhan Qurbanis moderner Adaption von Alfed Döblins BERLIN ALEXANDERPLATZ, in der Franz Biberkopf zu Francis aus Afrika wird, der in der Hasenheide landet und den Kleinkriminellen Reinhold kennenlernt, über den Psychothriller EL PRÓFUGO (THE INTRUDER) von Natalia Meta bis hin zum franko-kambodschanischen Dokumentarfilm IRRADIÉS (IRRADIATED) von Rithy Panh sind wir eigentlich auf alles gespannt. Seit langem heiß erwartet werden die neuen Filme von Abel Ferrara und Christian Petzold, die beide bereits im März auch regulär in die Kinos kommen. Ferraras SIBERIA (Start 13.3.) erzählt von der realen und spirituellen Suche eines Barmanns. Das Drehbuch beginnt schon auf der ersten Seite mit einer Variation auf Pascals Wette auf die Unsterblichkeit. Petzolds Adaption hat in UNDINE (Start am 26.3.), mit Paula Beer und Franz Rogowski, die Legende von der Wasserfrau adaptiert.
Mit dabei sind auch Filmemacher*innen wie Kelly Reichardt, Hong Sang-soo, Sally Potter und Mohammad Rasoulof, deren Fans wir seit langem sind. Reichardt kehrt mit ihrem neuen Film FIRST COW zur Zusammenarbeit mit dem Autor Jonathan Raymond zurück. Die Geschichte basiert lose auf einer Episode aus Raymonds Roman „Half Life“, in der es um die Freundschaft zwischen einem zurückhaltenden chinesischen Koch und einem enthusiastisch-naiven Trapper an der amerikanischen Westküste im 19. Jahrhundert geht. Nur sind die Charaktere hier umgedreht: Der chinesische Immigrant ist der verwegene Typ, der amerikanische Koch „Cookie“ der schüchterne. In THE WOMAN WHO RAN, dem neuen Film von Hong Sang-soo, und seinem siebten mit der Schauspielerin Kim Min-hee, trifft eine Frau während einer Geschäftsreise alte Freundinnen wieder. Während des freundlichen Geplauders werden Risse unter der Oberfläche deutlich. In Sally Potters Film THE ROADS NOT TAKEN spielen Javier Bardem, Elle Fanning und Salma Hayek die Hauptrollen in der Geschichte um verschiedene Lebensentscheidungen, die zu realen und halluzinierten Parallelhandlungen führen. Wer Mohammad Rasoulofs letzten Film A MAN OF INTEGRITY gesehen, musste sich fragen, wie lange das iranische Regime Rasoulof wohl noch arbeiten lassen würde. Im Juli 2019 wurde Rasoulof wegen „Propaganda gegen den Staat“ zu einer Haftstrafe von einem Jahr verurteilt, blieb aber vorläufig auf freiem Fuß und konnte den Film SHEYTAN VOJUD NADARAD (THERE IS NO EVIL) drehen.

ENCOUNTERS

Hinzugekommen ist in diesem Jahr ein ganz neuer Wettbewerb unter dem Titel ENCOUNTERS, der Filme vorstellt, die „Mut und die Suche nach einer neuen Sprache“ beweisen. Einer der Höhepunkte ist sicherlich Josephine Deckers SHIRLEY. Nach ihrem Erfolg mit MADELINE’S MADELINE, der leider nicht im deutschen Kino lief, aber auf Festivals und in den US-Kinos gefeiert wurde, erzählt SHIRLEY eine fiktive Geschichte über die Horror-Schriftstellerin Shirley Jackson (gespielt von Elizabeth Moss), die in ein seltsames, sexuell aufgeladenes Verhältnis mit einem Paar gerät. Sandra Wollmers Film THE TROUBLE WITH BEING BORN ist eine metaphysische Geschichte über einen Mann, der mit einer Androidin zusammenlebt, die aussieht wie ein 10-jähriges Mädchen. Sie erinnert sich nur an die Dinge, die der Mann, den sie „Vater“ nennt, ihr einprogrammiert hat. Wollner sagt über ihren Film, er sei „ein leiser Abschied vom Menschen wie wir ihn kennen, der schon lang im Gange ist.“ Gespannt sind wir auch auf Mariusz Wilczyńskis Animationsfilm ZABIJ TO I WYJEDŹ Z TEGO MIASTA (KILL IT AND LEAVE THIS TOWN), der aus wilden, wie dahin gekritzelten surrealen Bildern zu bestehen scheint. FUNNY FACE von Tim Hutton ist eine Rachegeschichte, die sich vermutlich nur zur Tarnung wie ein Horrorfilm mit einem maskierten Killer anlässt. Victor Kossakovsky, dessen Heavy-Metal-trifft-Natur-Film AQUARELA gerade erst im Kino war, präsentiert mit GUNDA ein Plädoyer gegen die massenhafte Ausbeutung von Tieren. Unter anderem beobachtet Kossakovsky hier ein einbeiniges Huhn, zwei pfiffige Kühe und die titelgebende Mutter-Sau Gunda.

WEITERE SEKTIONEN

Auch in den anderen Sektionen ist Bewegung: Das kulinarische Kino und die NATIVe-Reihe werden nicht fortgesetzt, das Kurzfilmformat Berlinale Shorts, das Panorama und das Forum haben mit Anna Henckel-Donnersmarck, Michael Stütz und Cristina Nord neue Kurator*innen bekommen. Gefühlt ist das Kinder- und Jugendprogramm Generation – immer ein guter Tipp und meist gibt es auch noch Karten – nochmals gewachsen und zum 70sten Jubiläum hat sich das Festival die schöne Reihe „On Transmission“ einfallen lassen: Berlinale-Filmschaffende stellen einen eigenen Film vor – und dann Arbeiten von jüngeren Kolleg*innen, mit denen sie sich verbunden fühlen. So kommen Ang Lee und Hirokazu Kore-eda zusammen oder Margarethe von Trotta und Ina Weisse. Der Ehrenbär geht an Helen Mirren, und die Retrospektive widmet sich diesmal King Vidor.