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Feature, Festivals

Berlinale X: Terror im Wettbewerb

Wettbewerb: UTOYA, 22. JULI & 7 TAGE IN ENTEBBE

WETTBEWERB: Gestern zum Frühstück ein richtiger Stinker, ein besonders fieser. UTOYA 22. JULI ist unglaublich spekulativer Schrott, der sich auch noch besonders wichtig findet. Das Attentat auf das Sommercamp der sozialdemokratischen Jugend in Norwegen filmt Erik Poppe in einem langen Take, der damit beginnt, dass die junge Kaja in die Kamera blickt und sagt „Du wirst das nie verstehen!“. Vermutlich sollte der Film also irgendetwas über die Perspektive der Opfer sagen. Die Kamera begleitet Kaja durch die 72 Minuten, die der Anschlag dauerte. Wenn Kaja vor einem Schuss erschreckt, zuckt die Kamera kurz. Die Dramaturgie, zu feige, 90 Minuten lang eine zitternde junge Frau im Versteck zu zeigen, macht aus Kajas Erleben eine Nummernrevue, alle 10 Minuten ein Plotpoint, sonst wird der Scheiß zu langweilig. Die deutlich konstruierte Erzählung straft die mindestens emotionale Authentizität heuchelnde Kamera Lügen und enthüllt UTOYA als einen eher schäbigen Exploitation-Film, der miese kleine, formale Tachenspielergimmicks nutzt. Ach, wenn es wenigstens ein halbwegs selbstbewusster Exploitation-Film wäre, so wie José Padilhas 7 TAGE IN ENTEBBE, der ein paar Stunden später, auch im Wettbewerb, lief. Aber das kunsthandwerkliche Getue lässt den Film wirken wie ein Gemälde des Massakers im impressionistischen Stil, das an einem lauen Sommermorgen zwischen traurigen Clowns auf der Warschauer Brücke verscherbelt wird. Obszöner Schrott, der so in den Wettbewerb gerutscht sein muss, wie ähnliche Schrottfilme Filmförderung erhalten: Das Thema schien so wichtig. Himmlische, lasst die nächste Leitung der Berlinale nicht wieder an Förder-Beamte gehen. Irgendjemand mit einem Hauch von Pietät und Intelligenz, Cinephilie und Stil wird sich ja wohl finden lassen.

Padilhas Film 7 TAGE IN ENTEBBE, der zweite Terrorfilm des Tages, ist kein Kardinalverbrechen wie der erste. Damit war nach Doku-Look-Reißern wie TROPA DE ELITE und NARCOS auch nicht zu rechnen. Als solider Polit-Thriller funktioniert der Film ganz gut, allerdings geht Padilha mit den Fakten so locker um, dass man sich bei Abweichungen, die angeblich auf neuen Erkenntnis zur Entführung der Air-France-Maschine durch Angehörige der Palästinensischen Befreiungsfront und zwei Mitglieder der Revolutionären Zellen beruhen, dann doch fragt, in welcher Szene es sich um neue Fakten handeln soll. Bei der israelischen Militäraktion zur Befreiung der Geiseln tarnten die Israelis das erste Flugzeug als deutschen Linienflug. Keine Spur davon im Film.

Das wäre nicht weiter wichtig, wenn 7 TAGE IN ENTEBBE nicht die Urszene des Antisemitismus-Vorwurfs gegen die deutsche Linke mindestens in ihrem Kern untergraben würde. Ein Vorwurf, der immerhin bis heute seine Kreise zieht, nicht nur in Artikeln von Henryk M. Broder, sondern auch in andauernden, durchaus hasserfüllten Debatten innerhalb linker und gefühlt linker Fraktionen. Das größte Skandalon der Entführung war, dass deutsche Terroristen, namentlich das RZ-Mitglied Winfried Böse, auf dem Flughafen in Entebbe eine Selektion in jüdische und nicht-jüdische Geiseln vorgenommen haben sollen. Umstritten ist das alles in jedem Punkt. Unter den Geiseln, die in Uganda von den Entführern freigelassen wurden, sollen auch Juden und Menschen mit jüdisch klingenden Namen gewesen sein. Andere Berichte schreiben, Böse selbst habe Menschen mit jüdisch klingenden Namen aussortiert. Im Film sitzt eine Holocaust-Überlebende in einem der Busse, mit denen die Geiseln den Flughafen verlassen. Böse wird eher als ein eigentlich netter, leicht verpeilter und verblendeter Kerl gezeigt, der das so alles nicht wollte. Die Selektion, nicht in Juden und Nicht-Juden, sondern in Israelis und andere Passagiere, nehmen im Film die Palästinenser vor. Böse protestiert: „Das war so nicht abgesprochen!“

Padilha scheint sich am meisten für Böse (Daniel Brühl) und seine Genossin Brigitte Kuhlmann zu interessieren. Die Frage, wie Deutsche 1976 wieder auf Idee kommen konnten, Juden zu töten, durchzieht den Film, und gegen Ende übernehmen Kamera und Musik die melancholische, desillusionierte Stimmung der Deutschen. Padilhas eigene Position scheint sich in den Worten eines israelischen Passagiers zu spiegeln: „Wir haben eine Armee. Wenn ihr kämpfen wollt, kämpft gegen die!“

Weitere Vorstellungen von UTOYA 22. JULI:
Di 20.02. um 12:30 im Haus der Berliner Festspiele
Di 20.02. um 18:00 im Friedrichstadt-Palast

Weitere Vorstellungen von 7 TAGE IN ENTEBBE:
Di 20.02. um 15:00 im Friedrichstadt-Palast
Di 20.02. um 18:30 im Haus der Berliner Festspiele
Ab 3. Mai im Kino

Tom Dorow