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Berlinale: OCCHIALI NERI & FLUX GOURMET

Unterwegs in Sachen Genre

Der Ruf von Dario Argento und Peter Strickland fußt, sehr grob gefasst, auf einer ähnlichen Basis: Filme, die sich eher durch eine kräftigen und oftmals verstörende Bildsprache als durch eine Handlung, die rational einfach nachzuvollziehen ist, auszeichnen. Da hört es inzwischen aber auch schon wieder auf.
Wann genau die große Zeit Argentos endet, wird unter Fans gerne diskutiert, aber dass dieser Zeitpunkt lange zurückliegt, steht eigentlich außer Frage. Sein letzter Film, DRACULA 3D, wurde 2012 veröffentlicht und hatte bestenfalls 90er-Jahre-Direct-to-Video-Charme. Nun meldet sich der ehemalige Maestro mit OCCHIALI NERI (Dark Glasses) zurück und bietet einmal ein Giallo-Standardpaket: Ein Serienmörder, der nach seinem ersten gezeigten Mord die schwarzen Handschuhe gegen einen weißen Lieferwagen austauscht, hat es auf römische Escorts abgesehen. Den ersten Angriff übersteht die selbstbewusste Sexworkerin Diana noch knapp, gerät auf der Flucht vor dem Killer aber in einen Unfall mit einer chinesischen Familie. Diana verliert dabei ihr Augenlicht und muss sich erstmal an das Leben als Blinde gewöhnen. Zum Glück erhält sie Beistand von der netten Dame einer Blindenhilfsorganisation (Asia Argento, in einer Rolle, in der ihr Vater früher ihre Mutter besetzt hätte), einem treuen Schäferhund und Chin, dem kleinen chinesischen Jungen, den sie beim Unfall zum Waisen gemacht hat. Und natürlich hat es auch der Killer nach wie vor auf sie abgesehen. Der/Die geschätzte Argento-Kenner*in wird jetzt anmerken, dass Argento 1971 in CAT O’NINE TAILS das Szenario „Blinder Mensch klärt mit einem jungen, sehenden Menschen einen Mord auf“ schon recht effektiv umgesetzt hat und es 1977 in SUSPIRIA auch schon einen sehr treuen Schäferhund gab. OCCHIALI NERI bietet wenig von deren Einfallsreichtum. Der Plot erlaubt es, Diana und Chin dem Killer eine Weile zu entkommen, bevor er sie ausfindig macht, und der Film es schlichtweg aufgibt, seine Identität weiter geheim zu halten. An dieser Stelle tritt kurzes Grübeln ein. „Wer war das nochmal? Haben wir die Person schonmal gesehen? Ach so, ja. So viele Nebencharaktere gab es ja gar nicht.“ Danach kommt es zu etwas mehr Verfolgung und einem Finale, das den Namen nicht so wirklich verdient, aber schnell noch etwas Gore liefert. Der Eindruck entsteht, dass der Maestro nicht so ganz bei der Sache war. Die üblichen Standards sind vorhanden: schöne Frau, blutige Morde, unfähige Polizei und ein Retrosoundtrack, aber von allem nicht sonderlich viel. Von den albtraumhaften Exzessen der Blütezeit Argentos ist nichts übrig geblieben.
Entsprechend ernüchternd war dann auch die Pressekonferenz, in der sich die Fragen an den Regisseur eher um Filme drehten, die schon mehr als 40 Jahre auf dem Buckel haben, als um den, den man wenige Stunden vorher gesehen hat. Asia Argento beantwortete brav, dass es großartig sei, so eine Legende als Vater zu haben, und Hauptdarstellerin Ilenia Pastorelli stellte klar, dass sie sich in der Rollenverbereitung eher darauf konzentriert hätte, überzeugend eine blinde Person zu spielen als darauf, sich mit Sexworkerinnen zu treffen.

Kochgeräusche-Kakophonie

Wie anders da Peter Stricklands neuer Film FLUX GOURMET, bei dessen Filmen man am Anfang nicht weiß, worauf man sich eingelassen hat. Hinterher ist man sich nur unwesentlich klarer, was man gesehen hat, freut sich aber über das Erlebnis. Der Erzähler des Films ist der gescheiterte griechische Schriftsteller Stones, dessen Aufgabe es ist, die Fortschritte eines Kulinarikkunstkollektivs während ihrer Zeit als „Artists in Residence“ zu dokumentieren. Der weniger seltsame Teil ihrer Kunst sind Konzerte, die aus Kochgeräuschen eine Kakophonie schaffen, während die Theaterperformances sich konzeptionell dem Einkaufserlebnis in hochpreisigen Lebensmittelmärkten annimmt. Bei solch anspruchsvoller Kunst kommt es unweigerlich zu Konflikten zwischen der selbstbewussten/bockig-egozentrischen Gruppenchefin Elle (Fatma Mohamed, DUKE OF BURGUNDY) und den anderen Bandmitgliedern, vor allem aber mit der stets spektakulär gekleideten Kuratorin Jan Stevens (Gwendoline Christie, GAME OF THRONES), deren Namen Elle bei jedem Treffen wie einen Fluch ausstößt und deren Anmerkungen sie natürlich konsequent und energisch zurückweist. Stones interviewt die Beteiligten, will aber gar nicht an Essen denken, da ihn schmerzhafte Verdauungsbeschwerden peinigen, und auch Blähungen, für die er sich sehr schämt. Aber der institutseigene Arzt, Dr. Glock, wird ihm schon helfen, auch wenn der eher an Wein und historischen Zitaten interessiert ist. Denn auf Dauer darf Stones kein unbeteiligter Beobachter bleiben. Essen als erotisch zu sehen, ist kein neuer Gedanke, aber Strickland zeigt, dass man alles, was mit der Zubereitung und Zelebrierung, aber auch mit dem Verdauen von Essen zu tun hat, als fetischisierte Erlebnisse zeigen kann, deren Spannung sich auf viele Arten entladen kann, aber niemals koital. Denn alle Liebe zwischen Personen in dieser Parodie auf den Kunstbetrieb endet unweigerlich in Tränen. Da ist es weiser, sich an Essen zu erregen. Oder an analogen Effektgeräten. Stricklands Filme bleiben ein „acquired taste“, sind aber ein Gaumenschmaus für den*die Connoisseur*in.

Christian Klose

OCCHIALI NERI
18.2. International, 21 Uhr
19.2. Cubix 5 & 6, 21 Uhr

FLUX GOURMET
16.2. Cinemaxx 6 & 7, 21 Uhr
17.2. Akademie der Künste 21 Uhr
18.2. Cinemaxx 6 & 7, 15 Uhr