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Feature, Festivals

BERLINALE I: DIE SPIELE SIND ERÖFFNET

ISLE OF DOGS & RIVER'S EDGE

WETTBEWERB: Mit Wes Andersons ISLE OF DOGS zu eröffnen, war ein sehr schlauer Schachzug. Auf diese Weise hat man gleich die Herzen aller Besucher, die ‚Hundemenschen’ sind, erobert. Die Kombination aus Puppentrick, japanischem Setting und der typischen Andersonschen quirkyness, bei der Hunde in sich gehen und überlegen, wann ihr Leben die falsche Wendung genommen hat, wo alle japanischen Dialoge nicht synchronisiert, sondern von einer speziellen App oder Konferenzdolmetscherin übersetzt werden und wo Überwachungsmonitore Bilder im Stil von klassisch japanischen Kunstillustrationen zeigen, kann ein Filmfestivalpublikum nur begeistern. Aber die Geheimwaffe ist, dass viele der Charaktere während ihrer Dialoge direkt in die Kamera blicken und so das Publikum die volle Kraft ihrer großen Augen spüren lassen. Und wenn diese Augen sich dann noch leicht mit Tränen füllen (was sie oft tun), dann will man gleich nach den Leckerli greifen und Fido tätscheln. So weichgeklopft ist man dann auch bereit für die Geschichte davon, wie ein katzenliebender Bürgermeister alle Hunde auf eine Strafinsel verbannt hat und wie ein kleiner, tapferer Pilot sich aufmachten, seinen Hund Spots wiederzufinden. Dabei fließt alles von alten Heldensagen bis Science-Fiction ein, mit einer Exkursion über moderne Verschwörungstheorien und die ewige Liebesgeschichte zwischen dem Menschen und „des Menschen bester Freund“. Das Sprecheraufgebot mit allem von Bryan Cranston bis Yoko Ono ist so eindrucksvoll, dass man auch nach dem Film noch eine Weile versuchen muss, Stimme und Schnauze in der Erinnerung zusammenzukriegen.

Unausgesprochene Sehnsüchte: RIVER'S EDGE

PANORAMA: Der Eröffnungsfilm des Panoramas RIVER’S EDGE spielt zwar auch in Japan, hat ansonsten mit Andersons Hunden nichts gemeinsam. Isao Yukisada, der schon 2009 mit PARADE an der Berlinale teilnahm, schickt in seiner Mangaverfilmung eine Gruppe von Oberstuflern in ein Gewirr aus Liebe, Sex und Aggression, wo fast jeder ein Geheimnis oder eine unausgesprochene Sehnsucht hat. Eltern oder Lehrer treten fast gar nicht in Erscheinung, dafür aber der Wunsch danach, von einem Ufo entführt zu werden und eine fast vollkommen verweste Leiche als Ort der Ruhe für den obligatorischen Außenseiter, für die Momente nach dem Verprügeltwerden. Fairerweise sollte man aber auch die wirklich sehr schönen und zarten Momente der Freundschaft und aufkeimenden Liebe erwähnen, die den Film vielleicht nicht charakterisieren, aber durchziehen. Und was will man mehr von einem Freund oder einer besten Freundin, als dass er/sie auf die Ansage „Hilf mir bitte, eine Leiche zu verbuddeln!“ sofort Spaten bei Fuß steht?

Christian Klose