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Interview, Feature

„Ich würde sagen, dass ich eine gewisse innere Ungemütlichkeit anstrebe“

Interview mit Robert Eggers zu DER LEUCHTTURM

Robert Eggers Debütfilm THE WITCH war einer der originellsten Horrorfilme der letzten Jahre. Einer amerikanischen Siedlerfamilie, die abgeschieden im Wald lebt, wird das Baby gestohlen. Der Wahnsinn der Mutter versteigt sich zum Glauben, ihre älteste Tochter sei mit dem Teufel im Bunde. Für seinen neuen Film THE LIGHTHOUSE (dt. Der Leuchtturm) hat Eggers zwei der renommiertesten Hollywood-Stars gewinnen können. Eggers schickt Willem Dafoe und Robert Pattinson in einen ähnlichen Wahnsinnstrip auf einer einsamen, sturmumtosten Leuchtturminsel.

INDIEKINO: Mr. Eggers, Sie konnten mit Willem Dafoe und Robert Pattinson für DER LEUCHTTURM zwei aktuell schwer gefragte Hauptdarsteller gewinnen. Brauchte es dafür viel Überzeugungsarbeit?


Robert Eggers: Lustigerweise gar nicht. Ich kann noch immer nicht glauben, was ich für ein Glückspilz bin. Dass mein erster Spielfilm THE WITCH überhaupt ein Publikum finden würde, und dass dann zu diesem Publikum sogar Pattinson und Dafoe gehören würden, lag jenseits meiner Vorstellungskraft. Aber so war es. Erst meldete sich Dafoes Manager bei mir, weil Willem mich zum Lunch treffen wollte. Und dann hörte ich von Pattinsons Agent, dass auch Robert mich kennen lernen will. Natürlich habe ich beide Male umgehend zugesagt! Als dann von den verschiedenen Projekten, die ich parallel in der Pipeline hatte, DER LEUCHTTURM der Film zu werden schien, der als erster grünes Licht bekommt, war es eigentlich klar, dass außer den beiden niemand für diese Rollen in Frage kommt.

Aber ein wenig Eigeninitiative oder eine Einladung zum Mittagessen machen doch noch niemanden zur Idealbesetzung, oder?

Die beiden passten in diesem Fall aus verschiedensten Gründen, von den Motiven dieser Geschichte angefangen bis hin zu einigen optischen Ähnlichkeiten. Die Wangenknochen, die Nasen, die Zähne – das passte sehr gut in diese Story. Außerdem gefiel mir einfach, dass sie beide an einem Punkt angekommen sind, wo sie immer auch auf der Suche nach dem spannendsten Material sind, das man als Schauspieler finden kann. Beide scheuen starken Tobak nicht und geben immer 120.000 %. Selbst wenn ich sie für meinen Film aus nächster Nähe mit einem Feuerwehrschlauch abspritze!

Das Drehbuch haben Sie gemeinsam mit Ihrem Bruder Max geschrieben. Hatte die Dynamik zwischen den beiden Figuren der Geschichte irgendwie auf Ihre Arbeit zu zweit abgefärbt?

Ein bisschen vielleicht tatsächlich (lacht). Ich war vermutlich für ihn das, was Willem Dafoe im Film für Robert Pattinson ist. Fand Max natürlich gar nicht gut. Aber ich bin nun einmal der Ältere, was also hat er erwartet. Wobei ich insgesamt doch hoffe, dass ich nicht ganz so schwer erträglich war. Und die sexuelle Spannung zwischen uns war auf jeden Fall auch geringer.

Woher nehmen Sie die Inspiration für Ihre ja doch wenig freundlich-erbaulichen Filme?

Vielleicht fragen Sie am besten meinen Therapeuten! Ich kann Ihnen nur sagen, dass ich immer schon fasziniert war von der Dunkelheit, auch im übertragenen Sinne. Schon als kleines Kind mochte ich Darth Vader lieber als Luke Skywalker. Die Gründe dafür finden wirklich besser andere. Aber vielleicht ist es für mich einfach ein guter Weg, all diese finsteren Themen irgendwie zu verarbeiten, damit ich irgendwann ein halbwegs glücklicher, ausgeglichener Mensch werde, der in Ruhe Windeln wechselt und den Rasen mäht.

DER LEUCHTTURM ist kein Film, in dem es zwingend um Realismus geht. Aber haben Sie sich damit auseinandergesetzt, welche Erfahrungen man als Leuchtturmwärter so macht?

Selbstverständlich haben mein Bruder und ich auch recherchiert und uns mit diesem Beruf auseinandergesetzt. Dass man womöglich leichter dem Wahnsinn anheim fällt, wenn man so gut wie allein und vor allem von der Außenwelt abgeschnitten ist, hatte ich mir natürlich auch vorher schon gedacht. Aber wir begegneten dann auch vielen Geschichten von Männern, die das Geräusch des Windes irgendwann verrückt machte. Oder von Leuchtturmwärtern im Ruhestand, die immer noch alle 30 Sekunden innehielten, weil sie so gewohnt waren an den Rhythmus des Nebelhorns.

Was erhoffen Sie sich, wie man als Zuschauer*in aus DER LEUCHTTURM oder überhaupt aus Ihren Filmen herauskommt?

Ich würde sagen, dass ich eine gewisse innere Ungemütlichkeit anstrebe. Zumindest in diesem Fall. Bei THE WITCH wollte ich schon, dass es dem Publikum beschissen geht. Am Ende gibt es zwar so eine Art Happy End, aber davor sollten alle dieses innere Unbehagen fühlen, dass ich als Kind immer hatte, wenn ich wusste, dass mein Zeugnis vor schlechten Noten nur so strotzt, aber es keinen Weg gibt, das irgendwie vor meinen Eltern zu verstecken. So eine Anspannung, die finde ich schon gut. Wobei es ehrlich gesagt auch nicht vollkommen verkehrt wäre, wenn ich hier den Klischee-Möchtegern-Auteur geben und sagen würde: ich möchte lieber Fragen heraufbeschwören als Antworten geben. Stimmt nämlich irgendwie auch.

Und wie steht es mit Lachen? In DER LEUCHTTURM gibt es durchaus Momente, die mehr als nur ein bisschen komisch sind...

Unbedingt wollte ich, dass hier gelacht wird. Ich glaube, das hat auch einige Zuschauer irritiert, die den Film womöglich nicht mochten, weil sie eine Art Fortsetzung von THE WITCH erwarteten. Der Film damals nahm sich unglaublich ernst, und das war auch wichtig, sonst hätte er nicht funktioniert. Doch DER LEUCHTTURM ist eben ganz anders gelagert. Wenn Willem Dafoe das erste Mal furzt, gibt es sicher etliche im Kinosaal, die sich wundern, was es damit auf sich hat.

Was hat es denn damit auf sich? Soll das etwas aussagen über den Gesundheitszustand seiner Figur?

Im Drehbuch schrieben wir über den ersten Furz, er sei eine „bewusste Machtdemonstration“!

Wie schwierig war es, Ihre Vision umzusetzen, die Geschichte in Schwarzweiß zu erzählen?

Ich habe wirklich großes Glück, dass mich meine Finanziers, Produzenten und Verleiher alle enorm unterstützen. Dass ich den Film überhaupt drehen konnte, grenzt für mich immer noch an ein Wunder, vom Schwarzweiß ganz zu schweigen. Natürlich kam am Anfang mal die Nachfrage, ob ich den Film nicht vielleicht digital und in Farbe drehen könne. Oder sonst zwar auf Film, aber eben in Farbe. Als ich klar machte, dass beides nicht in Frage kommt, gab es dann noch einen dritten Versuch: Vielleicht könnte ich wenigstens Farb-Negative verwenden, damit es eine Alternativ-Version in Farbe gibt, für Länder, in die sich Schwarzweiß-Filme einfach nicht verkaufen lassen? Aber ich habe auf meine Vision gepocht – und am Ende alle überzeugen können.

Warum überhaupt Schwarzweiß?

Zunächst einmal gefiel mir oberflächlich betrachtet einfach der Gedanke, eine in jener Zeit angesiedelte Geschichte in Schwarzweiß zu erzählen. Eigentlich natürlich Quatsch, denn nicht jeder Film, der 1890 spielt, wird automatisch besser, wenn er nicht in Farbe ist. Aber in diesem Fall hatte ich einfach den Eindruck, dass sich die karge, raue Welt dieser Leuchtturmwärter in Schwarzweiß einfach stimmiger einfangen lässt. Ich habe lange drüber nachgedacht, an welchen Stellen und warum die Geschichte oder mein Film von Farbe profitieren würden. Aber mir fiel nichts ein.

Haben Sie die visuelle Sprache Ihrer Filme immer schon beim Schreiben im Kopf?

Nicht komplett, denn das ist natürlich ein Prozess, zu dem verschiedene Faktoren und Beteiligte gehören, weswegen sich vieles erst im Verlauf des Filmemachens herausbildet. Manche Sequenzen habe ich beim Schreiben schon zu 100% so im Kopf, wie ich sie am Ende auf der Leinwand sehen will, und dann halte ich das auch im Skript fest. Aber vieles konnte ich mir noch gar nicht so genau ausmalen, bevor ich mit meinem Kameramann Jarin Blaschke in Nova Scotia den Dreh und die Locations vorbereitete. In diesem Fall entwickelte sich vieles während wir die Storyboards für den Film fertigstellten und uns präzise auf Bilder und Einstellungen festlegen mussten: Da es aufgrund der Location so viele Einheiten im Filmteam gab, die für Sicherheit, Wasser, Tiere und ähnliches zuständig waren und exakt wissen mussten, was sie erwartet, waren spontane Entscheidungen kaum möglich.

Eine letzte Frage noch, weil ja gerade alle Welt darüber diskutiert, ob Comicverfilmungen echtes Kino sind. Dass ältere Herren wie Scorsese oder Coppola mit solchen CGI-Spektakeln wenig anfangen können, ist fast erwartbar. Wie sehen Sie die Sache als junger Regisseur, der so ganz andere Filme macht?

Ich habe gar kein Problem mit Superhelden-Filmen, schließlich gibt es dafür ein riesiges Publikum. Für viele Fans ist das wie ein Religionsersatz, für die ist das Marvel-Universum fast ein heidnisches Pantheon und STAR WARS das neue Christentum. Sind diese Blockbuster große Kinokunst? Vielleicht nicht. Aber sie sind Filme und auch nicht per se schlecht. Tim Burtons BATMAN-Filme waren für mich echtes Kino, und die von Christopher Nolan auch.

Also widersprechen Sie Scorsese?

Wer wäre ich denn, dass ich Scorsese oder Coppola widerspreche? Die verstehen was von Kino und sind nicht dumm... Natürlich spricht mich die Art und Weise nicht an, wie diese Superhelden-Filme entstehen, die kommerzielle Maschinerie dahinter. Aber als Kind habe ich STAR WARS auch geliebt, schließlich entdeckt nicht schon jeder Sechsjährige David Lynch und Ingmar Bergman für sich. Sagen wir es mal so: irgendwann inspirierte mich Albrecht Dürer mehr als Stan Lee. Doch nichts davon heißt, dass besagte Filme in unserer Unterhaltungs- und Kulturlandschaft nicht auch ihren Zweck erfüllen würden. Nur eben nicht für jeden.

Das Gespräch führte Patrick Heidmann, Mitarbeit: Joanna Ozdobinska