Magazin für unabhängiges Kino
Filmwecker
Filmnotiz

Neue Notiz

Der flüssige Spiegel

Geist-Wegbegleiter

Juste leitet als Geist die Sterbenden ins Jenseits, und sammelt die letzte Erinnerung an sie auf. Als er aber Agathe leiten soll, die ihn zu Lebzeiten kannte, wird alles komplizierter.

Mehr

Auf dem Bremer Filmsymposion 2008 formulierte der spanische Filmwissenschaftler Domènec Font eine steile These. Das postmoderne Kino zeichne sich dadurch aus, dass alle Protagonist:innen eigentlich tot sind. Sie seien entweder Vampire, die mehr oder weniger wissen, dass sie tot sind und einen Weg zurück ins Leben suchen, oder lebende Tote, die nicht gemerkt haben, dass sie schon gestorben sind, und den Weg in eine andere Welt finden müssen. Er belegte das unter anderem an Beispielen aus Aki Kaurismäkis DER MANN OHNE VERGANGENHEIT. 12 Jahre später könnte man wohl auch die symbolischen Tode des gesamten Superhelden-Genres so verstehen. Dass es eine Lust des Films gibt, das Leben aus der Perspektive der Toten zu verstehen, ist jedenfalls nicht von der Hand zu weisen, zumal der Film, stärker noch als die Fotografie, an sich ein geisterhaftes Wesen hat.
DER FLÜSSIGE SPIEGEL erzählt aus der Perspektive eines Toten, der zurück ins Leben will, sich aber an nichts mehr erinnert. Ein junger Mann wacht in einem Park auf, niemand scheint ihn zu sehen, bevor ein Geistführer ihn zur nächsten Instanz führt: einer Therapeutin, Ärztin, Bürokratin, die „mit ihm arbeiten will“. Er nennt sich „Juste“, was „gerecht“, „genau richtig“, aber auch „zu kurz“ oder „zu eng“ oder „gerade jetzt“ bedeuten kann. Er wird – Jahre später – selbst zu einem Geistführer, den (manche?) Lebende sehen können, der aber Tote sofort erkennt. Dann trifft er die lebendige Agathe, die in ihm Guillaume wiedererkennt, der nach nur einer Liebesnacht verschwand. Vielleicht war Juste Guillaume. Der Film gewinnt einen Teil seiner Spannung daraus, den Code zu entschlüsseln, nach dem die Unterwelt funktioniert. Zugleich geht es um verschiedene Formen der Wiederholung intensiver Momente. Der Nachwelt-Entwurf des Films ist jedenfalls nicht der schlechteste: Es gibt Sex nach dem Tode, und zwar sehr guten.

Tom Dorow

Details

Originaltitel: Vif-argent
Frankreich 2019, 104 min
Genre: Drama
Regie: Stéphane Batut
Drehbuch: Stéphane Batut, Christine Dory, Frédéric Videau
Kamera: Céline Bozon
Schnitt: François Quiqueré
Musik: Gaspar Claus, Benoît de Villeneuve, Reno Isaac
Verleih: Film Kino Text
Darsteller: Thimotée Robart, Judith Chemla, Saadia Bentaieb, Jacques Nolot
FSK: 12
Kinostart: 03.09.2020

Website
IMDB

Vorführungen

Keine Programmdaten vorhanden.

ALLE ANGABEN OHNE GEWÄHR.
Die Inhalte dieser Webseite dürfen nicht gehandelt oder weitergegeben werden. Jede Vervielfältigung, Veröffentlichung oder andere Nutzung dieser Inhalte ist verboten, soweit die INDIEKINO BERLIN UG (haftungsbeschränkt) nicht ausdrücklich schriftlich ihr Einverständnis erklärt hat.