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Unsere kleine Schwester

Funktionale Familie

Zugänglich und voller Wärme erzählt Hirokazu Kore-eda eine Familiengeschichte: die drei erwachsenen Schwestern Sachi, Yoshino und Chika begegnen auf der Beerdigung des stets abwesenden Vaters ihrer kleinen Stifeschwester Suzu und nehmen sie bei sich auf.

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Das Gefüge der Familie beschäftigt das japanische Kino. Die Auseinandersetzung mit ihr als schicksalsgebundene Zweckgemeinschaft und Rückhalt, der unsere Identität bestimmt und gleichermaßen Liebe wie Last bedeutet, taucht immer wieder auf. Dies macht die Filme Yasujiro Ozus so universell verständlich und die Familie ist auch der rote Faden im Oeuvre des Autorenfilmers Hirokazu Kore-eda. Meist ist dieses Gefüge gestört in seinen Filmen, die Eltern sind abwesend, die Kinder vernachlässigt. So ist es auch in UNSERE KLEINE SCHWESTER, der Verfilmung des Mangas "Umimachi Diary" von Akimi Yoshida. Familie, das bedeutet für Sachi (Haruka Ayase), Yoshino (Masami Nagasawa) und Chika (Kaho) vor allem ihr Zusammenhalt als Schwestern und das Aufrechterhalten der Traditionen ihrer Großmutter. Gemeinsam leben sie in deren gemütlichen Haus, einem Mädchenwohnheim, wie sie es selbst scherzhaft bezeichnen. Jede von ihnen geht ihren Weg und unterschiedlichen Jobs und Beziehungen nach. Zur Pflaumenernte kellern sie gemeinsam Wein ein, wie es schon Generationen vor ihnen getan haben. Die Älteste, Sachi, musste ihrem eigenen Leben stets die Bedürfnisse Anderer vorziehen. So arbeitet sie die meiste Zeit im Krankenhaus und kümmert sich in der übrigen um den Haushalt. Schon früh musste sie lernen, den Haushalt zu führen und für ihre Schwestern zu sorgen. Als der Vater die Familie für eine andere Frau verließ, ging auch die Mutter, überfordert mit der Situation, und ließ sie bei ihrer Oma zurück. Der Verlust der Kindheit nagt an Sachi – denn auch davon handeln Kore-edas Filme immer wieder, sei es in NOBODY KNOWS, wo der älteste Bruder die Geschwister aufzieht, oder zuletzt in LIKE FATHER, LIKE SON in Gestalt des Sohnes einer Tokioter Familie, der unter dem Drill des Vaters zu leiden hat.

Als der Vater stirbt, weint ihm keine der Schwestern eine Träne nach. Zu lange ist es her, dass sie ihn zuletzt sahen. Der Form halber reisen sie dennoch zur Beerdigung und treffen dort auf Suzu, ihre kleine Halbschwester. Sie war es, die ihren Vater zuletzt gepflegt hatte, denn seine neue Frau schien dazu nicht in der Lage. Suzu begegnet ihren Schwestern mit zurückhaltender Höflichkeit, doch die drei schließen sie sofort ins Herz und schlagen ihr vor, bei ihnen zu wohnen. So kommt Suzu in die große Stadt und muss sich in ein neues Leben einfinden, während Sachi mit der Fürsorge der 13jährigen eine Aufgabe mehr hat und ihre eigenen Träume scheinbar in unerreichbare Ferne rücken. Doch die Ankunft der kleinen Schwester berührt ihr aller Leben.

Wie ein Mosaik setzt Kore-eda sein Gefüge aus Figuren zusammen. Facettenreich und voller Leben verleiht er ihnen Gestalt, so dass wir am Ende alle ziemlich gut zu kennen glauben. Sei es die Nachbarin, die ein Restaurant leitet und um die Zukunft bangt, oder der Alte an ihrer Bar, der sie heimlich anbetet. Oder die Mutter der Schwestern, die plötzlich auftaucht und sie mit ihrer Art von sich stößt, in Gesten und Worten aber erahnen lässt, was sie dazu bewegte, die Kinder zurück zu lassen. Vieles steht zwischen den Zeilen in Kore-edas meisterhaftem Ensembledrama, das wunderbar leicht abgefedert wird durch eine optimistische Grundhaltung dem Leben gegenüber. UNSERE KLEINE SCHWESTER feierte seine Premiere im Wettbewerb von Cannes und gewann in San Sebastián den Publikumspreis.

Lars Tunçay

Details

Originaltitel: Umimachi Diary
Japan 2015, 128 min
Genre: Drama
Regie: Hirokazu Kore-Eda
Drehbuch: Hirokazu Kore-Eda
Kamera: Mikiya Takimoto
Schnitt: Hirokazu Kore-Eda
Musik: Yoko Kanno
Verleih: Pandora Filmverleih
Darsteller: Ryo Kase, Haruka Ayase, Masami Nagasawa, Suzu Hirose, Kaho
FSK: oA
Kinostart: 17.12.2015

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