
Der schlimmste Mensch der Welt
Frau ohne Eigenschaften
Julie, Ende Zwanzig, ist eine Frau ohne Plan. Sie wechselt Karrieren und Beziehungen, und merkt, dass sich etwas ändern muss.
Mit Ende Zwanzig, Anfang Dreißig gibt es plötzlich eine Dringlichkeit, die zuvor nicht spürbar ist. „Nie hatte er gedacht, dass von tausendundeiner Möglichkeit vielleicht schon tausend Möglichkeiten vertan und versäumt waren – oder dass er sie hatte versäumen müssen, weil nur eine für ihn galt“, schrieb Ingeborg Bachmann in ihrer Erzählung „Das Dreißigste Jahr“. Ein ähnliches Gefühl umschleicht Julie, die zu Beginn von Joachim Triers Film DER SCHLIMMSTE MENSCH DER WELT (The Worst Person in the World) mit einem Glas Wein in der einen Hand und einer Zigarette in der anderen von einem breiten Balkon aus auf Oslo blickt. Die ersten zwanzig Minuten des Films erzählen, wie sie auf diesen Balkon gekommen ist, mit diesem zugleich unsicheren und entschlossenen Gesichtsausdruck, der andeutet, dass sich in Kürze etwas ändern muss. Der Rest des Films stellt die Frage, was sich ändern muss.
Julie ist eine Frau ohne Plan. Sie war immer die Beste in der Klasse, deshalb beginnt sie, Medizin zu studieren, bevor sie merkt, dass sie eigentlich die Seele interessanter findet, und zur Psychologie wechselt, um dann festzustellen, dass sie eigentlich lieber Fotografin wäre, und das Studium abbricht. Sie arbeitet in einem Buchladen, um die Fotografie zu finanzieren. Der Job als Buchverkäuferin wird von einer vorläufigen Studi-Geschichte zu ihrer eigentlichen Arbeit, als sie den zehn Jahre älteren, erfolgreichen Underground-Comiczeichner Aksel trifft. Auf dem Balkon steht diese Beziehung an einem Scheideweg.
Im Guardian hat Peter Bradshaw Joachim Triers Film als eine Verbindung aus romantischer Komödie und Coming-of-Age-Drama beschrieben, aber so ganz trifft es das nicht. THE WORST PERSON IN THE WORLD hat die Leichtigkeit einer Komödie, und es gibt sehr romantische Momente, vor allem eine Szene, in der Julie zu einem neuen Lover läuft, während die Welt um sie herum stehen bleibt. Aber Joachim Triers Film ist im Kern antiromantisch. Julies Suche nach einer Haltung zum eigenen Leben läuft über Beziehungen, die sie dann wieder beendet. Sie ist von den Männern nicht ökonomisch abhängig, aber ihre Beziehungen bestimmen dennoch ihren sozialen Ort. In den Film eingeschrieben ist eine Liebesökonomie, die vom sozialen Marktwert der Männer und Julies eigener sozialökonomischer Selbsteinschätzung bestimmt ist: Sie stammt aus einer bürgerlichen, liberalen Familie, sieht gut aus, nutzt ihre Privilegien ohne weiteres aus, ist aber dennoch verunsichert. Sie scheint davon überzeugt zu sein, eine bestimmte gesellschaftliche Position verdient zu haben. Die Beziehungen zu Männern scheinen etwas Eigentliches zu ersetzen, nur weiß Julie nicht, was das sein könnte.
Der renommierte US-amerikanische Filmkritiker Richard Brody hat Triers Film im New Yorker für Julies Planlosigkeit verdammt: Der Film sei eine Art umgekehrter Pygmalion, in dem Trier eine lebendige Frau in eine Statue verwandle. Trier interessiere sich nicht für Julies intellektuelles und professionelles Leben, nicht für die Interessen, die sie mit ihren Partnern teilt, nicht für Debatten, in die sie eingebunden ist. Für Brody macht das intellektuelle Leben die Person aus. Aber es gibt in der wirklichen Welt Menschen und Paare, die sich nicht ausschließlich über ihre Interessen, Ideen und Projekte definieren und durch die Bildungsbürgerwelt stolpern, ohne permanent verwertbare Ideen auf dem Schirm zu haben. Brody wirft Joachim Trier sexistische Interessenlosigkeit an seiner Figur vor, aber Filmen über männliche, leicht verstrahlte Slacker-Existenzen werden solche Vorwürfe nicht gemacht. Eine Frau, die in Robert Musils Sinn „ohne Eigenschaften“ durch das Leben treibt, stellt eben auch bestimmte Machtverhältnisse in Frage.
Man muss Julies Planlosigkeit nicht gleich als „Desertion von den Orten der Macht“ verstehen – eine der Widerstandsformen, die von den linken Theoretikern Michael Hardt und Antonio Negri vorgeschlagen werden. Aber sich dem „Power“-Narrativ zu entziehen, zu dem auch die Akkumulation von Ideen, Haltungen, Vorbildern, Projekten – kurz „kulturellem Kapital“ – gehört, hat eine eigene Kraft und subvertiert populäre Erzählungen über Weiblichkeit offenbar so massiv, dass manche Kritiker sehr wütend werden.
THE WORST PERSON IN THE WORLD verhandelt auch sich wandelnde Geschlechterverhältnisse: Aksel, der Undergroundfürst, dessen Comic-Figur an eine skandinavische Fritz-the-Cat-Variante erinnert, bekommt Probleme mit dem Sexismus in seinen Comics. Dauergeile Kater waren gerade noch cool und anti-spießig, plötzlich sind sie Boomer-Schrott, so überflüssig wie Klapphandys und Gitarrensoli, aber um ein Vielfaches peinlicher. Aber eigentlich geht es in Triers Film weniger um das Patriarchat, als um den Moment im Leben von weißen Mittelschichts-Ex-Jugendlichen, an dem sie irgendeine Form der Zufriedenheit finden müssen. Der Moment, an dem das Studi-Modell aus serieller Monogamie, Mac-Jobs, irgendeinem Kunstkram, der eigentlich die Erfüllung bringen soll, dazwischen mal guter, mal schlechter Sex und ein Rausch – es gibt eine mitreißende Drogenszene – nicht mehr funktioniert. Es geht um den Moment, an dem ein Entschluss hermuss, und sei es der falsche.
Originaltitel: Verdens verste menneske
Frankreich/Norwegen 2021, 127 min
Genre: Drama, Komödie, Romance
Regie: Joachim Trier
Drehbuch: Joachim Trier, Eskil Vogt
Kamera: Kasper Tuxen
Schnitt: Olivier Bugge Coutté
Musik: Ola Fløttum
Verleih: Koch Films
Darsteller: Anders Danielsen Lie, Renate Reinsve, Herbert Nordrum
Kinostart: 02.06.2022
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Vorführungen

Der schlimmste Mensch der Welt
(Verdens verste menneske) | Frankreich/Norwegen 2021 | Drama, Komödie, Romance | R: Joachim Trier
Julie, Ende Zwanzig, ist eine Frau ohne Plan. Sie wechselt Karrieren und Beziehungen, und merkt, dass sich etwas ändern muss.
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