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The Look of Silence

Blick in den Abgrund

Im Aufsehen erregenden Dokumentarfilm THE ACT OF KILLI NG inszenierte Joshua Oppenheimer die Prahlsucht der Täter, die Mitte der 60er Jahre in Indonesien Hunderttausende in „anti-kommunistischen“ Massakern umbrachten. THE LOOK OF SILENCE begleitet nun eines der Opfer und dokumentiert detailgenau das Schweigen, das sich ausbreitet, wenn Adi Rakun die Täter mit ihrer Vergangenheit konfrontiert.

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Wie sieht Schweigen aus? Vielleicht wie ein Tick, der weiterhin durchs Gesicht zuckt, wenn ein unangesprochener Konflikt rumort und die Kamera weiter ihren Dienst tut. Vielleicht wie ein lauernder, angriffslustiger Blick aus den alterstrüben Augen desjenigen, der schreckliche Verbrechen begangen hat und es auch weiterhin vorzieht, dafür nicht zur Rechenschaft gezogen zu werden. Vielleicht wie simple Nachfragen, hinter deren Unbekümmertheit sich allerdings eine satte Drohung ans Gegenüber verbirgt, schon aus Eigeninteresse nur nicht allzu tief in der Vergangenheit zu forschen. Vielleicht aber auch wie die Tränen einer alten Frau, die sich plötzlich Bahn brechen. Oder wie die glückselige Demenz eines Alten, der sich im Delirium in eine Zeit zurückversetzt, in der das, über was nicht geredet wird, was anzusprechen zu viel an Überwindung kostet oder alte Wunden aufreißt, noch gar nicht stattgefunden hat. Joshua Oppenheimers Essayfilm THE LOOK OF SILENCE ist ein genau beobachtender Film über dieses Schweigen - ein sehr beredtes Schweigen, das zuweilen wie ein Abgrund hinter der Fassade des sozialen Lebens erscheint, oder wie eine Mauer, die das etwas Unsagbares wegschließt. Ob nun persönlich durchlebtes Leid oder, in der Hauptsache, eine Schuld von solchem Ausmaß, dass die Verdrängungs- und Verleugnungsprozesse beinahe schon wie ein Uhrwerk greifen.

Von was wäre zu sprechen? Rückblick ins Jahr 1965, Indonesien: Den bis heute nicht aufgeklärten Mord an einer Reihe ranghoher Militärs nimmt General Haji Mohamed Suharto zum Anlass, um ein brutales Massaker an tatsächlichen oder nur vermeintlichen Kommunisten im Land zu lancieren. Der Westen nimmt die Aktionen, die von massenhaften Meuchelmorden bis zu militärisch organisierten Internierungen reichen, wohlwollend zur Kenntnis. Zwischen einer halben und einer Million Menschen finden einen qualvollen Tod. Historisch, geschweige denn juristisch, wurde dieses Massenverbrechen nie befriedigend aufgearbeitet. Im Gegenteil, trotz politischer Entspannung sitzen die Verbrecher noch immer an den Schalthebeln der Macht - die besonders beherzten Mörder werden als Staatshelden gefeiert und leben zuweilen in ansehnlichem Wohlstand. Der in der heutigen historischen Forschung im Wesentlichen als Mär eingestufte Volksmythos, dass es sich bei den Morden um einen Akt der Notwehr handelte, um die Brutalitäten kommunistischer Verschwörer einzudämmen, ist zentraler Bestandteil des Schulcurriculums. Nicht auszudenken, welches psychische Leid die Betroffenen und Hinterbliebenen inmitten einer Gesellschaft der Täter ertragen müssen, welche enormen Verdrängungsleistungen dafür nötig sind.

Mit seinem auf Grundlage jahrelanger Dreharbeiten vor Ort realisiertem Essayfilm THE ACT OF KILLING holte US-Regisseur Joshua Oppenheimer diese traurige Episode des an solchen nicht armen 20. Jahrhunderts im Jahr 2012 schlagartig zurück ins Gedächtnis. Der Clou seines kontroversen Films: Nicht die Opfer stehen im Mittelpunkt des Geschehens - sondern die Täter. In erstaunlicher Offenheit berichten diese von ihren Taten, die Oppenheimers Film - anders als zu erwartende Empörungsrührstücke - nicht moralisch auf leicht vermittelbare Distanz rückt, sondern sie im Gegenteil von den Tätern sogar nachspielen lässt. In Szenen, die aus dem Gangsterkino entnommen sein könnten, oder grotesk bunten Musicalsequenzen. Vielen war das zu pietätlos - andere dankten dem Regisseur für das einzigartige Psychogramm einer von Aufarbeitung und historischer Gerechtigkeit nie belangten Täterkaste, die sogar - eine Schlüsselszene des Films - im Fernsehen mit ihren Gräueltaten prahlen, während das Land sich mit den Insignien des relativen Shopping-Mall-Wohlstands des frühen 21. Jahrhunderts kleidet - eine ganz normale Nation, hinter deren Fassade die Nachwirkungen einer von brutaler Gewalt geprägten sozialen Zäsur schlummern.

Die vereinzelt laut gewordenen Vorwürfe, Oppenheimer habe sich mit den Tätern gemein gemacht oder ihnen wenigstens ein Podium geboten, lassen sich freilich schon am Film selbst widerlegen - auch in den zahlreichen und lesenswerten Interviews betonte Oppenheimer, dass THE ACT OF KILLING tatsächlich im engen Kontakt zu Opfern und Hinterbliebenen entstanden sei. Dass die indonesischen Mitarbeiter im Abspann zu ihrem eigenen Schutz anonymisiert wurden, spricht Bände. Jetzt, drei Jahre später, weist sich, in welch engem Austausch Oppenheimer tatsächlich mit den Opfern stand - und warum er dieses Ausmaß bislang verschwiegen hat: In vielerlei Hinsicht ist THE LOOK OF SILENCE ein Komplementär-Film zu THE ACT OF KILLING - und das nicht nur, weil beide parallel entstanden, wobei THE ACT, als Porträt über die Täter, Oppenheimer erst das Maß an Sicherheit und Vertrauen verschaffte, das nötig war, um einen Film wie THE LOOK OF SILENCE unbemerkt und unbehelligt, gewissermaßen im Schatten des anderen Films, zu drehen. Ein Komplementärfilm ist THE LOOK auch, weil Oppenheimer hier vergleichbar radikal die Perspektive der Hinterbliebenen wählt, wie er zuvor die der Täter in den Blick nahm. Und wo THE ACT ein Film über das ständige Plaudern und Prahlen war, das eben doch nichts Substanzielles von sich gab, und ein Film über das Spektakel und den Exzess, so ist THE LOOK nun ein zurückgenommener Film über das Schweigen der Täter, was ihre Verantwortung betrifft, und über das bleierne Leben am Rande der Armut derjenigen, die sich damit arrangieren müssen, von den Mördern ihrer Väter, Söhne und Brüder umringt zu leben als sei nie etwas geschehen. Zwischen den Extremen beider Filme liegen ganze Welten - und doch bilden sie die Parameter dessen, was Leben im post-genozidalen Indonesien heute bedeutet.

Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit dieses an die Grenze zur Meditation konzentrierten, enorm gedämpften Films stehen der zwei Jahre nach den “anti-kommunistischen” Ausschreitungen geborene Optiker Adi Rukun und dessen greise Eltern. Sein älterer Bruder Ramli wurde bei den Massakern brutal ermordet. Sein Schicksal und die den Atem verschlagende Grausamkeit seines Todes stehen beispielhaft für die im Namen der Militärregierung begangenen Taten. Oppenheimer begleitet Adi auf dessen Geschäftsreisen durchs Land, bei denen er die Sehstärke älterer Herrschaften misst, um neue Brillengläser anzufertigen. Dabei sucht er wie beiläufig das Gespräch über die Geschichte, insbesondere über die Geschehnisse der Jahre 1965 und 1966, in der Suche nach Antworten auf die brennenden, biografischen Fragen - warum musste sein Bruder so einen jämmerlichen Tod sterben? Und warum stellen sich die Täter ihrer Verantwortung und Schuld nicht?
Es sind beklemmende Nicht-Gespräche, die Adi führt. Dass sie überhaupt nur im Schutzraum möglich sind, den ein westliches Filmteam darstellt, dessen Leiter den Schutz der Machthaber genießt, ist zu jedem Zeitpunkt spürbar. Die Täter, auf die Adi stößt, verleugnen ihre Verantwortung, insistieren darauf, nur Befehle ausgeübt zu haben, verweigern mitunter jedes Wort - “Man muss die Vergangenheit ruhen lassen”, solche und ähnliche, auch aus dem Zusammenhang der deutschen Vergangenheitsaufarbeitung geläufige Floskeln hört man häufig - oder sprechen kaum verhohlene Drohungen aus: Aus welchem Dorf Adi denn stamme, will einer, dem es seiner Wohnung nach zu urteilen, offenbar ganz prächtig geht, mit Nachdruck wissen. Bis Adi schließlich offen anspricht, warum er ihm diese Information vorenthält: Weil er sonst um sein Leben fürchte müsse. Dann fragt er nach, was mit ihm geschehen würde, wenn er solche Fragen zu Zeiten der alten Militärdiktatur gestellt hätte. Worauf sein Gegenüber, ein Täter und Kommandeur der Morde, nur meint, dass er, Adi, sich das nicht ausmalen könne, was dann mit ihm geschehen wäre. Es sind kaum erträgliche Szenen wie diese, in denen der konkrete Schrecken aus der Vergangenheit geradezu physisch spürbar in der Luft liegt, die aus THE LOOK OF SILENCE einen so intensiven wie wertvollen Film machen.

Begreifbar machen solche Momente unverhohlener Gewaltandrohungen auch, warum bereits THE ACT OF KILLING - in Indonesien auf private Initiative hin hundertfach, aber nie offiziell aufgeführt - aus Oppenheimer eine Persona non grata machte und das Land für ihn nun, nach THE LOOK OF SILENCE, endgültig unbetretbar geworden ist: Er wäre seines Lebens nicht mehr sicher. Auch erklärt sich, warum die Welt von der Existenz dieses nachgereichten Films überhaupt erst Jahre später erfuhr: In der Zwischenzeit wurden alle Maßnahmen getroffen, um Adi Rakun und seine Familie vor Übergriffen zu schützen.

Kino als Mittel zur Aufklärung, als Instrument zum Weltverständnis: Selten in den letzten Jahren war diese Zuschreibung so gültig wie im Fall der Filme von Joshua Oppenheimer. Essenziell dafür ist, dass er weder stumpfen Dokumentarismus noch die Mechanismen einer bloßen Reportage bedient. Den Dokumentarfilmen seines Produzenten Werner Herzog nicht unähnlich, sind seine Filme in erster Linie gestaltet, also von bewusst gewählter Form: Historische Eckdaten sind spärlich gesetzt, man erfährt nur das Allerwichtigste. Weder gibt es “Talking Heads”, noch einen Voiceover und am allerwenigsten eine Lehrstunde in Sachen indonesischer Nationalgeschichte. Auch nehmen weder THE ACT OF KILLING noch THE LOOK OF SILENCE für sich in Anspruch, das konkrete indonesische Alltagsleben repräsentativ abzubilden. Stattdessen gibt es Stimmungsbilder, Rückzugsorte zur Reflexion des Geschehens, offensichtlich in Szene gesetzte Zwischenbilder - Oppenheimer vertraut auf ein souveränes Publikum, das dieses Angebot zur Auseinandersetzung annehmen kann und will. Die vorgefertigten Meinungs- und Erkenntnishäppchen, die viele Event-Dokumentarfilme der letzten Jahre so öde machen, weil sie die Logik des Pitchings von den Geldgebern auch gleich noch aufs Publikum übertragen, sind Oppenheimers Sache nicht. Seine Filme funktionieren ähnlich wie die besten Horrorfilme, auch wenn sie im Faktischen rückgebunden sind: Wie Echolote skizzieren sie einen Zustand des Daseins, ertasten und erkunden eine Facette der conditio humana, die die Konsensmaschinerie des Kinos mitunter gerne überspielt. Die ästhetische Reflexion, durch die sich die Filme auszeichnen, rücken sie in die Nähe zur Kunst. Mit Meinungen und schnell gezogenen Fazits speist einen Oppenheimer nicht ab. Stattdessen erneuern seine Meisterwerke den Glauben daran, dass Kunst, Ästhetik und das Kino allen weichgespülten Unterhaltungsangeboten des Betriebs zum Trotz als Erkenntnisinstrumente zum einen, als Erfahrungsangebote zum anderen noch lange nicht ausgereizt sind und nichts von ihrer Dringlichkeit verloren haben.

Thomas Groh

Details

Dänemark 2014, 99 min
Genre: Dokumentarfilm
Regie: Joshua Oppenheimer
Kamera: Lars Skree
Schnitt: Niels Pagh Andersen
Musik: Seri Banang, Mana Tahan
Verleih: Koch Media
FSK: 12
Kinostart: 01.10.2015

Website
IMDB

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