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Körper und Seele

Ungemein sachte Liebesgeschichte

Nacht für Nacht träumen Maria und Endre - ohne es zu wissen - den gleichen Traum. Endre ist Direktor eines Schlachtbetriebs und Maria wird gerade als neue Qualitätskontrolleurin eingestellt. Die beiden scheinen füreinander bestimmt zu sein – und können sich zunächst gar nicht sonderlich leiden.

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Nacht für Nacht träumen Maria und Endre von einer friedlichen Waldlandschaft. Sie streifen als Hirschkuh und Hirsch durch den verschneiten Winterwald, äsen gemeinsam am Grün und beschnuppern sich immer wieder freundlich. Dass sie den gleichen Traum haben, wissen die beiden nicht. Sie haben sich erst vor kurzem bei der Arbeit kennen gelernt. Endre ist Direktor eines Schlachtbetriebs und Maria wird gerade als neue Qualitätskontrolleurin eingestellt. Die beiden scheinen füreinander bestimmt zu sein – und können sich zunächst gar nicht sonderlich leiden.

Die junge Maria lebt zurückgezogen. Alexandra Borbély, die hoffentlich ab sofort öfter im europäischen Kino zu sehen sein wird, spielt sie als Frau, die strenge Regeln braucht, um sich in der Welt zurechtzufinden. Das macht es ihr schwer, Kontakte zu knüpfen – auch zu den Arbeitskollegen und -kolleginnen. Jede Einladung zur gemeinsamen Kaffeepause schlägt sie aus, um sich noch penibler der Begutachtung der frisch geschlachteten Rinderhälften zu widmen. Mit ihrem Kontrollzwang bringt sie in kurzer Zeit die ganze Belegschaft gegen sich auf. Auch Endre lebt allein, doch im Gegensatz zu Maria ist er beliebter und respektierter Chef der Firma. Sein größtes Handicap ist ein lahmer Arm, für den er auf gar keinen Fall bemitleidet werden möchte. Er weiß, wie man Streitigkeiten beruhigt und die Neugier der Polizei mit einer gutgefüllten Tüte besten Schlachtfleischs eindämmt. Nur an der neuen Kollegin Maria beißt selbst Endre sich die Zähne aus.

Als Maria und Endre durch Zufall herausfinden, dass sie Nacht für Nacht gemeinsam in ihren Träumen verbringen, beginnt eine ungemein sachte und zugleich aufregende Liebe zwischen den beiden. Die ungarische Regisseurin Ildikó Enyedi findet in KÖRPER UND SEELE eine sehr zarte Sprache für eine Liebesgeschichte voller Gegensätze: Die ruhigen und klug kadrierten Bilder stehen im krassen Gegensatz zu der Gefühlsachterbahnfahrt der beiden Protagonisten. Der respektvolle Umgang der Angestellten des Schlachthofs mit dem Schlachtvieh steht im Widerspruch zu den explizit dokumentarischen Aufnahmen des klinisch-kalten Schlachtvorgangs. Maria fühlt sich zu Endre hingezogen und zugleich von jedweder Körperlichkeit abgestoßen. Sie muss Gefühle zulassen, die in ihrem Leben bisher keine Rolle gespielt haben. Der um einiges ältere Endre dagegen hat es schwer, darauf zu vertrauen, dass auch er noch das Recht auf Glück hat. Da er um das Risiko weiß, das er eingeht, wenn er sich auf eine Liebesgeschichte mit der viel jüngeren und psychisch labilen Maria einlässt, kämpft er mit seinen Empfindungen – wenn auch zunehmend vergeblich.

Was uns zu Menschen macht, sind unsere ambivalenten Gefühle. Unsere Unsicherheit und unser Stolz, unsere Fähigkeit zu lieben und zu begehren, aber auch unsere Bereitschaft zu hassen und zu töten. Endres körperliche Versehrtheit findet seine Entsprechung in Marias seelischer Verletzlichkeit. KÖRPER UND SEELE sind Gegensätze und gehören doch zusammen. Und in diesem Film können sie sich vielleicht sogar gegenseitig heilen.

KÖRPER UND SEELE wurde auf der diesjährigen Berlinale mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet.

Simone Dobmeier

Details

Originaltitel: A Teströl és Lélekröl
Ungarn 2017, 116 min
Genre: Melodram, Liebesfilm
Regie: Ildikó Enyedi
Drehbuch: Ildikó Enyedi
Kamera: Máté Herbai
Schnitt: Károly Szalai
Musik: Adam Balazs
Verleih: Alamode Filmverleih
Darsteller: Tamás Jordán, Géza Morcsányi, Szandra Borbély, Zoltán Schneider, Ervin Nagy
FSK: 12
Kinostart: 21.09.2017

Website
IMDB

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