Neue Notiz
The Ordinaries
Hauptfiguren mit Herz-Musik
THE ORDINARIES entwirft eine fiktionale Welt mit eigenwilligen Regeln. Die ganze Gesellschaft ist nach Filmbegriffen strukturiert. Ganz oben in der Pyramide sind die „Hauptfiguren“, die komplexe Storylines bekommen und Gefühle haben, die sie selbst mit Herz-Musik untermalen.
Charlie Kaufmann, Terry Pratchett und Jasper Fforde winken von Ferne: In ihrem Uni-Abschlussfilm THE ORDINARIES entwirft Sophie Linnenbaum eine fiktionale Welt mit eigenwilligen Regeln. Die ganze Gesellschaft ist nach Filmbegriffen strukturiert. Ganz oben in der Pyramide sind die „Hauptfiguren“, die komplexe Storylines bekommen und Gefühle haben, die sie selbst mit Herz-Musik untermalen. Paulas beste Freundin Hannah (Sira-Anna Faal) und ihre großbürgerliche Familie unterhalten sich sogar in Musical-Nummern. Paula (Fine Sendel) dagegen zittert vor der Abschlussprüfung als Hauptfigur. Ihr Vater, der vorgeblich beim „Massaker“ gestorben ist, war eine Hauptfigur. Ihre Mutter allerdings verfügt als „Nebenfigur“ nur über ein begrenztes Repertoire, und Paula selbst tut sich noch schwer mit der Produktion von Score. Noch weiter unten in der Hierarchie sind die Outtakes, Fehlbesetzungen und Filmfehler, die am Rande der Gesellschaft hausen und in Ton-Fabriken Hintergrundgeräusche produzieren. In diese Welt wagt sich Paula vor, als sie sich auf die Suche nach ihrem Vater macht und dabei entdeckt, dass die Dinge nicht ganz so sind, wie sie scheinen.
THE ORDINARIES schafft es, mit einem vermutlich viel zu kleinen Budget eine glaubhaft eigene Welt zu inszenieren, eine Art Retro-Sci-Fi-DDR mit Hologrammen, Passkontrollen, Glockenröcken und einem eigenen Farbkonzept für jede Gesellschaftsschicht. Die Details sind super-ideenreich – da gibt es zum Beispiel den jungen Simon (Noah Tinwa), der als Jump-Cut-Geplagter ständig woanders im Bild auftaucht und in abgehakten Sätzen spricht, oder die Bartenderin, deren Sätze stets von Publikumsapplaus begleitet werden. Die Nebenfiguren mit ihrem ausschnitthaften Background-Dasein wiederholen immerfort die gleichen Sätze. Nicht alles ist logisch und zu Ende gedacht, nicht immer hält sich der Film an die eigenen Regeln (z.B. spricht Simon dann doch in zusammenhängenden Sätzen, wenn es gerade wichtig ist, ihn zu verstehen), und über der wuseligen Gleichzeitigkeit immer neuer Einfälle verpasst Linnenbaum es, die Themen, die sie anreißt, genauer auszuarbeiten. Dabei wäre da so viel: Das Privileg der oberen Schichten, Emotionen bzw. Musik zu haben und zu manipulieren. Die Angst aller, aus dem Bildfeld zu rutschen. Das Leben als reine Perfomance.
Sophie Linnenbaum hat mit THE ORDINARIES mehrere Nachwuchspreise gewonnen, darunter den „Förderpreis Neues Deutsches Kino“ auf dem Filmfest München. Aktuell arbeitet sie bereits an einer Fernsehserie. Man darf gespannt sein.
Originaltitel: The Ordinaries – Subtext
Deutschland 2022, 120 min
Sprache: Deutsch
Genre: Science Fiction, Satire
Regie: Sophie Linnenbaum
Drehbuch: Sophie Linnenbaum, Michael Fetter Nathansky
Kamera: Valentin Selmke
Schnitt: Kai Eiermann
Musik: Fabian Zeidler
Verleih: Port-Au-Prince Pictures
Darsteller: Fine Sendel, Jule Böwe, Henning Peker, Sira Faal, Noah Tinwa, Denise M’Baye, Pasquale Aleardi
FSK: 12
Kinostart: 30.03.2023
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