Die USA sehen sich gern als Nummer Eins, als Nation von Machern, wo Probleme angegangen und gelöst werden. Bill Baker (Matt Damon) ist ein Mann, der dieses Ideal perfekt verkörpert – und in Tom McCarthys STILLWATER bald an seine Grenzen stößt. Baker kommt aus Stillwater, Oklahoma, arbeitet auf dem Bau, trägt ärmellose Hemden und hat einen fetten Adler auf den strammen Bizeps tätowiert. Und er fliegt regelmäßig nach Marseille, denn dort ist seit einigen Jahren seine Tochter Allison (Abigail Breslin) inhaftiert, die wegen Totschlags an ihrer Freundin verurteilt wurde. Zu Unrecht, glaubt ihr Vater und setzt alles daran, die Unschuld der Tochter zu beweisen. Als die Anwältin einem Hinweis auf einen Zeugen nicht nachgehen will, nimmt Bill die Dinge selbst in die Hand, zieht gar nach Marseille und findet in der Theater-Schauspielerin Virginie (Camille Cottin) und ihrer kleinen Tochter ungeahnte Unterstützung.
Wie sich der konservative Amerikaner und die liberale Französin zu einem überraschenden Duo zusammenfinden, ist mindestens der zweite Film, der in STILLWATER steckt, einem Film, der deutlich auf der Geschichte der des Mordes verdächtigten, nach Jahren freigesprochenen amerikanischen Studentin Amanda Knox basiert. Doch eigentlich geht es Tom McCarthy, der zuletzt den Oscar für sein Missbrauchsdrama SPOTLIGHT bekam, gar nicht um Schuld oder Unschuld von Allison, sondern um die Unfähigkeit von Bill, seine Grenzen zu erkennen. Auch dank des französischen Co-Autors Thomas Bidegain, der unter anderem Jacques Audiards EIN PROPHET geschrieben hat, gelingt McCarthy eine dichte Milieustudie, die die gegensätzlichen Kulturen der französischen Hafenstadt Marseille vielschichtig einfängt. Und mittendrin Matt Damon, der sehr überzeugend den Amerikaner spielt, der viel zu spät merkt, dass Machen nicht immer die beste Methode ist, um Probleme zu lösen.

Michael Meyns